Gericht setzt Entlassung von Israels Geheimdienstchef aus

Das Oberste Gericht in Israel hat die von der Regierung beschlossene Entlassung des Chefs des Inlandsgeheimdienstes vorerst ausgesetzt. Eine Richterin erließ eine einstweilige Verfügung, die nach Angaben des Gerichts so lange gilt, bis eine Anhörung in der Angelegenheit stattgefunden hat. Dies solle bis spätestens 8. April passieren.
Mehrere Gruppen, darunter Politiker der Opposition, hatten bei Gericht Petitionen gegen die Entscheidung der Regierung eingereicht.
Israels rechtsreligiöse Regierung von Benjamin Netanjahu hatte ungeachtet von Massenprotesten den Chef des Inlandsgeheimdienstes entlassen. Das Kabinett habe Netanjahus Entscheidung, Schin-Bet-Chef Ronen Bar seines Amtes zu entheben, einstimmig gebilligt, teilte das Büro des Ministerpräsidenten in der Nacht mit.
Es ist laut Medien das erste Mal in der Geschichte Israels, dass eine Regierung den Leiter des Schin Bet entlässt. Tausende Menschen protestierten bei strömendem Regen vor Netanjahus Amtssitz. Dabei kam es laut Medien auch zu Zusammenstößen mit der Polizei.
Netanjahu, gegen den seit Jahren ein Korruptionsprozess läuft, hatte die Entlassung von Ronen Bar am Sonntagabend angekündigt. Als Grund nannte er einen „Mangel an Vertrauen“ in den Geheimdienstchef. Die Beziehungen zwischen den beiden gelten seit Längerem als belastet. Der Schin Bet ermittelt gegen Vertraute von Netanjahu wegen angeblicher Beziehungen zu Katar.
Netanjahu: Mangelndes Vertrauen in Bar führt zu ineffizienter Regierung
In einem Brief des Regierungschefs an die Kabinettsmitglieder hieß es, aufgrund des Vetrauensverlustes in Bar könnten „die Regierung und der Ministerpräsident ihre Aufgaben nicht mehr effizient ausüben“.
Dies behindere die „operationellen Fähigkeiten“ des Geheimdienstes „und die Führung des Staates“. Der Vertrauensverlust habe sich im Laufe des Krieges im Gazastreifen verstetigt, hieß es weiter.
Bar warf Netanjahu in einem am Donnerstag veröffentlichten Brief „persönliche Gründe“ für seine Entlassung vor. Der Regierungschef wolle damit Shin Bets „Ermittlungen zu den Ereignissen, die zum 7. Oktober und anderen ernsthaften Angelegenheiten führten verhindern“.
„Hätte der Shin Bet anders gehandelt, […] hätte das Massaker verhindert werden können“, hatte Bar bei der Vorstellung eines Untersuchungsberichts gesagt.
Die interne Untersuchung habe ergeben, dass der Shin Bet sich sowohl in der Nacht des Angriffs als auch in den Jahren davor falsch verhalten habe, hatte der Geheimdienstchef erklärt. „Wir sind gescheitert“, hatte Bar die Ergebnisse des Berichts zusammengefasst.
Bar war 2021 von der Vorgängerregierung ins Amt berufen worden. Seine Beziehung zu Netanjahu war bereits vor dem Hamas-Angriff angespannt.
Opposition geht juristisch gegen Entlassung vor
Die Opposition im Land hat angekündigt, rechtlich dagegen vorgehen zu wollen. Die Mitte-Rechts-Partei Jesch Atid des Oppositionspolitikers Jair Lapid erklärte am Freitag, sie habe beim Obersten Gerichtshof Berufung gegen das Vorgehen der Regierung eingelegt.
Sie verurteilte die Entlassung von Bar und gab an, die Entscheidung beruhe „auf einem eklatanten Interessenkonflikt“ des Regierungschefs Benjamin Netanjahu.
Die Berufung wurde im Namen von insgesamt vier Oppositionsparteien eingereicht: Neben Jesch Atid schlossen sich die zentristische Nationale Union des ehemaligen Verteidigungsministers Benny Gantz, die Demokratische Partei von Jair Golan und die nationalistische Partei Israel Beiteinu von Avigdor Lieberman an.
Kritiker warnen vor schwerwiegenden Folgen
Dabei geht es Medienberichten zufolge um angebliche Geldzahlungen, die Netanjahus Berater von Katar erhalten haben sollen, um im Gegenzug das Image des Golfemirats in Israel zu verbessern.
Katar gehört neben Ägypten und den USA zu den Unterhändlern bei den indirekten Gesprächen mit der islamistischen Hamas, gilt aber auch als Unterstützer der Terrororganisation.
In Israels Presse werden die Ermittlungen als „Katargate“ bezeichnet. Oppositionsführer Jair Lapid erklärte der „Times of Israel“ zufolge, die Regierung entlasse Bar „nur aus einem einzigen Grund: Um die Katargate-Untersuchung zu stoppen“. Die Oppositionsparteien würden gemeinsam „gegen diesen rücksichtslosen Schritt“ vorgehen, kündigte Lapid an.
Kritiker in Israel befürchten, dass Netanjahu Bar durch einen Nachfolger ersetzen könnte, der ihm ergeben ist und die Ermittlungen einstellt. Sie warnen davor, dass der Inlandsgeheimdienst zum Instrument des Ministerpräsidenten werden und möglicherweise gegen politische Gegner eingesetzt werden könnte.
