Heftige Reaktionen des Balkans nach dem Veto gegen den Schengenbeitritt
Rumänische Landwirte haben vor Kurzem ein Schwein geschlachtet. Berichtenswert ist das nur, weil der Name von Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer auf seiner Haut stand. Das Schwein musste im Rahmen von Protesten gegen die Ablehnung der Aufnahme Rumäniens in den Schengenraum sein Leben lassen.
Bulgarien und Rumänien sind der EU 2007 beigetreten. Sie gehören jedoch weiterhin nicht zum Schengenraum. Im Rat „Justiz und Inneres“ der Europäischen Union legten am 8. Dezember zwei Länder ihr Veto gegen den Beitritt ein: Österreich und die Niederlande. Im Schengenraum gibt es innerhalb der EU keine Grenzkontrollen, die Menschen können ohne Passkontrollen ein- und ausreisen.
Es scheint, dass Migrationsprobleme und die Möglichkeit, dass die Balkanländer als Transitländer fungieren können, mehrere EU-Mitgliedstaaten davon abhalten, zuzustimmen.
Vor Kurzem hat Kroatien den Schritt gemacht, während Rumänien und Bulgarien weiterhin nicht aufgenommen wurden. In der Plenarsitzung im Oktober stimmten die Abgeordneten bereits für eine Entschließung, in der sie die Beibehaltung der Kontrollen an den Binnengrenzen für Rumänien und Bulgarien als „diskriminierend“ und „mit negativen Auswirkungen auf den EU-Binnenmarkt“ bezeichneten.
Enttäuschung in Rumänien und Bulgarien
Nach der Ablehnung durch Österreich und die Niederlande reagieren Politiker und Menschen in den beiden Balkanländern ziemlich heftig. Zunächst zu Rumänien.
Rumäniens Wirtschaft verliert jährlich mehrere Milliarden Euro, weil das Land nicht in den Schengenraum aufgenommen wurde, bilanzierte Wirtschaftsminister Florin Spătaru. Im Gespräch mit dem rumänischen Nachrichtensender „Digi24“ sagte er, dass die Entscheidung des EU-Rates nun die rumänische Wirtschaft 1,5 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich kosten wird.
Diese Mittel würden im Haushalt praktisch fehlen. Das Ministerium arbeite daran, dass das Land einen Teil dieser verlorenen Gelder zurückbekommt. Seiner Ansicht nach hat Rumänien die technischen Bedingungen für den Beitritt in den Schengenraum schon vor langer Zeit erfüllt.
Rumäniens Premierminister Nicolae Ciucă zeigte sich tief enttäuscht über den fehlenden Konsens zum Schengenbeitritt Rumäniens, er bezeichnete das Veto Österreichs als unbegründet. Ciucă zufolge hat Rumänien die Problempunkte zur illegalen Migration detailliert widerlegt. Der Premierminister fügt hinzu, dass Rumänien den Schengen-Beitrittsprozess definitiv wieder aufnehmen wird. Ähnlich äußerte sich auch der rumänische Staatschef Klaus Iohannis.
Rumäniens Wirtschaft will Österreich boykottieren
Das rumänische Außenministerium warnte, dass das österreichische Veto „unvermeidbare Konsequenzen für die bilateralen Beziehungen“ haben würde, berichtete das Portal „Krónika“. In wirtschaftlicher Hinsicht könnte ein von rumänischen Wirtschaftsführern begonnener Boykottprozess Schwierigkeiten bereiten. Der Leiter einer großen Unternehmensgruppe, Voicu Vușcan, brachte es auf den Punkt: „Wir wollen nicht länger ein Land der Schwachköpfe sein!“
Er schrieb: „Ab dem 1. Januar werde ich keinen Vertrag mit den Unternehmen in österreichischem Besitz verlängern. Vielleicht wird diese Ohrfeige, die wir erhalten haben, uns wachrütteln.“ Voicu Vușcan ist Eigentümer von Kudjiri Elit, einem der größten rumänischen Wurstwarenhersteller. Die Tageszeitung „Libertatea“ zitierte ihn so:
Wir sind nicht auf Rache aus, sondern wollen als echte Partner in der Europäischen Union behandelt werden.“
Der Verband der Lebensmittelgewerkschaft Sindalimenta rief ebenfalls zum Boykott Österreichs auf. Er werde sein Konto bei der BCR, die zur österreichischen Bankengruppe Erste-Group gehört, schließen und ruft seine Mitglieder zum „Boykott österreichischer Waren und Dienstleistungen“ auf, berichtet „Krónika“. Der Verband erklärt:
„Die Entscheidung Österreichs, den Beitritt Rumäniens zum Schengenraum zu blockieren, ist eine inakzeptable Konfrontation mit Rumänien und den Rumänen. Wir reden hier über Österreich, ein Land, dessen Unternehmen jedes Jahr Hunderte von Millionen Euro in Rumänien verdienen, das sich aber seit jeher weigert, einen fairen Preis für das zu zahlen, was es hier ausbeutet.“
Verantwortung der rumänischen Regierung
Nicht nur die österreichische Regierung wird für das Scheitern des Schengenbeitritts verantwortlich gemacht. Unternehmer kritisieren vor allem auch die rumänische Diplomatie: „Eine Diplomatie, die es kaum gibt und die, wenn sie da ist, lieber in die Knie geht, um niemanden zu verärgern. Bis jetzt haben wir noch niemanden von der Regierung gesehen, der die Verantwortung für dieses katastrophale Versagen übernommen hat.“ Das sagte Dragoş Frumosu, Präsident des Gewerkschaftsbundes Sindalimenta. Die Erfolge von Außenminister Bogdan Aurescu „als Chef der rumänischen Diplomatie [lassen] sich mit einem Wort zusammenfassen: NICHTS“.
