„Grüne“ Atomkraft spaltet die EU
Erkennt die EU die Atomenergie gut zehn Jahre nach der Katastrophe von Fukushima als „grün“ an? Diese Frage spaltet vor der Weltklimakonferenz ab Sonntag in Glasgow die Europäer. In Kürze will die EU-Kommission dazu einen Rechtsakt vorlegen.
„Atomenergie ist eine grüne Energie“, sagt Rafael Mariano Grossi, Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Behörde (IEA). „Sie erzeugt fast keine CO2-Emissionen.“ Diese Meinung vertritt auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Er hat die Atomenergie vor den Präsidentschaftswahlen im April neu entdeckt und kürzlich eine Milliarde Euro für ihren Ausbau angekündigt. Schon jetzt bezieht die Atommacht Frankreich rund 70 Prozent ihres Stroms aus Akws – der höchste Anteil weltweit.
Ohne Atomstrom, so argumentiert Frankreich, kann die EU nicht wie geplant bis 2050 klimaneutral werden. Durch intensive Verhandlungen hinter den Kulissen hat Paris eine Mehrheit der EU-Staaten überzeugt, dass die Atomkraft Teil der sogenannten Taxonomie sein sollte.
Dabei handelt es sich um einen Rechtstext der EU-Kommission, den Investoren weltweit mit Spannung erwarten. Wenn die Brüsseler Behörde Atomenergie als „nachhaltig“ einstuft, kommt das einer Empfehlung an die Finanzmärkte gleich, in Atomanlagen zu investieren.
Auch der US-Investor und Microsoft-Gründer Bill Gates warb in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ für die Kernkraft – nicht uneigennützig, denn Gates hat eine Investitionsgesellschaft namens Breakthrough Energy, mit der er sogenannte Greentech-Firmen fördert, auch im Nuklearbereich.
Von der Leyen: Atom und Erdgas als „stabile Energiequellen“
Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass die EU-Kommission dem Druck solcher Lobbyisten und der Ländermehrheit um Frankreich nachgeben und die Nuklearenergie als klimafreundliche Übergangstechnologie einstufen dürfte. Dies könnte auch für Erdgas gelten, das Deutschland aus Russland bezieht.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte Atom wie Erdgas kürzlich „stabile“, also zuverlässige Energiequellen, solange Europa seinen Strom nicht allein aus Wind, Sonne oder Wasserkraft erzeugen kann. Von diesem Ziel ist die EU noch weit entfernt.
Erneuerbare waren zwar 2020 erstmals die größte Energiequelle in Europa, wie die Kommission vor der Klimakonferenz betonte. Aber sie stehen bisher nur für einen Anteil von 38 Prozent, während fossile Energieträger wie Kohle und Gas auf 37 Prozent kommen. Die Atomkraft kam mit 25 Prozent auf Rang drei.
Für die geplante Ampel-Koalition in Deutschland birgt die Einstufung der Atomenergie als „grün“ Sprengkraft. Deshalb dürfte es auch kein Zufall sein, dass die Brüsseler Kommission ihren Rechtsakt im November vorlegen will – vor der Berliner Regierungsbildung und nach der Klimakonferenz.
Vorwurf: „Greenwashing“ von Atom und Gas
Nicht nur von der Leyens EU-Kommission steht deshalb bei Atomkraftgegnern in der Kritik, sondern auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Umweltschützer und Politiker wie der luxemburgische Energieminister Claude Turmes und der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold werfen Merkel vor, auf ihrem wohl letzten EU-Gipfel im Oktober dem „Greenwashing“ von Atom und Gas stillschweigend zugestimmt zu haben.
Denn unter Merkel hat Deutschland nach Fukushima zwar den Atomausstieg bis zum kommenden Jahr beschlossen. Aber der geplante „delegierte Rechtsakt“ der EU-Kommission könnte nur mit einer qualifizierten Mehrheit von mindestens 20 EU-Staaten gestoppt werden, wie Merkel selbst nach dem Gipfel anmerkte. Und die hat Berlin mit seinen atomkritischen Verbündeten Wien und Luxemburg nicht hinter sich gebracht. (afp/dl)
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