Gasfeld Groningen vor dem Aus: Kommt der „kalte Winter“ in Deutschland?
Eines der größten Gasfelder Europas soll am 1. Oktober endgültig geschlossen werden. Nach etwa 60 Jahren beenden die Niederlande die Förderung von Erdgas in Groningen, wie der zuständige Staatssekretär Hans Vijlbrief in Den Haag mitteilte. Die letztes Jahr noch im Raum stehende Laufzeitverlängerung scheint offenbar vom Tisch.
Zunächst werde das Gasfeld noch als Notreserve für Engpässe erhalten bleiben. Ab Oktober 2024 würden die Förderanlagen abgebrochen. Bis dahin werden noch maximal 2,8 Milliarden Kubikmeter Gas gefördert, die Produktion laufe bereits auf Sparflamme, wie „Bloomberg“ berichtete.
Seit 1. April 2023 produzieren noch fünf Standorte des Gasfeldes Groningen. 21 von 26 Standorten wurden bereits seit 2018 geschlossen. In dem Feld befinden sich schätzungsweise noch 450 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Das entspricht in etwa dem Gasverbrauch des Landes von zehn Jahren.
Seit Beginn der Förderung ist das Gasfeld Groningen eine wichtige Gasquelle für weite Teile Westeuropas. Mit geschätzten 2.900 Milliarden Kubikmetern förderbarem Erdgas gilt es sogar als eines der größten weltweit. Der niederländische Staat verdiente gut daran: mehr als 360 Milliarden Euro; die beteiligten Öl-Gesellschaften Shell und Exxon Mobil rund 66 Milliarden Euro.
Schließung bedingt durch Deutschlands Beendigung der Atomkraft?
Mit der Schließung des Feldes könnten immense Auswirkungen auf Berlin zukommen, da Deutschland momentan rund 38 Prozent des Gases von dort bezieht.
Obwohl die Regierung in Den Haag schon länger auf eine Einstellung der Förderung hinarbeitete, hatte sich Ende letzten Jahres durch die Gasmangellage jedoch kurzzeitig ein Kurswechsel angedeutet. Der niederländische Energieminister Rob Jetten hatte damals eine erneute Erhöhung der Förderung nicht mehr kategorisch ausgeschlossen. Seine Forderung lautete aber, dass „alle Länder Nordwesteuropas“ die höchste Stufe ihrer Gasnotfallpläne aktivieren müssten.
Einige EU-Diplomaten hatten diese Aussage laut dem „Handelsblatt“ so interpretiert, dass erst dann mehr Gas aus Groningen komme, wenn die Deutschen ihre Kernkraftwerke länger laufen lassen.
Denn laut der niederländischen Regierung ging es auch um die Frage, was europäische Solidarität in Zeiten der Energiekrise bedeute. Demnach sollten die politischen Lasten nicht allein bei ihnen abgeladen werden. Nichtsdestotrotz endete die Ära der Kernkraftnutzung in Deutschland am 15. April 2023.
Regierung Rutte im Dilemma
Ursprünglich hätte das Gaswirtschaftsjahr von Oktober 2021 bis Oktober 2022 das letzte reguläre Förderjahr in Groningen sein sollen. Es gab jedoch ein Problem: Die Verträge mit Deutschland erlaubten es, dass Deutschland, wenn nötig, zusätzliche Lieferungen verlangen konnte. Dies nahm Deutschland auch in Anspruch und forderte im Jahr 2022 aufgrund der Gasmangellage zusätzliche 1,1 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Groningen an. Die Niederlande waren daraufhin gezwungen, die zuvor geplante Fördermenge sogar noch zu überschreiten, um ihren vertraglichen Verpflichtungen nachkommen zu können.
Wie aus dem „Bloomberg“-Artikel weiter hervorgeht, wollten die Niederlande das Gasfeld in Abhängigkeit von der geopolitischen Lage zunächst bis spätestens im Oktober 2024 schließen. Da die Bevölkerung in der Region Groningen jedoch bereits seit vielen Jahren unter den Erdbeben durch die Gasförderung leidet, verstärkte sich der Druck auf die Regierung in Den Haag, die Förderung möglichst schnell einzustellen.
Auffällig ist, dass der Entschluss für dieses Jahr kurz danach erfolgte, nachdem Premierminister Mark Rutte knapp ein Misstrauensvotum überstanden hat. Ihm wurde vorgeworfen, nicht auf Beschwerden zu reagieren.
Was den Niederländern knapp ein halbes Jahrhundert lang Wohlstand bescherte, bedeutet für die Regierung seit Langem nur noch heftiges Kopfzerbrechen.
Gehen Deutschlands L-Gas-Quellen zur Neige?
Nicht nur die Regierung in Den Haag, sondern auch Berlin befindet sich weiterhin in einer Zwangslage. In Groningen wird sogenanntes L-Gas („low caloric gas“) gefördert. Doch bei L-Gas hat Berlin noch keinerlei Alternativen zu den Lieferungen aus den Niederlanden. Deshalb griff Deutschland im letzten Jahr auch auf jene Klausel im Vertrag zurück, um die Versorgungssicherheit im Nordwesten des Landes garantieren zu können.
