Kaukasus: Georgiens Wahlleitung erklärt Regierungspartei zur Siegerin
Bei der Parlamentswahl in der Südkaukasusrepublik Georgien hat die Wahlkommission die Regierungspartei zur Siegerin erklärt.
Die nationalkonservative Partei Georgischer Traum des Milliardärs Bidsina Iwanischwili kam nach Auszählung fast aller Wahlzettel auf 54,09 Prozent der Stimmen, wie Wahlleiter Giorgi Kalandarischwili in der Hauptstadt Tiflis mitteilte.
Mehrere proeuropäische Oppositionsbündnisse erkennen dieses vorläufige Ergebnis nicht an und haben Proteste angekündigt.
Analysten zufolge entscheide die Wahl wahrscheinlich darüber, ob die Nation einen Schritt näher an die Mitgliedschaft in der EU herankommt oder nicht. Das Land am Schwarzen Meer hat 3,7 Millionen Einwohner und ist seit Ende 2023 EU-Beitrittskandidat. Der Beitrittsprozess liegt wegen umstrittener Gesetze auf Eis.
Internationale Beobachter
Die Wahlkommission in der Hauptstadt Tiflis sprach der Regierungspartei nach Auszählung von mehr als 70 Prozent der Wahlzettel die absolute Mehrheit zu. Vier proeuropäische Oppositionsblöcke, die über die Sperrklausel von fünf Prozent kamen, lagen demnach zusammengerechnet bei gut 38 Prozent der Stimmen.
Nach Ansicht internationaler Wahlbeobachter ist die Wahl unter anderem durch „Druck“ auf Wähler beeinträchtigt worden.
Der Urnengang sei durch „Ungleichheiten (zwischen den Kandidaten), Druck und Spannungen“ gestört worden, urteilten die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), des Europarats, des Europaparlaments und der NATO am Sonntag in einer gemeinsamen Erklärung.
Sie brachten Bedenken zur Glaubwürdigkeit des offiziellen Ergebnisses zum Ausdruck, das die Moskau-freundliche Regierungspartei zur Siegerin erklärte. NGOs beklagten Hunderte Wahlrechtsverstöße.
Die gespaltene und mit mehreren Wahlbündnissen angetretene Opposition befürchtet, dass sich Georgien unter Führung von Iwanischwili noch stärker dem großen Nachbarn Russland zuwendet und von seinem EU-Kurs abkommt. Die von ihm gegründete Regierungspartei Georgischer Traum versprach im Wahlkampf Frieden und Stabilität.
Oppositionsbündnisse wollen um Sieg kämpfen
Die oppositionsnahe proeuropäische Staatspräsidentin Salome Surabischwili verkündete nach Veröffentlichung der ersten Prognosen, dass die in die EU strebenden Parteien auf 52 Prozent der Stimmen gekommen seien. Sie berief sich dabei auf Nachwahlbefragungen des US-Instituts Edison, das eine Niederlage der Regierungspartei vorhergesagt hatte.
Die prowestlichen Oppositionsbündnisse erkennen die offiziellen Ergebnisse nicht an und wollen um den Sieg kämpfen. Sie sind zwar untereinander zerstritten, haben als gemeinsamen Nenner aber das Ziel, den 68 Jahre alten Milliardär Iwanischwili loszuwerden und einen EU-freundlichen Kurs einzuschlagen.
„Ein verfassungsrechtlicher Staatsstreich“
Die Wahlleitung habe nur Iwanischwilis Befehlen gehorcht, sagte die Chefin der Partei Vereinte Nationale Bewegung von Ex-Präsident Michail Saakaschwili, Tinatin Bokutschawa.
Ein Aktionsplan der Regierungsgegner werde abgestimmt. Wahlrechtsexperten hatten schon im Vorfeld einen Missbrauch staatlicher Ressourcen durch die Regierungspartei beklagt.
„Die Wahlen sind der Opposition gestohlen worden. Dies ist ein verfassungsrechtlicher Staatsstreich und ein Missbrauch der Macht“, sagte Nika Gwaramia von der Koalition für den Wandel. Die Wahl sei gefälscht worden nach einem komplizierten technologischen Schema. Details nannte er nicht.
Insgesamt waren rund 3,5 Millionen Georgier im In- und Ausland zur Stimmabgabe aufgerufen. Die Wahlbeteiligung lag nach vorläufigen Angaben bei rund 59 Prozent – drei Prozentpunkte höher als noch 2020.
EU wirft Georgiens Regierung antieuropäischen Kurs vor
Iwanischwili macht die Vereinte Nationale Bewegung von Ex-Präsident Saakaschwili für den Krieg mit Russland im Jahr 2008 verantwortlich, in dessen Folge Moskau die abtrünnigen georgischen Gebiete Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten anerkannte.
So verlor Georgien 20 Prozent seines Staatsgebiets. Iwanischwili kündigte mehrfach an, die Partei verbieten zu wollen, sollte sein Georgischer Traum bei der Wahl eine Zweidrittelmehrheit im Parlament erlangen.
Die EU wirft der Führung des Landes einen antieuropäischen Kurs vor und hat den Beitrittsprozess auf Eis gelegt. So hatte die Regierung trotz massiver Proteste Gesetze durchgesetzt, wie es sie ähnlich auch in Russland gibt – darunter eines zur Kontrolle der Finanzierung von NGOs und Medien aus dem Ausland, das angebliche Einflussnahme von außen verhindern soll.
Auch die Rechte von Schwulen, Lesben und anderen sexuellen Minderheiten wurden beschnitten – zum Wohlgefallen der georgisch-orthodoxen Kirche, die in Georgien weiter großen Einfluss hat. (dpa/red)
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