Gut Dalwitz – Ein Märchen wird Wirklichkeit

Wie eine Familie über einen Umweg zurück zu ihren Wurzeln fand.
Luftaufnahme des Gut Dalwitz
Das Herrenhaus auf Gut Dalwitz mit Wallgraben. Um das Anwesen zu erhalten, betreibt die Familie in ehemaligen Wirtschaftsgebäuden ein Feriengut (nicht im Bild). Fotos: © Christian Burmester
Von 3. August 2022

Eine ländliche Idylle mitten in der mecklenburgischen Einsamkeit. Tee unter Lindenbäumen, ein rotes Ruderboot, das am Ufer des Wallgrabens angelegt hat, Pferde beim Ausritt auf der Koppel in der nebligen Morgendämmerung: Bilder wie diese wecken ungeahnte Sehnsüchte nach einem Stück Paradies auf Erden. Nur eine Stunde von Rostock entfernt, lässt sich dieses Stück Paradies im „FerienGut Dalwitz“ finden. Spannend ist auch die Geschichte, die sich hinter dem Anwesen verbirgt:

Seit mehr als 670 Jahren ist das Gut Dalwitz im Besitz des Adelsgeschlechts derer von Bassewitz. Mit 46 Jahren Unterbrechung allerdings. Denn 1945 kam es zur Enteignung und Vertreibung der Besitzer. Die Familiengeschichte wurde jedoch nicht beendet. So kehrte Dr. Heinrich Graf von Bassewitz, der bis dahin in Uruguay gelebt und gearbeitet hatte, nach der Wende auf den früheren Besitz seiner Vorfahren zurück. An seiner Seite seine südamerikanische Frau. Lucy Gräfin von Bassewitz sprach mit Epoch Times von ihren abenteuerlichen Anfängen in der „alten Heimat“ ihres Mannes, über Hürden und Schicksalsschläge, die die Familie meistern musste, aber auch über Glücksmomente, die der Alltag auf dem Anwesen für die Familie bereithält.

Lucy Gräfin von Bassewitz kam 1992 von Uruguay nach Mecklenburg. Fotos: © Christian Burmester

Gräfin von Bassewitz, wie kamen Sie zum Gutshaus Dalwitz? 

Das Anwesen gehörte der Familie meines Mannes, Dr. Heinrich Graf v. Bassewitz, den ich mit 22 Jahren in Uruguay kennen- und lieben lernte. In einer regnerischen Nacht erzählte er mir von Dalwitz. Er hatte so eine tiefe Zuneigung zu dem Ort, ohne dass er es wirklich je in seiner Blüte erlebt hatte. Er kannte Dalwitz nur aus den Erzählungen seines Großvaters, der ihm stets die Geschichte seiner Heimat vorgeschwärmt hatte. Dieses Märchen vom ländlichen Idyll, wo man nachmittags den Tee unter den blühenden Linden getrunken hat und von dem Summen der Bienen begleitet wurde. Diese Bilder und Erzählungen prägten meinen Mann sehr stark und weckten in ihm die Sehnsucht, die Familientradition in Dalwitz fortzuführen.

Sein Großvater liebte Gut Dalwitz, er liebte es, mit den Menschen auf seinem Gut zusammenzuarbeiten. Diese Liebe gab er an seinen Enkel weiter. Für meinen Mann war es wichtig, sich diesen Traum, der für ihn auch mit Geborgenheit und Tradition einhergeht, zu erfüllen. Er wollte unbedingt zu seinen Wurzeln zurück. Nach der Wende, nachdem es die DDR nicht mehr gab, bestand nun die Möglichkeit, wieder nach Dalwitz zurückzukehren. Ich dachte mir damals nur: „Dann muss ich jetzt wohl mit ihm mit“. Die Realität war ernüchternd. In Dalwitz angekommen, stand ich vor einer Ruine. Das war im Februar 1992, als ich das verfallene Gutshaus zum ersten Mal sah.

Wie gingen Sie mit der Situation um?

