Großbritannien: Starmer bezeichnet Messerkriminalität als „nationale Krise“ – mehr als 50.000 Fälle
Großbritanniens Premierminister Keir Starmer will die Messerkriminalität in seinem Land zu einem seiner Schwerpunktthemen machen. Am Montag, 9. September, stellte er in London zusammen mit dem Hollywood-Schauspieler Idris Elba die „Coalition to Tackle Knife Crime“ vor. Diese soll in Zusammenarbeit mit jungen Menschen, Community-Multiplikatoren, Polizei und Sozialarbeitern dieses Phänomen bis Ende der Dekade halbieren.
Koalition soll tiefere Erkenntnisse über begünstigende Faktoren für Messerkriminalität gewinnen
Starmer sprach im Zusammenhang mit der Messerkriminalität in Großbritannien von einer „nationalen Krise“. Im Zeitraum von April 2022 bis März 2023 ist die Zahl der Straftaten, die unter Zuhilfenahme eines Messers begangen wurden, auf rund 50.500 angestiegen. Dies geht aus einer Studie hervor, die das Unterhaus im Herbst des Vorjahres veröffentlicht hatte.
Als einen ersten Schritt will die Labour-Regierung sogenannte Zombie-Messer verbieten. Zudem wolle man weitere Erkenntnisse über die Faktoren gewinnen, die für Messerkriminalität, insbesondere bei jungen Menschen, verantwortlich sind. Darauf aufbauend soll es zielgerichtete politische Maßnahmen geben, um dem Problem entgegentreten zu können. Premier Starmer äußerte dazu:
„Als Direktor der Staatsanwaltschaft habe ich aus erster Hand gesehen, welche verheerenden Auswirkungen Messerkriminalität auf junge Menschen und ihre Familien hat. Dies ist eine nationale Krise, die wir mit aller Kraft angehen werden.“
Online-Verkauf von Messern soll unterbunden werden
Man wolle „diesen Moment nutzen, um als Land zusammenzukommen“. Politiker, Familien von Opfern, junge Menschen selbst, Gemeindeleiter und Technologieunternehmen sollen es „gemeinsam in die Hand nehmen, die Messerkriminalität zu halbieren und unsere Straßen zurückzuerobern“.
Elba ergänzte, man müsse „die Ursachen der Messerkriminalität bekämpfen, nicht nur die Symptome“. Die nunmehrige Koalition sei „ein positiver Schritt, um unsere Gemeinden von innen heraus zu rehabilitieren“.
Zu den wichtigsten Schritten bei der Bekämpfung dieser Form der Kriminalität soll es gehören, die Beschaffung von Messern, insbesondere über das Internet, zu erschweren. Commander Stephen Clayman, der für Messerkriminalität zuständige nationale Polizeichef, leitet eine Untersuchung darüber, wie Messer online an unter 18-Jährige verkauft werden und wie dies unterbunden werden könnte. Er soll Innenministerin Yvette Cooper bis Ende des Jahres einen Bericht vorlegen.
Messerkriminalität seit 2010/11 vom Statistikbüro ausgewiesen
In Großbritannien wird bereits seit längerer Zeit in den Polizeistatistiken vermerkt, wenn ein Messer oder ein anderer spitzer Gegenstand – wie etwa zerbrochene Flaschen – bei Straftaten zum Einsatz kommen. Grund dafür sind mehrere Verbotstatbestände aus den Jahren 1953 bis 1988.
Im Jahr 1953 wurde das unbefugte Mitführen von Angriffswaffen in der Öffentlichkeit untersagt. Ein spezifischeres Verbot des Besitzes von Spring- und Fallmessern kam 1959 dazu. Im Jahr 1988 wurde das Mitführen aller scharfen Gegenstände, mit Ausnahme von Taschenmessern mit einer Klingenlänge von drei Inches (circa 7,62 Zentimeter), untersagt.
Die Verwendung von Messern bei Tötungsdelikten wird bereits den 1980er-Jahren statistisch erfasst, bei anderen Verbrechen seit 2007. Das Nationale Statistikbüro (ONS) publiziert die dazugehörigen Daten seit dem Berichtszeitraum 2010/11.
Zahl der Delikte im Jahr vor der Coronakrise am höchsten
Im ersten Jahr der Erfassung wies die Statistik in England und Wales – ohne Devon und Cornwall – etwa 36.000 Messerdelikte aus. Diese Anzahl sank bis auf 28.300 im Zeitraum 2013/14, ehe sie in den darauffolgenden Jahren kontinuierlich wieder auf 54.300 im Zeitraum 2019/20 stieg. Wahrscheinlich bedingt durch die Corona-Pandemie war bis 2020/21 ein Rückgang auf 44.000 Straftaten dieser Art zu verzeichnen. Anschließend stieg die Zahl der Messerverbrechen wieder an – ohne die Höchststände der Zeit vor Corona zu erreichen.
