Gerichtliches Tauziehen: Wer zahlt nun für die Nord Stream-Schäden?

In London findet ein Prozess um die mögliche Verpflichtung zur Versicherungsdeckung für die Schäden an Nord Stream statt. Die Versicherer Lloyds und Arch lehnen eine Zahlung ab, weil sie den Kriegsakt eines Staates als Ursache sehen – und dieser Fall nicht versichert sei.
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Nord Stream II: Untersuchung mit einer Unterwasserdrohne.Foto: iStock
Von 22. April 2024

Die Versicherer der Erdgas-Pipeline Nord Stream bestreiten eine Verpflichtung zur Deckung von Schäden aufgrund des mutmaßlichen Sabotageakts vom 26. September 2022. Sie berufen sich dabei auf eine Kriegsklausel und behalten sich selbst im Fall einer Verurteilung eine Zahlungsverweigerung vor – mit Hinweis auf Sanktionen.

Im März hatte die in der Schweiz ansässige Betreibergesellschaft beim High Court of London eine Klage auf Zahlung von fast 400 Millionen Euro eingebracht. Wie die „Financial Times“ damals unter Berufung auf Gerichtsdokumente mitteilte, will man damit zumindest einen Teil der Kosten für die Wiederinstandsetzung hereinbringen. Diese werden auf 1,2 bis 1,35 Milliarden Euro geschätzt.

Versicherer halten Regierungshandeln hinter Schaden an Nord Stream für erwiesen

Namens der Versicherer haben nun die Unternehmen Lloyds und Arch ihre Klagebeantwortung eingereicht. Der schwedische Unternehmer Erik Andersson, der in Eigenregie Nachforschungen über die möglichen Hintermänner des Anschlags angestellt hatte, hat diese inzwischen über X veröffentlicht.

Beide Versicherer beziehen sich im Kern darauf, dass es sich bei der Explosion, die beide Röhren von Nord Stream beschädigt hatte, um einen Kriegsakt handelte. Sie halten es für erwiesen, dass eine Regierung oder eine im Auftrag einer solchen handelnden Person den Schaden verursacht haben musste.

Die Versicherer verweisen auf eine Ausschlussklausel, die sich auf Schäden in kausaler Verbindung zur Detonation eines Sprengkörpers bezieht. Gleiches gelte für solche, die durch Kriegswaffen oder aus Böswilligkeit und politischen Motiven heraus verursacht worden seien. Damit sei auch eine Haftung für Terrorakte ausgeschlossen. Dies gelte sowohl für absichtlich als auch für fahrlässig verursachte Schäden und unabhängig davon, ob der Verursacher im Auftrag eines souveränen Staates gehandelt habe oder nicht.

Im Fall einer Verurteilung wollen Versicherer unter Verweis auf Sanktionen nicht bezahlen

Zudem verweist der Schriftsatz auf eine Bestimmung, der zufolge es auf dem Energiemarkt üblich sei, „dass die Deckung von Kriegsrisiken auf schwimmende Vermögenswerte beschränkt ist (die von den Feindseligkeiten wegbewegt werden können)“. Die Versicherer sehen die herbeigeführten Schäden zudem an beiden Röhren als ein zusammenhängendes Ereignis an.

Damit möchten sie sich absichern für den Fall, dass das Gericht an einem Staat als Urheber oder an der Qualifikation als Terrorakt zweifeln und den Anspruch der Kläger bejahen sollte. Für diesen Fall bestreiten sie die Zahlungsverpflichtung aufgrund von Sanktionen.

Aufgrund dieser hatten sich Lloyds und Arch bereits 2021 aus der Versicherung von Nord Stream 2 zurückgezogen. Allerdings hatte es keine solchen gegen die erste Nord-Stream-Pipeline gegeben, deren Betrieb den Klägern aus der Schweiz zugekommen war. Bezüglich dieser hatten im Vorjahr sogar Allianz und Munich Re ihre – allerdings bis dato theoretische – Versicherungsdeckung erneuert.

Nord Stream dürfte in der Frage der Beweislast richtig liegen

Ein Streitpunkt im Rahmen des Prozesses wird voraussichtlich auch die Frage sein, wen die Beweislast für welche Behauptung trifft. Die Nord Stream AG steht auf dem Standpunkt, dass die Versicherer zu beweisen haben, dass eine Regierung hinter dem Anschlag steht, wenn sie unter Berufung darauf die Zahlung verweigern wollen.

Lloyds und Arch schreiben, dass es „höchstwahrscheinlich“ eine Regierung gewesen sei, die dies angeordnet habe – und Nord Stream das Gegenteil beweisen müsse. Andersson verweist unterdessen auf die Aussage von Rechtsgelehrten, wonach der versicherte Antragsteller beweisen müsse, dass der Schaden als solcher versichert sei.

Sollten Regierungen jedoch leugnen, in die Sabotage verwickelt zu sein, werde es zu einer Frage der Beweiswürdigung. Zudem, so habe Versicherungsrechtsexperte Said Mahmoudi ihm gegenüber erklärt, müssten die Versicherer beweisen, dass die Anschläge eine von einer Regierung befohlene Kriegshandlung waren, damit die Kriegsklausel greife.

Deutsche Ermittlungsbehörden favorisieren derzeit „Andromeda“-Theorie

Im Nachgang zu den Explosionen hatten Russland und der Westen einander wechselseitig vorgeworfen, für die Sabotage verantwortlich zu sein. Von allen im Umlauf befindlichen Theorien gilt jene als die am besten belegte, wonach sechs ukrainische Staatsangehörige mit dem Segelboot „Andromeda“ in See gestochen sein sollen. Da der Innendruck in den Pipelines hoch genug gewesen sei, um eine starke Explosion herbeizuführen, hätte demnach ein kleiner Sprengkörper ausgereicht.

Ein polnisches Unternehmen habe dabei die Anmietung der mit gefälschten Pässen ausgestatteten Personen bezahlt. Um wen es sich genau bei diesen gehandelt habe und wer gegebenenfalls aus welchen Gründen der Auftraggeber gewesen sein soll, sei unklar. Einige identifizierte Tatverdächtige bestreiten die Verwicklung.

Im Juni 2022 soll es eine Warnung des niederländischen Militärgeheimdienstes MIVD über einen in der Ukraine geplanten Anschlag auf Nord Stream gegeben haben. Dieser habe auch den BND erreicht. Allerdings sei auch ein konkretes Datum genannt gewesen. Da dieses zum Zeitpunkt der Bewertung durch den BND jedoch schon verstrichen gewesen sei, habe man die Warnung offenbar nicht ernst genommen.



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