Netanjahu hatte Bar zuvor bereits aus dem israelischen Verhandlungsteam bei den indirekten Gesprächen mit der Hamas genommen.
Proteste gegen Entlassung
Bar werde sein Amt am 10. April beenden, es sei denn, es werde bereits zuvor ein Nachfolger ernannt, teilte Netanjahus Büro in der Nacht weiter mit. Zuvor war es erneut zu Massenprotesten gekommen. In Jerusalem zogen Tausende trotz strömenden Regens vor Netanjahus Büro und seine Privatwohnung.
Die Polizei setzte dabei laut örtlichen Medien zum Teil Wasserwerfer ein, um die Protestler abzuhalten. Bereits in den Tagen zuvor hatte es große Proteste gegen Bars Entlassung gegeben.
In einer weiteren Untersuchung von Schin Bet über die Fehler, die das Massaker der islamistischen Terrororganisation Hamas und anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober 2023 in Israel ermöglicht hatten, war Netanjahu ebenfalls nicht gut weggekommen.
Israels Angriffe am Dienstag beendeten Waffenruhe
Der Terrorüberfall war Auslöser des Krieges im Gazastreifen. Dort geht Israels Armee seit der Nacht zum Dienstag wieder massiv gegen die Hamas vor, womit de facto eine seit dem 19. Januar geltende Waffenruhe endete. Nun begann die Armee nach eigenen Angaben auch eine Bodenoffensive in Rafah im Süden.
Israel hatte am Dienstag massive Luftangriffe im Gazastreifen geflogen, am Mittwoch hatte die Armee den Beginn eines neuen Bodeneinsatzes in dem Gebiet verkündet. Die israelische Regierung hatte die Wiederaufnahme der Angriffe am Dienstag als eine Reaktion auf „die wiederholte Weigerung der Hamas“ bezeichnet, „unsere Geiseln freizulassen“.
Angaben der Hamas im Gazastreifen zufolge wurden durch die israelischen Angriffe in den vergangenen Tagen über 500 Menschen getötet.
Israels Armee beginnt Bodenoffensive in Rafah
Bodentruppen hätten in einem Stadtteil Infrastruktur von Terrororganisationen zerstört, hieß es. Auch im Norden sowie im Zentrum des abgeriegelten Küstenstreifens würden die Angriffe am Boden fortgesetzt. Zudem bombardiere die Luftwaffe weiter Ziele im gesamten Gazastreifen.
„Wir werden nicht aufhören, bis die Geiseln freigelassen werden“, sagte Verteidigungsminister Israel Katz. Nach israelischen Informationen werden noch 24 Geiseln im Gazastreifen festgehalten. Hinzu kommen die Leichen von 35 Verschleppten.
Seit Beginn des Krieges wurden laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde rund 49.000 Menschen im Gazastreifen getötet. Die unabhängig nicht überprüfbaren Angaben unterscheiden nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten. Israel spricht von rund 20.000 getöteten Terroristen.
Israel hat viele Raketenproduktionsstätten der Hamas zerstört
Arabische Geheimdienstbeamte gingen davon aus, dass die Hamas nur noch zehn bis 15 Prozent der rund 20.000 Geschosse besitzt, die sie beim Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 hatte, berichtete das „Wall Street Journal“.
Israel habe viele Raketenproduktionsstätten der Hamas zerstört, was es schwierig mache, das Arsenal wieder aufzufüllen, wurden die Geheimdienstler zitiert. Neue Rekruten, die an die Stelle der gefallenen Kämpfer getreten seien, seien jung und schlecht ausgebildet.
Israelische Analysten warnten jedoch, dass die Hamas immer noch in der Lage sei, Israels Armee im Guerillastil Verluste zu bereiten. Die Gruppe habe nicht explodierte israelische Granaten gesammelt, um sie für Angriffe aus dem Hinterhalt zu verwenden, hieß es.
Israels Militär fängt weitere Rakete aus dem Jemen ab
Mit Neubeginn des Gaza-Kriegs hat auch die mit der Hamas verbündete Huthi-Miliz im Jemen ihre Angriffe auf Israel wieder aufgenommen. Erneut heulten in mehreren Regionen sowie in Siedlungen im Westjordanland Armeeangaben zufolge die Warnsirenen.
Eine aus dem Jemen abgefeuerte Rakete sei von Israels Raketenabwehr abgefangen worden, bevor sie in israelisches Gebiet eingedrungen sei, teilte Israels Militär mit. Es gab zunächst keine Berichte über mögliche Verletzte oder Schäden. Raketenalarm gab es auch in Jerusalem.
Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten fordern derweil eine sofortige Rückkehr zur Waffenruhe. Es müsse unverzüglich zum Abkommen zurückgekehrt werden, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung des Brüsseler Frühjahrsgipfels.
Alle Geiseln müssten freikommen und die Feindseligkeiten dauerhaft eingestellt werden. Es sei auch notwendig, humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung in Gaza ungehindert und umfassend bereitzustellen, hieß es. So müsse etwa die Versorgung mit Strom – einschließlich für die Wasserentsalzungsanlagen – unverzüglich wieder aufgenommen werden. (dpa/red)
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