„Green Deal“ gefährdet? Timmermans EU-Exit löst bei Grünen Sorge aus

Nun ist es offiziell: Frans Timmermans ist Spitzenkandidat des Linksbündnisses für die niederländischen Wahlen. Gleichzeitig verkündete er sein Ausscheiden als EU-Kommissionsvize. Die Grünen im EU-Parlament befürchten, dass ohne den „Vater des Green Deal“ die Klimapolitik in Brüssel an Bedeutung verliert.
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Der bisherige EU-Kommissionsvize Frans Timmermans spricht am 22. August 2023 in Den Haag zu Mitgliedern der PvdA und der grünen Partei GroenLinks. Er will nächster Premierminister der Niederlande werden.Foto: ROBIN UTRECHT/ANP/AFP via Getty Images
Von 23. August 2023

In den Niederlanden ist der bisherige EU-Kommissionsvize Frans Timmermans von den Sozialdemokraten und Grünen zu ihrem Spitzenkandidaten für die vorgezogene Parlamentswahl am 22. November nominiert worden. Die sozialdemokratische PvdA und die Partei Groenlinks wählten den niederländischen Politiker am 22. August mit knapp 92 Prozent an die Spitze ihrer Wahlliste. Timmermans war der einzige Kandidat.

Großzügige Abfindung

Kurz darauf trat der 62-Jährige wie im Juli angekündigt von seinem Posten als Stellvertreter von Kommissionschefin Ursula von der Leyen zurück. Gegenüber dem niederländischen „Telegraaf“ bestätigte die Linkspartnerschaft, dass Timmermans nach seinem selbst gewählten vorzeitigen Ausscheiden von einer großzügigen Abfindungsregelung Gebrauch machen wird. Demnach könnte das Entlassungsgeld, das auf Timmermans Privatkonto gutgeschrieben wird, auf eine halbe Million ansteigen.

Seine Aufgaben übernimmt vorübergehend Kommissionsvizepräsident Maroš Šefčovič, der bisher für die Beziehungen zu Großbritannien und der Schweiz zuständig ist. Das gab die EU-Kommission ebenfalls am Dienstag in einer Erklärung bekannt. Dabei soll sein Fokus weniger auf neuen Gesetzesvorschlägen liegen als auf der Umsetzung der beschlossenen Vorhaben. Außerdem soll er in Dialog mit Industrie, Bauern und Waldbesitzern treten.

Der 57-jährige Slowake Šefčovič, Sozialdemokrat wie Timmermans, bedankte sich in einem Twitter-Beitrag für seinen neuen Zuständigkeitsbereich:

Es ist mir eine Ehre, die Umsetzung des #EUGreenDeal fortzusetzen und dabei einen starken Fokus auf unsere Industrie und unsere Bürger zu legen.“

Timmermans war der sogenannte „Vater des Green Deal“, dessen Umsetzung er seit 2019 mit großem Einsatz vorantrieb. Mit dem Klimaschutzpaket will die Europäische Union erreichen, dass alle Mitgliedstaaten bis 2050 Klimaneutralität erreichen. Das gesteckte Ziel bis 2030 liegt darin, Netto-Treibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren.

Endgültige Nachfolge noch unklar

Kommissionspräsidentin von der Leyen dankte Timmermans nach dessen Rücktritt für seine „leidenschaftliche und unermüdliche Arbeit, um den ‚Green Deal‘ umzusetzen“. Die EU sei dank Timmermans‘ Einsatz „weit vorangeschritten“.

Erst vor kurzem hatte Timmermans noch das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur – von der Leyens wichtigstes Projekt ihrer Amtszeit – durch das Europaparlament gebracht. Widerstand hatte es dabei bis zuletzt vor allem von der Europäischen Volkspartei (EVP) unter Führung von Manfred Weber (CSU) gegeben. Der Weggang Timmermans könnte nun den endgültigen Abschluss des Gesetzes jedoch erschweren, dessen Verhandlungen im Herbst stattfinden.

