General a. D. Kujat: „Wege zum Frieden kann die Ukraine nur gemeinsam mit Russland gehen“

Heute und morgen richtet die Schweiz eine „Friedenskonferenz“ für die Ukraine aus. Russland sitzt nicht mit am Tisch. Putin hatte gestern noch einen Vorschlag für eine sofortige Waffenruhe unterbreitet. General a.D. Harald Kujat erklärt im Interview mit Epoch Times, was die Konferenz und Putins Last-Minute-Angebot tatsächlich wert sind.
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General a. D. Harald Kujat im Dezember 2019.Foto: Wolf von Dewitz/dpa/dpa
Von 15. Juni 2024

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General a. D. Harald Kujat ist ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr. Von 2002 bis 2005 war er Vorsitzender des NATO-Militärausschusses.

Im Interview mit Epoch Times zur heute in der Schweiz beginnenden Friedenskonferenz für die Ukraine spricht General a. D. Kujat über die jüngsten Angebote von Putin für die Friedensverhandlungen.

Nach Analyse von General a. D. Kujat wurden die früher gescheiterten Verhandlungen nicht durch Russland abgebrochen, sondern durch die Ukraine auf Druck westlicher Staaten.

Einen Tag vor der Friedenskonferenz in der Schweiz (ohne Russland) hat Präsident Putin Waffenruhe angeboten und Vorschläge gemacht, die sofort zu Frieden und Gesprächen führen. Kann man das ernst nehmen?

Man könnte sehr einfach feststellen, ob Putins Angebot ernst gemeint ist, indem die Ukraine ihre Bereitschaft erklärt, es anzunehmen. Aber im Ernst: Putin hat seine Verhandlungsbereitschaft und seine Position seit Monaten öffentlich erklärt; aktuell wird sie von ihm noch einmal präzisiert. Im Kern geht es ihm darum, dass die „geschaffenen Realitäten“ anerkannt werden, also die vier am 30. September 2022 annektierten und zum großen Teil eroberten Regionen künftig zu Russland gehören, sowie dass die Ukraine ihren Verzicht auf die NATO-Mitgliedschaft erklärt.

Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak meinte zu Putins Vorschlägen, es handle sich „um einen Versuch, einen Tag vor der Konferenz in der Schweiz über Wege für einen Frieden die Agenda zu bestimmen“. Was ist gegen „Wege für den Frieden“ zu sagen?

Natürlich ist der Zeitpunkt gewählt, um der sogenannten „Friedenskonferenz“ den Wind aus den Segeln zu nehmen. Das ändert aber nichts an der Bedeutung von Putins Vorschlag. Bei dieser Konferenz geht es der Ukraine darum, möglichst große internationale Unterstützung für ihre Position zu gewinnen.

Denn Wege zum Frieden kann die Ukraine nur gemeinsam mit Russland gehen, und Russland ist ganz bewusst nicht eingeladen worden. Das sollte die Ukraine eigentlich wissen, denn sie hat ja schon mit Russland über eine friedliche Lösung verhandelt. Übrigens mit einem sehr guten Ergebnis für die Ukraine. Vielleicht sollten alle, die damals den Abschluss der Verhandlungen verhinderten, darüber nachdenken, dass dieses Ergebnis heute nicht mehr möglich ist und was die Ukraine inzwischen erleiden musste.

Präsident Selenskyj will in der Schweiz für seine „Friedensformel“ werben. Wie sieht ein Selenskyj-Frieden aus?

Vor dem Deutschen Bundestag erklärte Selenskyj, er wolle diesen Krieg „zu unseren Bedingungen beenden“. Das ist eine Absage an einen Verhandlungsfrieden. Bundeskanzler Scholz sucht derweil weiter nach einem Weg, „wie ein Einstieg in einen Prozess gelingen könnte, bei dem eines Tages auch Russland mit am Tisch sitzt.“ Darauf kann man nur erwidern: Es bietet sich jetzt ein Weg, diesen furchtbaren Krieg zu beenden. Wenn diese Chance wieder vertan wird, dann ist eine Katastrophe für die Menschen in der Ukraine unausweichlich.

Was erhofft sich der Bundeskanzler von der Konferenz auf dem Bürgenstock?

Die vom Bundeskanzler erhoffte Entwicklung hat schon vor einiger Zeit begonnen. Die USA haben die Ukraine nach deren gescheiterter Sommeroffensive angehalten, in die strategische Defensive zu gehen. So soll das noch kontrollierte Territorium verteidigt und die hohen Verluste reduziert werden.

De facto bedeutet dies die Aufgabe der von Russland eroberten Gebiete, einschließlich der Krim. Mit anderen Worten: Die politischen und strategischen Ziele Selenskyjs sind nicht erreichbar. Zudem hat Präsident Biden kürzlich in einem Interview einen NATO-Beitritt ausgeschlossen. Wörtlich sagte er: „Ich war derjenige, der sagte, dass ich nicht bereit bin, die NATO-isierung der Ukraine zu unterstützen.“

Aber was heißt das konkret?