Am häufigsten kamen Messer oder spitze Gegenstände im Beobachtungszeitraum 2022/23 bei Körperverletzungsdelikten (48,4 Prozent) und Raub (41,5 Prozent) vor. Die Zahl der Tötungsdelikte unter Einsatz von Messern lag 1977 bei 135, im Zeitraum 2021/22 erreichte sie mit 282 einen neuen Höchststand. Allerdings waren 200 oder mehr Tötungsdelikte mit Messern phasenweise bereits Mitte der 1980er-Jahre, Mitte der 1990er, in den meisten 2000ern und Ende der 2010er zu verzeichnen.
Der Anteil der Tötungsdelikte, die unter Verwendung von Messern begangen wurden, lag im Schnitt zwischen 1977 und 2022 bei 41 Prozent. Im vergangenen Jahrzehnt kamen sie in 38 Prozent der Fälle zum Einsatz. Im Zeitraum der Erfassung, der mit März 2023 endete, waren junge Menschen zwischen 10 und 17 Jahren in etwa 18 Prozent der Delikte involviert.
Junge Männer in überdurchschnittlichem Maße involviert
Zu den am stärksten von Messerkriminalität betroffenen Regionen zählen etwa die West Midlands, die Städte wie Birmingham oder Stoke-on-Trent umfassen. Beide waren jüngst Schauplätze von Ausschreitungen infolge des Amoklaufs eines 17-Jährigen in einer Kinder-Tanzschule in Southport. Aber auch der County Cleveland im Nordosten des Landes mit Städten wie Hartlepool, Stockton-on-Tees oder Middlesbrough hat noch mehr Messerverbrechen pro 100.000 Einwohner zu verzeichnen als die Hauptstadt London.
Es gibt erst wenige Detailanalysen zu den Hintergründen steigender Kriminalität mit Messern und spitzen Gegenständen. Wie auch in Deutschland zeichnet sich tendenziell ab, dass vor allem jüngere Männer in diese Form von Straftaten involviert sind. Zu den Faktoren gehören dabei Wohnsitze in sozial benachteiligten Gebieten mit wenig beruflichen Perspektiven und sinnvollen Freizeitmöglichkeiten, Gangkriminalität und desolate familiäre Verhältnisse.
Bereits in den 1980er-Jahren hatten zudem Phänomene wie Kriminalität im Umfeld von Fußballspielen (Hooliganismus) oder die Zugehörigkeit zu gewaltbereiten jugendlichen Subkulturen (Skinheads, Punks, Mods usw.) den Einsatz von Messern bei Straftaten zum Zwecke sogenannter Revierverteidigung begünstigt. Forscher wie Elaine Williams und Peter Squires, die zu dem Thema publizieren, sprechen auch von Rassismus, Gentrifizierung und „Overpolicing“ von begünstigenden Faktoren.
Kein Zusammenhang zwischen Häufigkeit von Messerkriminalität und religiöser Zugehörigkeit
Einen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Kriminalität, bei der Messer und andere spitze Gegenstände zum Einsatz kommen, und der Verbreitung von Angehörigen bestimmter religiöser Communitys lässt die Statistik unterdessen nicht erkennen. Die höchste Messerkriminalitätsrate mit 426 Fällen auf 100.000 Einwohner und einem Plus von 20 Prozent gegenüber 2021/22 weist Westminster auf. In dem Innenstadtbezirk befinden sich unter anderem die Regierungsinstitutionen, aber auch zahlreiche bekannte Touristenziele.
Mit 240 Fällen von Messerkriminalität auf 100.000 Einwohner liegt der London Borough of Southwark auf Platz 2. Der Zuwachs von 2021/22 auf 2022/23 betrug dort 38 Prozent. Der Bezirk gilt als eine Hochburg von Glücksspiel und Prostitution. Der Anteil von Muslimen an der Wohnbevölkerung beträgt dort lediglich 9,6 Prozent.
Demgegenüber liegt die Zahl der Messerangriffe pro 100.000 Einwohner in Tower Hamlets mit 170 deutlich niedriger. Auch der Anstieg im Laufe des Berichtsjahres betrug lediglich vier Prozent. In diesem Bezirk ist der muslimische Bevölkerungsanteil mit 39,9 Prozent einer der höchsten. Generell ist Tower Hamlets Ende 2023 laut Polizeiangaben weniger stark von Kriminalität betroffen als andere Gebiete mit ähnlichem Einkommensdurchschnitt.
Auch unter den vier Bezirken mit dem höchsten Anstieg von Messerstraftaten im Auswertungszeitraum weisen mit Havering (plus 43 Prozent) und Bromley (plus 39 Prozent) zwei einen Anteil an Muslimen von unter zehn Prozent der Wohnbevölkerung aus. Im Tees Valley – wo der stark von Messerdelikten heimgesuchte Cleveland County liegt – beträgt er 3,8 Prozent.
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