Wie aus der Website der Bundesnetzagentur hervorgeht, wurden zum Stand November 2022 ungefähr ein Viertel der deutschen Haushaltskunden mit L-Gas versorgt. Die sogenannte Marktraumumstellung von L-Gas zu dem einfacher einzukaufenden H-Gas („high caloric gas“) soll erst bis 2030 erfolgen. Diese muss vor allem im Nordwesten und Westen Deutschlands erfolgen – was auch bedeutet, Haushalte an die andere Gassorte anzupassen und die Technik teuer umzurüsten. Das gilt auch für LNG.
2022 gab die Agentur an, dass die L-Gas-Quellen in Deutschland und den Niederlanden zur Neige gehen würden. Der Hauptanteil des in Deutschland genutzten L-Gases sei aufwendig konvertiertes H-Gas. Neben den Niederlanden erhält Deutschland noch Erdgaslieferungen aus Norwegen, Belgien und Österreich, dabei handelt es sich jedoch nicht um L-Gas.
Sollte das Gasfeld Groningen geschlossen werden, könnte es im kommenden Winter daher zu einer kritischen Lage kommen. Momentan liegt der Füllstand der deutschen Gasspeicher stabil über 64 Prozent, wie der „Business Insider“ im März berichtete. Dies sei der höchste Vorrat zu diesem Zeitpunkt seit drei Jahren. Vor einem Jahr seien die Speicher dagegen nur zu 27 Prozent gefüllt gewesen.
Rund 1.600 Erdbeben seit 1991
Das niederländische Gasfeld wurde im Jahr 1959 entdeckt, drei Jahre später begann die Erdgasproduktion. Das Feld hat eine Ausdehnung von 900 Quadratkilometern, wenn es auf die Erdoberfläche projiziert würde. Die Lagerstätte befindet sich in einer Tiefe von 2.600 bis 3.200 Metern. In der Vergangenheit wurden pro Jahr 70 bis 80 Milliarden Kubikmeter Erdgas in Groningen gefördert. Dabei handelt es sich fast um so viel Gas, wie Deutschland jährlich verbraucht. Deutschland, Belgien und Nordfrankreich sind die Hauptabnehmer.
Durch die Volumenentnahme aus der Erdgaslagerstätte kam es seit 1991 zu kleinen Erdbeben mit Magnituden um 2,0 auf der Richterskala. Mehr als 40 Jahre nach Beginn der Förderung, am 24. Oktober 2003, wurde dann zum ersten Mal ein Beben mit der Stärke von 3,0 auf der Richterskala registriert. Ab diesem Zeitpunkt gab es bis 2018 sieben weitere seismische Ereignisse mit einer Stärke von 3,0 bis 3,6.
Da die Herdtiefe der Beben mit circa 3.000 Meter vergleichsweise flach ist, ist die Intensität deshalb höher als bei einem gleichstarken Ereignis in 10.000 Metern Tiefe oder gar noch tiefer, weshalb es zu strukturellen Schäden an Gebäuden kam. Nach Protesten der betroffenen Bürger führte die Regierung zunächst eine deutliche Reduzierung der Förderung ein. Die Obergrenze sollte dabei 27 Milliarden Kubikmeter pro Jahr betragen.
Nach einem weiteren stärkeren Erdbeben im Jahr 2018 forderte die niederländische Bergbehörde eine weitere Reduktion auf zwölf Milliarden Kubikmeter. Insgesamt führte die Produktion über die Jahre zu rund 1.600 kleinen Erdbeben. Schließlich wurde entschieden, die Erdgasgewinnung aus dem Groninger Feld bis 2022 ganz einzustellen. Im Oktober 2022 hieß es dann, dass die Förderung doch beibehalten wird.
Abriss von mehr als 3.300 Gebäuden in der Region
Im April 2023 hat die niederländische Regierung angekündigt, über einen Zeitraum von 30 Jahren insgesamt 22 Milliarden Euro für die Entschädigung der Einwohner von Groningen auszugeben. Ministerpräsident Mark Rutte hatte dies als eine „Ehrenschuld“ gegenüber den betroffenen Regionen bezeichnet.
Von den rund 327.000 Häusern in der Region haben nach Angaben des Groninger Bergbauschadensinstituts mindestens 127.000 Schäden gemeldet. Seit 2012 wurden in der Region mehr als 3.300 Gebäude abgerissen, weil sie durch Erdbeben unsicher geworden waren.
Im Januar 2022 kamen zwar 220 Millionen Euro im Rahmen eines Entschädigungsprogramms zum Einsatz. Doch diese Mittel waren innerhalb kürzester Zeit aufgebraucht, wobei die Einwohner der Erdbebenregion weiterhin eine sofortige Begleichung ihrer Sanierungskosten forderten.
Deutschlands Forderungen nach zusätzlichen Gaslieferungen verstärkten zusätzlich den Unmut unter der Bevölkerung.
Der Rat der Provinz Groningen forderte die Regierung deshalb auf, die Förderung entweder komplett einzustellen oder den gesamten Gewinn aus dem Verkauf der zusätzlichen 1,1 Milliarden Kubikmeter den Geschädigten zukommen zu lassen.
Medienberichten zufolge seien die hohen Schadenszahlen, die von internationalen Medien kommuniziert werden, meist äußerst fragwürdig. Demnach stehen nicht alle Schadensmeldungen, die beim Institut für Bergschäden Groningen gemeldet werden, mit den Erdbeben im Zusammenhang. Viele Schäden hätten auch andere Ursachen.
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