János T. Barabás, Senior Analyst am Institut für Außenpolitik und Internationale Wirtschaft, sieht die Schuld am Veto nicht in der rumänischen Diplomatie, berichtet „Krónika“. Laut dem in Cluj geborenen Experten, der als Diplomat in Rumänien und Moldawien gearbeitet hat, war der Haupteinwand gegen die Aufnahme Rumäniens die „Transitrolle Rumäniens bei der Migration“. „Der rumänische Grenzschutz ist natürlich nicht perfekt, aber er entspricht den Schengenstandards, es geht hauptsächlich um technische Bedingungen. Auch die Grenzverkehrsdaten sind gut digitalisiert und den EU-Mitgliedstaaten gut bekannt.“
Der frühere Diplomat erklärt, dass die rumänischen Behörden das von den Österreichern erwähnte Migrationsproblem zurückgewiesen haben. Tatsächlich führt die Hauptmigrationsroute über den Westbalkan, nach Serbien, Kroatien und Slowenien – nicht aber Richtung Rumänien.
Der Krieg in der Ukraine habe auch zur Beendigung des Menschenschmuggels vom Schwarzen Meer aus geführt: „Das können auch die ungarischen Behörden bestätigen, denn es gab relativ wenige Fluchtversuche an der gemeinsamen ungarisch-rumänischen Grenze, mit einem rückläufigen Trend im Vergleich zu den letzten Jahren.“
Bulgarien weist Anschuldigungen zurück, für 50 Euro jedermann in die EU zu lassen
Nun ein paar Worte zu Bulgarien. Nach der Schengenentscheidung sagte der niederländische Staatssekretär für Justiz und Innere Sicherheit, Eric van der Burg, dass Rumänien und Kroatien für den Beitritt bereit seien, Bulgarien aber die Kriterien für die Mitgliedschaft nicht erfülle. Er sagte, dass Bulgarien weiterhin ein Kandidatenland für die Beitrittsverhandlungen sei.
Momentan gebe es aber noch „Bedenken hinsichtlich der Korruptionsbekämpfung und der Rechtsstaatlichkeit in Bulgarien“ und dass das Land die „technischen Voraussetzungen für den Beitritt nicht erfüllt“.
Die Entscheidung des Kabinetts sei laut dem Staatssekretär objektiv und „nicht politisch motiviert“. Er betonte, dass die Ablehnung nichts mit dem Wunsch der niederländischen Regierung zu tun hat, „die Zuwanderung in das Land einzudämmen“, berichtete „Infostart“.
Laut dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte könnte jedoch „jeder für 50 Euro die bulgarischen Grenzen überqueren“ und somit in den Schengenraum einreisen.
Wie „Euractiv“ berichtet, sind die bulgarischen Spitzenpolitiker über Ruttes Kommentar empört. Bulgariens Präsident Rumen Georgiew Radew erinnert:
Drei bulgarische Polizeibeamte wurden kürzlich beim Schutz der EU-Außengrenze getötet. Der niederländische Ministerpräsident Rutte erhebt nun den inakzeptablen Vorwurf, dass die Grenze für 50 Euro überschritten werden kann. Statt europäischer Solidarität ist Bulgarien mit Zynismus konfrontiert.“
Der bulgarische Generalstaatsanwalt fordert, dass die Niederlande konkrete Daten über ähnliche Korruptionsfälle vorlegen sollten, damit sie von den bulgarischen Behörden untersucht werden können.
Der ehemalige bulgarische Ministerpräsident Stefan Janev unterbreitete einen radikalen Vorschlag: Das Parlament in Sofia solle die bulgarische Führung verpflichten, sich jeder niederländischen Initiative auf EU-Ebene zu widersetzen.
Etwas Licht am Horizont
Nach den ersten enttäuschten Reaktionen in Rumänien und Bulgarien kam es zu neuen Besprechungen im Europäischen Rat. Eine Konsultation am 15. Dezember hat dazu beigetragen, die Spannungen zu entschärfen. Auch über den Schengenraum wurde bei den Treffen diskutiert.
Laut „Krónika“ blicken die Staats- und Regierungschefs der Balkanländer nach dem Treffen wieder optimistischer in die Zukunft. Der Beitrittsprozess könnte mit einem positiven Ergebnis für Rumänien und Bulgarien im Jahr 2023 enden.
Der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer schlug außerdem vor, dass EU-Gelder für den Bau eines Zauns zwischen Bulgarien und der Türkei verwendet werden sollten.
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