Ich war 23, sehr geliebt und behütet aufgewachsen und städtisches Leben voller Annehmlichkeiten gewohnt. Für meinen Mann war es wichtig, dass ich dieses Haus sehe, bevor wir heiraten. Als wir ankamen und ich vor dem verfallenden Gutshaus stand, war ich schockiert. Es war zudem Winter, was die ganze Sache insgesamt noch trister werden ließ. Der Putz brökelte von der Wand. Dieses einst so tolle Anwesen in so einem desolaten Zustand zu sehen, machte mich traurig. Alles war so grau, es war furchtbar. Ich spürte aber, dass das Haus mich brauchte. In meinem Tagebuch hatte ich damals geschrieben: „Das Haus blutet, das Haus braucht mich.“ Ich schoss einige Fotos von der Ruine und reiste wieder nach Uruguay zurück. Dort zeigte ich die Bilder meiner Tante, die nur sagte: „Lucy, lass die Hände davon, das ist ein White Elephant.“ [Anm. d. Red.: Der Ausdruck „White Elephant“ ist eine Metapher zur Beschreibung eines Objekts oder eines Bauprojekts, das als teuer gilt, aber im Verhältnis zu seinen Instandhaltungskosten keinen entsprechenden Nutzen oder Wert hat.]

Obwohl mir meine Familie davon abriet, entschied ich mich, das Projekt durchzuziehen. Wir heirateten in Uruguay und kamen nur mit zwei Koffern nach Dalwitz. Wir schliefen auf Matratzen, kochten mit Campinggeschirr und aßen Linsen und Bohnen aus Dosen. Mehr Abwechslung gab es im spärlich ausgestatteten Supermarkt im nächstgelegenen Dorf nicht. Im ganzen Haus gab es nur ein Klo und eine kippelige Badewanne ohne Warmwasser. Zudem konnte ich damals kein Wort deutsch sprechen und fühlte mich manchmal sehr einsam. Trotz allem war es ein toller Sommer und ich war bereit, die Renovierung anzugehen. Es war zwar eine völlig neue und ungewohnte Situation für mich, aber auch eine sehr spannende Zeit: Ich hatte meine große Liebe und ein Abenteuer, das auf mich wartete.

Was bedeutet die Aufgabe, den Gutshof zu erhalten?

Die Erhaltung des Hauses ist wirklich nicht einfach, aber wichtig. Ungeachtet dessen, ob es ein Gutshaus ist oder ein ganz normales Haus – wenn Menschen lange Zeit in einem Haus leben, verbindet man unglaublich viele Erinnerungen mit diesen Häusern. Es sind zumeist gute Erinnerungen, die man auch an die Kinder und Enkelkinder weitergeben möchte. Mit dem Landhaus meiner Großmutter in Uruguay verknüpfe ich solch tolle Erinnerungen. Meinen Kindern erzähle ich oft von den Späßen und Streichen, die wir als Kinder dort gespielt, und von den wunderbaren Festen, die wir dort gefeiert haben.

Der Großvater meines Mannes hat ihm auch sehr viele Geschichten erzählt. Nun ist dieses Haus mit unseren Kindern gefüllt, und sie lieben es. Das Haus symbolisiert für mich Geborgenheit, Tradition und Familienzusammenhalt. Werte, die ich an unsere Kinder weitergeben möchte. Für sie ist es jetzt schon selbstverständlich, dass sie in diesem Haus bleiben und es weitererhalten möchten.

Es ist schön zu sehen, welche individuellen Erinnerungen jeder aus der Familie, ob Jung oder Alt, mit diesem Anwesen verbindet. Die Schwester meines Schwiegervaters wurde in diesem Haus geboren. Als sie mit ihren Kindern zu Besuch kam, war es so schön für mich zu sehen, wie sie die Treppe herunterkamen mit Matratzen in der Hand. Ich liebe große Häuser, wo alle zusammenkommen und wo ständig Abwechslung herrscht. Nächste Woche kommt die Cousine meines Mannes mit ihrer Familie zu Besuch. Wir wohnen und kochen alle gemeinsam, das finde ich ganz toll. Unser Haus ist immer voll. Das ist auch ein Vorteil und das Schöne an einem großen Haus: Es ist offen für die Menschen, die wir lieben. Seinen Besitz zu teilen mit Menschen, die man liebt, ist ein großer Segen.

Familienzusammenhalt: Alle Mitglieder der Familie arbeiten tatkräftig im Feriengut mit. Foto: © Christian Burmester

Muss man irgendwelche Kompromisse machen? 

