Hamas nutzt Guerillataktik – droht ein „ewiger Krieg“ in Gaza?
Im Gazakrieg ist die Lage angespannt. „Die Hamas ist überall im Gazastreifen präsent“, sagte Joost Hiltermann von der Denkfabrik International Crisis Group dem „Wall Street Journal“. „Die Hamas ist noch lange nicht besiegt.“
Die Terrororganisation sei zu einer Guerillataktik übergegangen, was in Israel die Befürchtung schüre, in einen „ewigen Krieg“ zu geraten, berichtete die Zeitung. Israels Verteidigungsminister Joav Galant warnte, das Fehlen einer Alternative zur Hamas-Herrschaft in Gaza drohe Israels militärische Erfolge zu untergraben.
Die USA teilten Galants Besorgnis, dass Israel dafür keine Pläne habe, sagte ein ranghoher US-Beamter der „Times of Israel“. Dadurch sei die Terrororganisation in der Lage, sich in von der Armee geräumten Gebieten neu aufzustellen und die Kontrolle wiederzuerlangen. Das sei „besorgniserregend“, hieß es.
Geheimdienst: Gibt kein Machtvakuum in Gaza
Unabhängig davon, ob Israel Rafah in vollem Umfang angreife oder nicht, werde die Hamas nach Auffassung aktiver und ehemaliger israelischer Militärs sowie nach Einschätzung der US-Geheimdienste wahrscheinlich überleben und in anderen Gebieten des abgeriegelten Küstenstreifens weiter bestehen, schrieb das „Wall Street Journal“.
Die Hamas wende eine sogenannte „Hit and Run“-Taktik an, bei der kleinere Gruppen von Terroristen aus dem Hinterhalt zuschlagen und dann schnell wieder in unterirdischen Tunneln verschwinden würden, zitierte die Zeitung Sicherheitsanalysten.
Israels Offensive im Gazastreifen erziele zwar bereits Ergebnisse, die Hamas sei militärisch schon sehr dezimiert, sagte Verteidigungsminister Galant.
Solange die Hamas aber die Kontrolle über das zivile Leben in Gaza bewahrt, kann sie sich wieder neu aufbauen und erstarken, so dass die israelische Armee zurückkommen und kämpfen muss, in Gebieten, in denen sie bereits im Einsatz gewesen war.“
Es gebe im Gazastreifen kein Machtvakuum, sagte Michael Milshtein, ein ehemaliger Leiter der Palästinenserabteilung des israelischen Militärgeheimdienstes, dem „Wall Street Journal“. Jeder Ort, den Israels Armee räume, werde von der Hamas besetzt. „Im Moment gibt es keine Alternative zur Hamas“, sagte Milshtein.
Verteidigungsminister fordert Alternative zur Hamas-Herrschaft
Galant hatte gestern die Unentschlossenheit Israels in der Frage kritisiert, wer nach dem Krieg in Gaza herrschen soll. Palästinensische Vertreter müssten – begleitet von internationalen Akteuren – die Kontrolle übernehmen und so eine Regierungsalternative zur Hamas-Herrschaft schaffen, empfahl der Verteidigungsminister.
Sonst blieben nur zwei negative Optionen: eine Fortsetzung der Hamas-Herrschaft oder eine israelische Militärherrschaft.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte zuvor erklärt, es sei sinnlos, vor einem Sieg über die Hamas über die künftige Verwaltung des Küstenstreifens zu sprechen. Bis klar sei, dass die Hamas nicht mehr militärisch in Gaza herrscht, werde kein anderer Vertreter bereit sein, die Zivilverwaltung in Gaza zu übernehmen – „aus Angst um seine Sicherheit“.
Luftangriffe im Nordosten des Libanons
Unterdessen berichteten libanesische Medien von schweren israelischen Luftangriffen im Raum Baalbek im Nordosten des Libanons. Von israelischer Seite gab es zunächst keine Bestätigung dafür. Die Hisbollah-Miliz im Libanon hatte kurz zuvor nach Angaben des israelischen Militärs rund 60 Geschosse auf den Norden Israels abgefeuert.