Das bedeutet die Anerkennung der russischen Kernforderungen. Die Positionen der USA und Russlands haben sich angenähert. Natürlich müssen noch viele Details verhandelt werden. Aber damit sind die Voraussetzungen für Verhandlungen auf der Grundlage des Istanbuler Kommuniqués geschaffen. Es liegt jetzt also an Selenskyj, ob er die Chance ergreift, seinem Volk weiteres Leid und seinem Land noch mehr Zerstörungen zu ersparen.

Was bedeutet das für den Verlauf dieses Krieges?

Kaum jemand wird bestreiten können, dass es Selenskyj jetzt in der Hand hat, echte Friedensverhandlungen zu führen. Will er weiter alle verlorenen Gebiete zurückerobern oder will er, dass das tausendfache Sterben und die fortschreitende Zerstörung seines Landes beendet wird?

Es ist eine Illusion anzunehmen, mittels immer leistungsfähigerer Waffen der Ukraine zum Sieg zu verhelfen. Die militärische Lage der Ukraine ist trotz der enormen finanziellen und materiellen Unterstützung durch den Westen immer aussichtsloser geworden. Die Kampfhandlungen müssen jetzt beendet werden, um den Weg zu einem Verhandlungsfrieden freizumachen.

Hat sich nicht längst eine große Kriegsmüdigkeit eingestellt?

Natürlich. Auch in Deutschland sind immer mehr Menschen gegen weitere Waffenlieferungen. Der Krieg wird nicht mehr als alternativlos betrachtet. Gleichzeitig steigt die Sorge um eine unkalkulierbare Eskalation des Krieges und eine Ausweitung auf Europa.

Was macht die Bundesregierung dagegen?

Von der Bundesregierung ist bisher keine Friedensinitiative ausgegangen. Das wiegt besonders schwer, denn unsere Verfassung fordert Deutschland im Friedensgebot der Präambel ausdrücklich dazu auf, „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“.

War das nicht bereits mit dem NATO-Beitritt 1955 hinfällig?

Überhaupt nicht. Artikel 24 Absatz 2 der Verfassung sagt ausdrücklich: „Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen …“ Damit ist ein Auftrag erteilt worden: Die Bundesregierung wäre verpflichtet, sich dem Konfrontationskurs des NATO-Generalsekretärs zu widersetzen.

Eine „NATO-Ukraine-Mission“ wäre demnach nicht von unserer Verfassung gedeckt? 

Die NATO soll die Koordination der militärischen Unterstützung der Ukraine übernehmen, ein Finanzierungsprogramm für fünf Jahre über 100 Milliarden Euro soll eingerichtet werden und die bilateralen Sicherheitsvereinbarungen einzelner Mitgliedstaaten mit der Ukraine sollen jetzt einen NATO-Rahmen erhalten. Damit werden die Spannungen im Bündnis zwangsläufig verstärkt und die Europäisierung des Krieges vorangetrieben. Zur Unterstützung sind viele bereit, aber sicher nicht bedenkenlos.

Lassen Sie mich abschließend fragen, wie Sie die Reaktionen auf Putins jüngste Initiative bewerten …

Bemerkenswerter finde ich besonders die Reaktion des ukrainischen Präsidenten, der Putins Initiative als nicht vertrauenswürdig bezeichnete. Warum? Die ukrainische Regierung hatte in den Istanbuler Verhandlungen am 29. März 2022 ihre Forderungen für die angestrebte Vereinbarung mit Russland in die Verhandlungen eingeführt. Ihr Vertrauen, dass Russland diese weitgehend akzeptiert, wurde nicht enttäuscht. Außerdem wurden die Verhandlungen nicht durch Russland abgebrochen, sondern durch die Ukraine auf Druck westlicher Staaten.

Der NATO-Generalsekretär sagte: „Dies ist kein Friedensvorschlag, dies ist ein Vorschlag für mehr Aggression, mehr Besatzung.“ Nun wäre es müßig, die Logik dieser Äußerung zu hinterfragen. Damit überschreitet Stoltenberg jedoch in ungebührlicher Weise seine Kompetenzen. Er ist der Sekretär der Mitgliedstaaten der Nordatlantischen Allianz – nicht mehr.

Und der Nordatlantikrat hat meines Wissens keinen Auftrag erteilt, sich auf diese Weise zu äußern. Fatal ist jedoch vor allem, dass er damit den Eindruck erweckt, er sei befugt, sich zu Putins Initiative zu äußern, weil die NATO ein aktiver Teilnehmer des Ukraine-Krieges ist. Damit verstößt er gegen die Interessen vieler Mitgliedstaaten.

Präsident Biden hat immer betont, dass dies nicht der Fall sei. Übrigens wurde auch die Position des deutschen Bundeskanzlers durch Stoltenberg in unerträglicher Weise diskreditiert. Bisher hieß es, dass nur die Ukraine entscheiden darf, ob, wann und unter welchen Bedingungen sie verhandeln will. Das gilt jetzt offenbar nicht mehr, denn wenn es darauf ankommt, äußern sich ganz andere.

Danke für das Gespräch!

Das Interview führt Alexander Wallasch.



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