Wir vermieten den anderen Teil des Hauses, haben ein Feriengut daraus gemacht. Das ist unsere Arbeit, so können wir das ganze Anwesen erhalten. Meine Kinder müssen auch verstehen, was es bedeutet zu arbeiten und dass man im Leben nichts umsonst bekommt. Wenn sie Ferien haben, arbeiten sie auch mit. Mein ältester Sohn ist fünfzehn und grubbert bei uns am Feld. Meine Tochter ist dreizehn, ist gerade beim Schmied und kümmert sich um die Pferde oder hilft im Restaurant mit. Wir arbeiten alle auch im Haushalt. Spülmaschine einräumen, ausräumen, Betten machen, … so ein Haushalt erledigt sich nicht von selbst.

Gibt es Herausforderungen auf dem Gutshof?

Es gibt immer Herausforderungen. Das Leben ist nicht leicht. Es ist wie ein Seil, das viele Knoten hat. Man muss versuchen, diese Knoten zu lösen, um weitergehen zu können. Dann kommt wieder ein Knoten, man löst ihn und geht weiter. Auch am Gutshof gibt es immer irgendetwas, das passiert. Man muss auf dem Weg bleiben. Wir sind jetzt schon 30 Jahre hier. Die ersten zehn Jahre in Dalwitz waren überhaupt nicht einfach. Ich kam zu dieser Ruine, konnte kein Wort deutsch sprechen. Dann kam unsere erste Tochter krank zur Welt. Zehn Jahre lang hatte ich ein Kind mit Epilepsie und lebte immer mit der Angst, dass sie stirbt. Gleichzeitig habe ich Dalwitz aufgebaut, die Ferienwohnungen gestaltet, Fliesen selber gelegt, habe gelernt, Gipskartonwände selber zu machen. Wir haben Dalwitz aus dem Nichts aufgebaut, haben einen Kredit aufgenommen.

2003 ist meine Tochter schließlich verstorben und wir standen vor der Frage, wie es für uns weitergehen soll. Wir beschlossen weiterzumachen. Später haben wir drei weitere Kinder bekommen, das Leben ging weiter.

Das Leben birgt immer Probleme und Schicksalsschläge. Niemand hat uns gesagt, dass das Leben einfach sein muss.

Bewohner des Gut Dalwitz

Auf Gut Dalwitz schlägt jedes Reiterherz drei Schläge schneller. Das Reitangebot ist groß. Foto: © Gut Dalwitz

Wie kam es zur Enteignung und Vertreibung? 

Dazu kann mein Mann Genaueres erzählen. Der Großvater meines Mannes schickte seine Familie in Sicherheit in den Westen zu den Familien, die sie in Schleswig-Holstein hatten. Er selbst versuchte, mit seinen Arbeitern hier in Dalwitz zu bleiben, weil er dies als einzige Möglichkeit sah, um den Besitz zu erhalten. Zudem wollte er seine Leute nicht im Stich lassen. Er musste sich auf seinem eigenen Anwesen verstecken, mal in Scheunen, immer woanders. Er musste auch mitansehen, wie sein Haus komplett geplündert wurde. Die Verwalter in verschiedenen Dörfern rund um Dalwitz passten auf ihn auf.

Er war ein sehr religiöser Mann und hat jeden Morgen die Losungen gelesen [Anm. d. Red.: ein Andachtsbuch, das für jeden Tag des Jahres zwei Bibelverse enthält]. Durch Gottes Hilfe hat er verstanden, welche Richtung er einschlagen und was er machen sollte. So konnte er durchhalten. Es war sehr gefährlich, aber er schaffte es, nach Schleswig-Holstein zu kommen. Er versuchte zwar, in Dalwitz zu bleiben, aber es wurde ihm unmöglich gemacht. Viele Besitzer und Nachbarn rund um Dalwitz wurden erschossen.

