Gibt Frankreichs Kirche sich auf? Nur noch sechs Prozent der Bevölkerung praktizierende Katholiken
Der frühere Parteichef der Republikaner, Laurent Wauquiez, spricht von „Christenfeindlichkeit“, die sich in Frankreich Bahn breche. Edouard de Lamaze, Anwalt, Bürgermeister von Bois-Héroult und Chef der Stiftung für den Schutz religiöser Denkmäler (Observatoire du patrimoine religieux) will nicht einmal angesichts von mehr als 1.000 Übergriffen gegen christliche Kirchen und religiöse Stätten im Jahr 2018 diesen Begriff verwenden.
Dennoch scheint der Zerfall des katholischen Milieus, der im deutschsprachigen Raum vor allem in den 1980er und 1990er Jahren Platz griff, nun auch Frankreich zu erreichen.
Konzils-Effekt mit Verzögerung
Bis vor einigen Jahren galt Frankreichs Katholizismus als Beispiel für eine Kirche, die trotz eines gleichsam zum Fetisch erhobenen Staatslaizismus lebendig und glaubenstreu blieb. Anders als in Deutschland, wo im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 und des Reichskonkordats von 1933 Enteignungsentschädigungen und staatsrechtliche Beziehungen zwischen Kirche und Staat umfassend geregelt sind, fehlen solche Verträge in Frankreich.
Während das Konkordat in Deutschland eine Verweltlichung der Kirche bewirkt hat, eignete sich der Staat in Frankreich 1905 die Kathedralen an, was mit der Verantwortung einherging, den Erhalt der denkmalgeschützten Stätten zu gewährleisten – was bisweilen besser, bisweilen weniger erfolgreich gelang. Von 45.000 im Staatsbesitz befindlichen Kirchen stehen mehr als 30.000 jedoch nicht unter Denkmalschutz. Die Kapellen sind dabei noch nicht einmal mitgerechnet.
Die Kirche musste die Finanzierung ihrer geistlichen Aufgaben hingegen selbst sicherstellen. Dies war ein Vorteil für Gemeinden, die es verstanden, ein hohes Maß an Identifikation vonseiten des katholischen Milieus zu bewahren. Die Erfahrung von Verfolgung und Unterdrückung durch den postrevolutionären Staat schweißte die Gläubigen zusammen.
Es war vor diesem Hintergrund auch wenig überraschend, dass ausgerechnet aus Frankreich erbitterter Widerstand gegen die Ergebnisse des Zweiten Vatikanischen Konzils kam und die Priesterbruderschaft St. Pius X. des schismatischen Erzbischofs Marcel Lefebvre von dort aus in die katholischen Communitys zahlreicher Länder hineinwirken konnte. Heute ist ihr Sitz im schweizerischen Menzingen, Kanton Zug.
Islam dringt in Frankreichs religiöses Vakuum vor
Nun jedoch, so äußert sich der Politologe und Demoskop Jérôme Fourquet gegenüber der „Welt“, mache der Anteil praktizierender Katholiken an der Gesamtbevölkerung nur noch sechs Prozent aus. „Die Matrix, die Frankreichs Gesellschaft über Generationen geprägt hat, löst sich endgültig auf“, so sein Fazit. Diese Entwicklung habe bereits in den 1960er Jahren begonnen – in jenem Jahrzehnt, in dem das Zweite Vatikanische Konzil stattgefunden hatte.
Der Umstand, dass täglich im Schnitt zwei katholische Kirchen zum Opfer von Vandalismus, Diebstahl oder Schändung werden und 2018 die Zahl der Übergriffe gegen katholische Einrichtungen sogar die der antisemitischen (541 Taten) und islamfeindlichen (100) zusammen überstieg, schweißt die Katholiken in Frankreich nicht mehr zusammen – auch dann nicht, wenn politische Motive wie Linksextremismus oder Satanismus hinter den Taten stehen.
Sogar de Lamaze gibt zu, dass ein religiöses Vakuum, für das fast sinnbildlich verlassene, abgerissene, verkaufte oder säkularisierte Kirchen stehen, zunehmend anderweitig gefüllt wird:
Jede zweite Woche eröffnet in Frankreich eine neue Moschee, während wir jedes Jahr 40 bis 50 katholische Kirchen verlieren, weil sie abgerissen, verkauft oder radikal umgebaut werden.“
5.000 katholische Kirchengebäude in Gefahr
Von den rund 45.000 im Besitz kommunaler Träger befindlicher Kirchen seien etwa 5.000 in Gefahr, ein ähnliches Schicksal zu erleiden, weil der Staat das Geld für die Instandhaltung des religiösen Kulturerbes nicht aufbringen kann oder will – weil eine Kommune andere Prioritäten setzt.
Zwar veranschlagt die öffentliche Hand in einem der ältesten christlichen Länder Europas jährlich etwa 100 Milliarden Euro für die Pflege christlicher Gotteshäuser. Dies reicht aber bei weitem nicht aus, um den entstehenden Bedarf zu decken. Und in einer Situation der Verweltlichung katholischer Gemeinden schwindet auch die Bereitschaft, die Erledigung von Aufgaben dieser Art durch private Spenden zu unterstützen.
Die Folge ist, dass leerstehende Kirchengebäude, vor allem jene, die nicht unter Denkmalschutz stehen, nicht selten in weltliche Hände fallen – und eine Nutzung als Hotels, Restaurants, Fitnessclubs oder Diskotheken erfahren.
Ein hoher islamischer Würdenträger schlug 2015 vor, leer stehende Kirchengebäude an muslimische Gemeinschaften zur Nutzung als Moschee zu veräußern. Dies war der bislang einzige Fall, in dem ein Kaufangebot eine Gegenkampagne ausgelöst hat.
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