Gelöschte Textnachrichten an Pfizer: „New York Times“ klagt von der Leyen an
Die „New York Times“ (NYT) hat offenbar am 25. Januar eine Klage gegen die EU-Kommission eingereicht. Dies geht aus einem Eintrag im öffentlichen Register des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hervor. Über den Inhalt der Klage enthält dieser keine genaueren Angaben. Es deutet jedoch vieles darauf hin, dass es um Textnachrichten zwischen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Pfizer-CEO Albert Bourla geht.
Das Nachrichtenportal „Politico“ berichtet unter Berufung auf zwei anonyme Quellen, die „mit der Angelegenheit vertraut“ seien, dass dies der Fall sei. Die NYT will demnach die Offenlegung des Inhalts der Nachrichten erzwingen, die gelöscht worden sein könnten. Die EU-Kommission hat deren Herausgabe jedenfalls bis dato verweigert.
NYT: Kommission zur Veröffentlichung verpflichtet
Im Januar hatte die Europäische Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly anklingen lassen, es sei der Kommission „nicht gelungen“, die Nachrichten aufzufinden. Im Vorfeld hatte ein Journalist des Portals „netzpolitik.org“ eine darauf lautende Anfrage gestellt. Die Bürgerbeauftragte ließ den Vorfall untersuchen. Dabei sei sie zu der Erkenntnis gelangt, dass die Kommission die Mitarbeiter von der Leyens „nicht explizit dazu angehalten“ habe, nach den Textnachrichten zu suchen.
Der NYT zufolge sei die Kommission jedoch verpflichtet gewesen, diese Nachrichten zu veröffentlichen. Immerhin sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es darin um den späteren Deal der Kommission zum Ankauf von Impfstoffen gegen Corona gegangen sei.
Im Frühjahr 2021 hatte die EU-Kommission mit Pfizer einen Vertrag über den Ankauf von bis zu 1,8 Milliarden Dosen des gemeinsam mit BioNTech entwickelten „Comirnaty“-Impfstoffs geschlossen. Für das Corona-Präparat soll die EU etwa 35 Milliarden Euro bezahlt haben.
Jourová: Textnachrichten gelöscht, da sie „kurzlebig und flüchtig“ seien
Zwar war abzusehen, dass in der damaligen Situation einer Knappheit des Impfstoffs und hoher globaler Nachfrage hohe Summen für dessen Ankauf einzukalkulieren waren. Allerdings zeigte sich die EU bislang nicht nur hinsichtlich zahlreicher Details der Verträge zugeknöpft. Auch gibt es keine Auskünfte über den Inhalt der Textnachrichten zwischen von der Leyen und Bourla.
Die NYT hatte bereits im Frühjahr 2021 über einen persönlichen Kontakt zwischen von der Leyen und Bourla im Vorfeld des Deals geschrieben. Dabei soll es auch einen Austausch von SMS-Nachrichten gegeben haben. Dennoch sei es zu Beginn der Impfkampagne zu Verzögerungen bei der Versorgung von EU-Mitgliedstaaten mit dem Präparat gekommen.
Die EU-Kommission mauert bezüglich der Herausgabe von Dokumenten im Zusammenhang mit dem Ankauf von Impfstoffen auch gegenüber dem Europäischen Rechnungshof. O’Reilly hatte daran deutliche Kritik geübt.
Die EU-Kommissarin für „Werte und Transparenz“, Věra Jourová, hatte den Verlust der E-Mails demgegenüber heruntergespielt. Die Textnachrichten seien möglicherweise gelöscht worden, so äußerte sie, da diese „kurzlebig und flüchtig“ seien.
Leitlinien angekündigt – und bis heute nicht vorgelegt
Im vergangenen November hatte auch das EU-Parlament Einsicht in die Kommunikation zwischen von der Leyen und Bourla gefordert. Auch damals wurde Kritik laut, die Löschung der Nachrichten stelle einen Verstoß gegen Transparenzbestimmungen des Staatenbundes dar.
Jourová kündigte damals an, noch im November Leitlinien für den Dokumentenzugang bezüglich direkter Kommunikation von Amtsträgern zu erarbeiten. Solche existieren bis dato jedoch nach wie vor nicht.
Einem NYT-Bericht aus dieser Zeit zufolge habe von der Leyen eine Blamage bei der Impfstoffbeschaffung befürchtet. Diese wäre umso folgenschwerer gewesen, als sie zuvor gemeinsam mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zurückgepfiffen hatte. Dieser hatte gemeinsam mit mehreren EU-Amtskollegen eine Initiative zur Beschaffung von Corona-Impfstoffen ins Leben gerufen. Merkel beharrte jedoch auf einer Beschaffung durch die EU-Kommission.
Löschung der Textnachrichten ein Grund für Misstrauensantrag?
Von der Leyen habe daraufhin alles auf eine Karte gesetzt und sich ausschließlich um eine Einigung mit Pfizer bemüht. Ihr Berater, der Mikrobiologe Prof. Peter Piot, habe sie hingegen davor gewarnt, sich von einem einzigen Anbieter abhängig zu machen. Gegenüber der NYT äußerte er damals:
Das ist wissenschaftlich gesehen ein zu hohes Risiko für mich.“
Rechtlich dürfte eine Löschung nicht mit dem aktuell geltenden EU-Transparenzgesetz vereinbar sein, hieß es im November 2021 in der „Berliner Zeitung“. Im Falle eines Verstoßes könnte das EU-Parlament sogar einen Misstrauensantrag stellen und von der Leyen ihres Amtes entheben. 1999 war die Kommission Santer im Zuge solcher Vorgänge zurückgetreten.
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