Gewinner und Verlierer der türkisch-russischen Einigung im Syrien-Konflikt
Mit seinen Vereinbarungen mit den USA und Russland hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ein langjähriges Ziel in Nordsyrien erreicht: den Abzug der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) von der türkischen Grenze. Doch Erdogan ist nicht der einzige Gewinner der politischen Neuordnung in der Region. Auch der russische Staatschef Wladimir Putin und Syriens Machthaber Baschar al-Assad profitieren.
WAS FÜR DIE REGION VEREINBART WURDE
Nachdem die türkische Armee einen 120 Kilometer langen und 30 Kilometer breiten Streifen zwischen den syrischen Grenzstädten Ras al-Ain und Tal Abjad erobert hatte, vereinbarte Erdogan am vergangenen Donnerstag mit US-Vizepräsident Mike Pence eine fünftägige Feuerpause, um der YPG den vollständigen Abzug aus dieser Zone zu ermöglichen.
Am Dienstag schloss er dann mit Putin in Sotschi eine zweite Vereinbarung, wonach die russische Militärpolizei in Abstimmung mit den syrischen Regierungstruppen für den Rückzug der YPG-Kämpfer auch aus einem 30 Kilometer breiten Grenzstreifen östlich von Ras al-Ain und westlich von Tal Abjad sorgen soll.
Die eroberte Zone bleibt unter der Kontrolle Ankaras. Östlich und westlich der Zone soll es künftig in einem zehn Kilometer breiten Streifen gemeinsame türkisch-russische Patrouillen geben. Ausgenommen davon ist die Stadt Kamischli, die bereits unter Kontrolle der syrischen Armee steht.
EIN KLARER ERFOLG FÜR ERDOGAN
Für den türkischen Präsidenten sind die Vereinbarungen ein klarer Erfolg. Die Türkei dringt schon seit Jahren auf den Abzug der YPG, deren Präsenz sie wegen ihrer engen Verbindungen zu den kurdischen PKK-Rebellen als Bedrohung betrachtet. Die Autonomie der Kurden war Ankara ebenso ein Dorn im Auge wie die US-Unterstützung für die YPG im Kampf gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS). Beides ist nun Geschichte.
DIE KURDEN SIND DIE VERLIERER
Mit ihrer Offensive hat die Türkei die Verwaltung der kurdischen Autonomieregion gezwungen, die Truppen Assads zu Hilfe zu rufen. „Die Verlierer sind die Kurden, die ihre ganze Autonomie und ihre Macht in der Region verlieren“, sagt der französische Syrien-Experte Fabrice Balanche. Sie müssen nun ihre Truppen aus wichtigen Städten wie Kobane, Kamischli, Manbidsch und Tal Rifat zurückziehen, ohne dafür eine Gegenleistung zu bekommen.
ASSAD GEWINNT DIE KONTROLLE ZURÜCK
Für den syrischen Machthaber ist die Rückkehr seiner Truppen in die Kurdengebiete im Nordosten ein wichtiger Wendepunkt in dem achtjährigen Bürgerkrieg. Aus Sicht von Emre Kaya vom Istanbuler Forschungszentrum Edam ist Assad „der größte Gewinner der beiden Vereinbarungen“, da er ohne Einsatz von Gewalt „die Kontrolle über die Grenzen, über mehrere wichtige Städte und bedeutende Transportwege zurückgewonnen hat“.
RUSSLAND STÄRKT SEINEN EINFLUSS
Neben Assad profitiert auch der Kreml vom Abzug der US-Truppen, indem er seinen politischen Einfluss und seine militärische Kontrolle in Nordsyrien ausweitet. Nach Ansicht des Analysten Ayham Kamel von der Eurasia Group markieren die jüngsten Entwicklungen „einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Regelung des Syrien-Konflikts“. Russland erscheine nun mehr denn je „als zentraler Akteur in Syrien und der Region“.
DER WESTEN IST AUSSEN VOR
Nach dem Abzug der US-Truppen ist der Einfluss des Westens geringer denn je. Die USA hätten „gegenüber ihren lokalen und internationalen Verbündeten an Glaubwürdigkeit verloren“, sagt Balanche. Die EU werde ihrerseits eine Lösung finden müssen für das Problem der tausenden inhaftierten IS-Kämpfer und ihrer Angehörigen, die nun unter die Kontrolle Assads fallen würden oder zurück nach Europa zu kommen drohten.
IDLIB KÖNNTE DEN PREIS ZAHLEN
Ein weiterer Verlierer der jüngsten Vereinbarungen könnten die von Ankara gegen Assad unterstützten Rebellen und Dschihadisten in Idlib sein. Denn im Gegenzug für die Hilfe Russlands gegen die YPG-Miliz könnte die Türkei zugestimmt haben, die Augen vor einer Offensive der syrischen Regierungstruppen auf die letzte Rebellenbastion Idlib zu verschließen, wie Kamel erläutert. Ohne die politische und militärische Unterstützung Ankaras würden die Rebellen deutlich geschwächt. (afp)
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