Ich kann diese Enteignung überhaupt nicht verstehen. Ich kann nicht nachvollziehen, dass auch nach der Wende, als die DDR nicht mehr existierte, das Land, die Häuser und der Besitz den Eigentümern nicht zurückgegeben wurde. Das ist nicht normal. Warum wird das Eigentum den Besitzern nicht zurückgegeben? Warum bekamen alle anderen Leute, die dann 1992 mehr Geld hatten als die Familien, die enteignet wurden, plötzlich die Gelegenheit, diese Anwesen zu kaufen? Wieso darf jemand Fremdes das Land meiner Familie kaufen, welches seit 1308 im Besitz meiner Familie ist? Das ist nicht gerecht. Mit Ungerechtigkeit kann ich nicht umgehen.

Hier in Mecklenburg wurde ein großer Teil Land von Industriellen aus dem Westen gekauft, die hier überhaupt nicht leben. Sie interessieren sich auch nicht für den Ort und für die Umgebung. Sie bauen hier keine Schule, gehen nicht in die Kirche, sind überhaupt kein Vorbild für die Menschen, die hier leben. Es wäre viel besser, wenn sie das Land an die rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben hätten. Die Menschen, wie auch die Familie meines Mannes, hatten eine so tiefe Liebe und Verbundenheit zu ihren Häusern und ihrem Land. Sie haben wertgeschätzt, was sie hatten und hätten alles gemacht, um hier wieder wohnen zu können.

Wie erhielten Sie schließlich Ihren Familienbesitz wieder zurück?

Indem wir es sukzessive gekauft haben. Und es war wirklich alles andere als einfach. Mein Mann war wie gesagt nicht hier, er musste in Uruguay arbeiten. Mein Schwiegervater und der Großvater hatten ja nichts mehr. Sie ließen all ihren Besitz in Dalwitz zurück, weil sie dachten, sie würden wieder zurückkommen können. Sie konnten einfach nicht verstehen, dass sie weggehen mussten. Mein Schwiegervater kam vom Krieg zurück, hatte für sein Land gekämpft und besaß jetzt weder Land noch Haus. Man hatte ihm alles weggenommen.

Mit Krediten von der Bank haben wir den Besitz peu à peu gekauft. Wir haben jeden Tag von sieben Uhr morgens bis 22 Uhr abends hart gearbeitet.

Gut Dalwitz

Teepavillion am Teich: Eine Idylle wie aus dem Bilderbuch. Foto: © Gut Dalwitz

Worauf sind Sie heute stolz?

Ich habe es nie als eine besondere Leistung empfunden, den Gutshof wieder aufzubauen. Ich wollte das Projekt einfach gemeinsam mit meinem Mann durchziehen. Wenn ich nun zurückblicke, denke ich mir schon, dass es unglaublich ist, was wir geschafft haben. Besonders, wenn wir Rückmeldungen von unseren Gästen bekommen, die es hier paradiesisch finden. Dann denke ich mir: „Eigentlich haben sie recht. Wir leben wirklich in einem Paradies.“

Eine besondere Leistung ist vielleicht doch, dass die Kinder es hier lieben. Wenn wir von einer tollen Reise zurückkommen, freuen sich die Kinder wie wahnsinnig, wieder zu Hause zu sein.

Ich bin stolz darauf, seit dreißig Jahren eine wundervolle Ehe zu führen, obwohl die Zeiten, durch die wir gegangen sind, nicht einfach waren. Wir haben gemeinsam gekämpft und vieles geschafft. Das hat uns zusammengeschweißt, wir sind uns näher als je zuvor.

Ich bin unglaublich dankbar, eine so wundervolle Familie zu haben, dass wir gesund sind und das hier gemeinsam erleben dürfen. Ich freue mich auch sehr, wenn wir zusammen mit Stammgästen, die seit Jahren zu uns kommen, einen Wein in unserem Restaurant trinken und über alte Zeiten plaudern. Das Glück, das wir hier haben, mit anderen Menschen teilen zu können, ist sehr wertvoll für mich.

Was schätzen Sie am meisten?

Ich schätze die Freiheit. Nach getaner Arbeit im Haushalt kann ich hier jeden Tag so gestalten, wie ich es möchte. Ob ich eine neue Ferienwohnung einrichte oder im Restaurant arbeite und dort etwas verändere – meine Arbeit ist so abwechslungsreich und bereitet mir unglaubliche Freude. Dafür bin ich sehr dankbar. Aber das Leben ist nicht umsonst. Wir arbeiten jeden Tag dafür.

Das Interview führte Ani Asvazadurian.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 55, vom 30. Juli 2022.



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