Für Timmermans muss die niederländische Regierung mittelfristig einen Ersatz nach Brüssel schicken. Kommissionspräsidentin von der Leyen bat den noch amtierenden niederländischen Regierungschef Rutte, einen Kandidaten für die Nachfolge Timmermans‘ vorzuschlagen.

Es ist bereits der zweite Rücktritt eines EU-Kommissars binnen weniger Monate: Im Mai war die Bulgarin Mariya Gabriel vom Posten als Kommissarin für Innovation und Kultur zurückgetreten, um Teil der neuen Regierung in Sofia zu werden. Zudem kündigte die einflussreiche Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager für kommendes Jahr ihre Kandidatur für die Leitung der Europäischen Investitionsbank (EIB) an.

Timmermans appelliert an die Niederländer

Timmermans war seit fast einem Jahrzehnt als Vizepräsident der EU-Kommission tätig. Ab 2014 war er zunächst Grundrechtekommissar unter Jean-Claude Juncker. Bei der Europawahl 2019 trat Timmermans als Spitzenkandidat für die europäischen Sozialdemokraten an. Damals hatte er der sozialdemokratischen PvdA bei dem Urnengang in den Niederlanden zu einem überraschenden Sieg verholfen.

Im Juli hatten die PvdA und die Grünen beschlossen, erstmals mit einem linksgerichteten Parteienbündnis, einer gemeinsamen Liste und einem gemeinsamen Wahlprogramm zur Parlamentswahl anzutreten. Das Ziel ihrer Vereinigung liegt unter anderem darin, die Bauern-Bürger-Bewegung zu stoppen. Diese hatte im Mai einen Erdrutschsieg bei den Provinzwahlen erzielt und war als stärkste Partei hervorgegangen.

In Timmermans sehen Beobachter ein politisches Schwergewicht im Kampf um die Regierungsspitze für kommenden November. In einem Twitter-Beitrag nach seiner Nominierung benennt er die „großen Herausforderungen für die Niederlande“, die seiner Meinung nach in der „Klimakrise, der Wohnungsnot und der Ungleichheit“ bestehen. Dabei ruft er die Niederländer zur Mithilfe auf: „Wenn wir es gemeinsam anpacken, dann klappt es auch.“

Das amtierende Kabinett der Niederlande unter Ministerpräsident Mark Rutte war am 7. Juli im Streit um die Asylpolitik zerbrochen. Neben Rutte hatten danach auch alle anderen Spitzenkräfte der vier bisherigen Koalitionspartner ihren Abschied aus der Politik erklärt. Rutte selbst war knapp 13 Jahre lang Regierungschef.

Grüne befürchten Stagnation in EU-Klimapolitik

In der EU-Kommission hinterlässt das Ausscheiden von Timmermans ein gewisses Vakuum, was die diplomatischen Bemühungen im Bereich des Klimawandels und der Umweltpolitik angeht. Der niederländische Abgeordnete war einer der führenden Verhandlungsführer bei den jährlichen UN-Klimagipfeln.

Vor allem die Grünen sind besorgt, dass ohne Timmermans die Klimapolitik in Brüssel an Bedeutung verlieren wird. Neben den Konservativen im Europaparlament hatten zuletzt mehrere Regierungschefs eine Regulierungspause gefordert – darunter der französische Präsident Emmanuel Macron.

Neben dem umstrittenen EU-Renaturierungsgesetz wird derzeit noch ein weiterer Vorschlag verhandelt: die Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pestiziden (SUR). Die Kommission will mit der Pestizide-Verordnung den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bis 2030 halbieren. In Naturschutzgebieten sollen Pestizide sogar komplett verboten werden.

Bisher war überdies geplant, dass die EU-Führung im dritten Quartal 2023 einen Gesetzesvorschlag für nachhaltige Lebensmittelsysteme präsentiert. Dies sollte Teil der „Farm to Fork“-Strategie sein, die sich um den landwirtschaftlichen und Lebensmittelbereich des Green Deal dreht. Einige Umweltschützer sind jedoch besorgt, dass dieser Vorschlag letztendlich eher den Schwerpunkt auf die Lebensmittelsicherheit legen könnte.



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