Gedenken in Washington an deutschen Topagenten gegen Hitler
Washington – Als der Streit wegen der Nachrufe für ehemalige NSDAP-Mitglieder des Auswärtigen Amtes im Frühjahr richtig brodelte, drohte das Gedenken an den kleinen Beamten Fritz Kolbe zu erblassen. Dabei hatte Außenminister Joschka Fischer den lange vergessenen Mitarbeiter des Auswärtigen Dienstes im September als Widerständler gegen Hitler erstmals öffentlich geehrt. Jetzt gedenkt die deutsche Botschaft in Washington Kolbes – aber dann ist Fischer nach zweitägigen politischer Gespräche schon wieder weg.
Eingeladen für Donnerstag hat der deutsche Botschafter Wolfgang Ischinger. Rund 60 Diplomaten, Journalisten, ehemalige CIA-Agenten, Kirchenvertreter und frühere Mitarbeiter des von den USA gesponserten Senders RIAS in Westberlin werden erwartet. Es kommt auch der Biograf von Allen W. Dulles, dem ersten CIA-Direktor nach dem Krieg.
Der Bruder des US-Außenministers der Eisenhower-Jahre, John Foster Dulles, hatte Kolbe in der Schweiz als Zuträger entdeckt und als Agent geführt. Anlass der Veranstaltung ist die Vorstellung der englischen Fassung des bereits 2004 auf Deutsch erschienen Buches «Fritz Kolbe – Der wichtigste Spion des Zweiten Weltkriegs» von dem französischen Historiker und Journalisten Lucas Delattre, der ebenfalls unter den Gästen ist.
Delattre hat die lange verborgene Geschichte Kolbes mühsam ausgegraben. Fischer erfuhr davon über die Presse. Im September 2004 benannte Fischer Kolbe zu Ehren einen Konferenzsaal im Berliner Dienstgebäude nach dem Beamten.
In der deutschen Botschaft in Washington ist ein Saal nach einem anderen Widerständler benannt. Namensgeber ist der frühere Botschafter Friedrich Wilhelm von Prittwitz und Gaffron. Prittwitz hatte als erster deutscher Botschafter überhaupt 1933 aus Gewissensgründen den Nazis in einem überlieferten Brandbrief von Washington aus den Dienst aufgekündigt.
Unauffälligkeit als wirkungsvollste Waffe
Kolbe stellte nach den Recherchen Delattres bereits als Mitarbeiter im Konsular- und Verwaltungsdienst in Madrid, Warschau, Berlin und Kapstadt Juden Reisepässe aus, damit sie Deutschland verlassen konnten. Im Herbst 1939 kehrte Kolbe als Oberinspektor nach Berlin zurück und wurde ein Jahr später in das Vorzimmer von Botschafter Karl Ritter versetzt. Ritter war der Verbindungsmann des Auswärtigen Amtes zum Oberkommando der Wehrmacht. Über seinen Schreibtisch gingen Telegramme und Informationen, die in dieser Fülle und Brisanz nur ganz wenigen Personen zugänglich waren.
Kolbe war überzeugt, dass Spionage das einzige ihm zur Verfügung stehende Kampfmittel gegen die Nazis war. So gab er bei Kurierreisen nach Bern unter anderem die genaue Lage der «Wolfschanze» weiter, er warnte vor U-Boot-Angriffen auf alliierte Konvois und er meldete die bevorstehende Liquidierung der jüdischen Gemeinde Roms oder die Aktionen Adolf Eichmanns gegen ungarische Juden. Insgesamt 2.600 Dokumente hatte er um die Waden gebunden nach Bern gebracht. Der unauffällige Beamte wurde nie entdeckt. Er war sich stets im klaren, dass er andernfalls wegen Hochverrats sofort hingerichtet würde.
Viele als Verräter gebrandmarkt
Im Nachkriegsdeutschland wurden viele Widerstandskämpfer über Jahre teils offen, teils heimlich als Verräter gebrandmarkt. Auch Kolbe durfte nicht in das 1951 neu aufgebaute Auswärtige Amt zurückkehren. Fischer erklärte in seiner Würdigung: «Kolbe hat Deutschland und seinem Auswärtigen Amt zur Ehre gereicht.» Aber die Behandlung Kolbes nach dem Krieg sei für das Auswärtige Amt «kein Ruhmesblatt» gewesen.
Kolbe starb 1971 im Alter von 71 Jahren an Krebs. Zu seiner Beerdigung kamen zehn Menschen, davon zwei Vertreter der CIA, die im Auftrag ihres damaligen Direktors Richard Helms einen Kranz niederlegten. Helms sagte, dass Kolbes Informationen im Nachhinein «das mit Abstand beste waren, was ein Agent der Alliierten während des Zweiten Weltkriegs lieferte».
Helms Vorgänger Dulles, damals noch für die CIA-Vorängerorganisation OSS (Office of Strategic Services) tätig, war als erster von Kolbe überzeugt. Die Briten blieben misstrauisch, erkannten aber nach dem Krieg auch an, dass Kolbe «die beste nachrichtendienstliche Quelle des ganzen Krieges» gewesen sei. In den Schriften Kolbes steht: «Mein Bestreben war, den Krieg abzukürzen, den Unglücklichen in den KZs weitere Leiden ersparen zu helfen.»
AP-Korrespondent Frieder Reimold
(Lucas Delattre: «A Spy at the Heart of the Third Reich», Atlantic Monthly Press, New York. Die deutsche Ausgabe «Fritz Kolbe – Der wichtigste Spion des Zweiten Weltkriegs», Piper-Verlag, erschien im März 2004)
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