Die Miliz selbst teilte mit, Dutzende Raketen auf das Hauptquartier der Luftüberwachungseinheit bei Meron abgefeuert zu haben. Der Angriff sei eine Reaktion auf das „Attentat des israelischen Feindes“ gewesen.
Israels Armee hatte nach eigenen Angaben bei einem Luftangriff im Südlibanon einen ranghohen Hisbollah-Kommandeur getötet. Baalbek liegt etwa 100 Kilometer von der israelisch-libanesischen Grenze entfernt und gilt als Hochburg der Hisbollah.
Seit Beginn des Krieges im Gazastreifen kommt es täglich zu militärischen Konfrontationen zwischen Israels Armee und der Hisbollah-Miliz sowie anderen Gruppierungen im Grenzgebiet zwischen Israel und dem Libanon.
Gespräche USA-Israel
Die US-Regierung bekräftigte erneut ihre Unterstützung für das Land. Trotzdem könne man Bedenken mit Verbündeten teilen, sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, mit Blick auf Israels umstrittenes Vorgehen in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens.
„Und wir haben sehr deutlich gemacht, dass wir sicherstellen wollen, dass (Israel) in der Lage ist, sich zu verteidigen.“ US-Präsident Joe Biden hatte Israel gedroht, dass eine größere Bodenoffensive in der mit Binnenflüchtlingen überfüllten Stadt Konsequenzen für US-Waffenlieferungen haben könnte.
Jean-Pierre machte deutlich, dass die USA davon ausgingen, dass es sich bisher um einen begrenzten Einsatz des israelischen Militärs in Rafah handele – nicht um eine große Bodenoffensive.
Fünf israelische Soldaten im Gazastreifen getötet
Bei einem Vorfall im nördlichen Gazastreifen sind nach Militärangaben fünf israelische Soldaten getötet worden. Die Armee teilte dies heute nach Aufhebung einer Nachrichtensperre mit. Drei weitere Soldaten seien schwer verletzt worden. Israelische Medien berichteten, die fünf Soldaten seien durch Beschuss eigener Truppen – „friendly fire“ – ums Leben gekommen.
Israelische Panzer hätten am Mittwoch Granaten auf ein Gebäude in dem Flüchtlingsviertel Dschabalia gefeuert, in dem die Soldaten sich aufhielten. Sie hätten diese fälschlicherweise für bewaffnete Palästinenser gehalten.
US-Pier an der Küste des Gazastreifens verankert
Das US-Militär stellte unterdessen einen provisorischen Hafen zur Lieferung von Hilfsgütern in den Gazastreifen fertig. Der Pier sei am Morgen an der Küste verankert worden, teilte das US-Zentralkommando auf X mit und betonte, US-Soldaten hätten den Küstenstreifen dabei nicht betreten.
Mit Unterstützung der Vereinten Nationen sollen in den nächsten Tagen die ersten Hilfslieferungen über die Anlegestelle an Land kommen und im Gazastreifen verteilt werden.
Der Behelfshafen soll als Drehscheibe für die Lieferung von Hilfsgütern dienen. Dort gab es bislang keinen Hafen, der tief genug für größere Frachtschiffe ist.
Eilantrag von Südafrika in Den Haag
Im Zusammenhang mit Israels Militäroffensive in Rafah befasst sich der Internationale Gerichtshof in Den Haag erneut mit einem Eilantrag gegen Israel. Südafrika fordert den sofortigen Rückzug israelischer Truppen aus Rafah, um einen Völkermord an der palästinensischen Zivilbevölkerung zu verhindern.
Die Lage habe sich durch die Angriffe Israels extrem verschlechtert und das Überleben der Menschen sei bedroht. Das höchste Gericht der Vereinten Nationen setzte zwei Tage für die Anhörung an. Heute hat Südafrika das Wort, Israel wird morgen reagieren.
Israel weist alle Vorwürfe entschieden zurück. Der jüdische Staat beruft sich auf sein Recht auf Selbstverteidigung. (dpa/red)
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