Französischer Atomschild für Europa? US-Atombomben noch in Deutschland

Kann Frankreichs nuklearer Schutzschirm Russland oder gegebenenfalls auch andere potenzielle Gegner wirklich abschrecken? Die Franzosen haben während der Hochphase des Kalten Krieges 1958 die „Force de frappe“ aufgestellt, eine Atomwaffentruppe, die lange Zeit auch als Symbol der Unabhängigkeit des Landes von Washington diente. Sie gilt in Frankreich als „Säule französischer Souveränität“, wie das französische Auslandsfernsehen „France24“ kürzlich betonte.
Polen will eigene Atomwaffen
Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hatte am 5. März vorgeschlagen, seine Atomwaffen auch zum Schutz anderer Europäer zur Verfügung zu stellen, nachdem der amerikanische Präsident Donald Trump wiederholt damit gedroht hatte, NATO-Staaten bei einem Angriff nicht mehr zu verteidigen, sollten sie keinen angemessenen Beitrag zum Verteidigungsbündnis leisten. Auch ein möglicher Rückzug aus der Nordatlantikallianz der USA ist unter Trump denkbar. Dies hatte er schon einmal während seiner ersten Amtszeit (2017–2021) ins Gespräch gebracht.
Das französische Leitmedium „Le Monde“ beschäftigte sich am 12. März mit dieser veränderten amerikanischen Außenpolitik und schrieb: „Dass die Debatte über eine europäische nukleare Abschreckung offen ist, zeigt das Ausmaß des aktuellen Umbruchs.“ Und weiter: „Angesichts der Gefahr eines möglichen Abzugs“ der amerikanischen Atomwaffen aus Europa würden insbesondere Deutschland und Polen Frankreich auffordern, die möglicherweise entstehende Lücke auszufüllen.
Polens Präsident Andrzej Duda hatte vor Kurzem den Vorschlag Macrons begrüßt, während der polnische Premierminister Donald Tusk am 7. März in einer Rede im Parlament in Warschau empfahl, Polen solle „sich mit den modernsten nuklearen und nichtkonventionellen Waffenkapazitäten ausrüsten“.
Deutschlands Atombomben: Top secret!
Deutschland hat auf die aktuelle Debatte einen anderen Blickwinkel. Bisher lagern nach Angaben von Greenpeace 20 amerikanische Atombomben des Typs B61 in Deutschland. Eine offizielle Quelle über die tatsächliche Anzahl amerikanischer Atomwaffen gibt es nicht, auch nicht wie sie gelagert und wie sie genau wann eingesetzt werden sollen.
Rund um die US-Atomraketen ist alles als „Top secret“ (streng geheim) eingestuft. Die Bundesregierung verweist bei Anfragen in aller Regel auf Informationen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, die sich wiederum auf Artikel in deutschen Zeitungen beziehen. Selbst Anfragen von Abgeordneten des Bundestages werden seitens der Regierung ausweichend beantwortet.
Im Jahr 2022 wurde aufgrund einer kleinen Anfrage der AfD im Bundestag bekannt, dass die B61-Bomben bis 2024 in Deutschland durch einen moderneren und langlebigeren Typ ausgetauscht werden sollen. Die Antwort dazu lautete im Wesentlichen: „Die Bundesregierung nimmt die Vorbemerkung der Fragesteller zur Kenntnis. Sie stimmt weder den darin enthaltenen Wertungen zu, noch bestätigt oder bestreitet sie die darin enthaltenen Aussagen oder Darstellungen. Die Informationspolitik hinsichtlich der Nuklearstreitkräfte der NATO unterliegt aus Sicherheitsgründen den verpflichtenden Geheimhaltungsregeln des Bündnisses. Demzufolge können zu der Anzahl, den Lagerorten, dem Umgang mit und den Spezifika der Nuklearwaffen sowie ihrer Trägersysteme keine Angaben gemacht werden, ebenso wenig zur Ausbildung, Übung und zu den Absicherungsmaßnahmen.“
Deutschlands „atomare Teilhabe“
Im Unterschied zu den meisten der 32 NATO-Staaten nimmt Deutschland gemeinsam mit den Niederlanden, Belgien, Italien und der Türkei eine Sonderrolle ein: Die sogenannte atomare Teilhabe an den amerikanischen Atomwaffen verpflichtet die genannten Staaten, dass sie Flugzeuge und Piloten zur Verfügung stellen, die die Atomwaffen, deren Einsatz vom amerikanischen Präsidenten befohlen wird, im Ernstfall ins Ziel fliegen.
Die Bundesregierung als mögliche Zwischeninstanz, die einen solchen Einsatzbefehl prüfen könnte, bleibt außen vor. Die Piloten der Bundesluftwaffe unterstehen in solch einem Fall direkt dem Weißen Haus, zumal meist innerhalb von wenigen Minuten gehandelt werden muss.
Die Planungen von Luftangriffen der NATO werden von dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein sowie in Kalkar und Uedem ausgeführt. Die Luftwaffenbasen Büchel (Eifel), Nörvenich (NRW) und Ramstein (Pfalz) verfügen laut Greenpeace über die geeigneten „Vorrichtungen, um US-Atombomben zu lagern“ sowie über „die notwendigen Start- und Landebahnen, um sie auch zum Einsatz zu bringen“.
Frankreich lehnt Teilhabe ab
Der französische Präsident Emmanuel Macron bietet den anderen europäischen Staaten eine solche „atomare Teilhabe“ jedoch nicht an. „Dies wirft Fragen darüber auf, was ein französischer Atomschirm für Europa überhaupt bedeuten könnte“, stellt der französische Auslandsrundfunk „Radio France International“ in einem Onlinebeitrag fest, zumal der „Élysée [Amtssitz des Präsidenten] betont hat, dass Frankreich weder eine Stationierung von Atomwaffen außerhalb des Landes noch eine Überarbeitung seiner [bisherigen] Nukleardoktrin anstrebt“.
Ob Macron auf Merz zugeht?
„Le Monde“ erinnert daran, dass fünf Monate nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble vorgeschlagen habe, dass Frankreich, Deutschland und Polen „die Initiative für eine stärkere europäische Verteidigungspolitik ergreifen“ sollten. Dazu zählte Schäuble „auch eine nukleare Abschreckung auf europäischer Ebene“. Da Frankreich über ein solches Abschreckungsmittel verfügte, lag es „im Interesse der Deutschen“, sich finanziell an dieser Truppe zu beteiligen, so „Le Monde“. Der Vorschlag habe damals aber auf beiden Seiten des Rheins keine Begeisterung ausgelöst.
30 Monate später kann der 2023 verstorbene Schäuble nicht mehr miterleben, „dass sein Vorschlag genau zum richtigen Zeitpunkt“ kam, glaubt das französische Blatt. Der mögliche neue Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) kündigte am 9. März im „Deutschlandfunk“ an, in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD und auch auf europäischer Ebene über eine Teilhabe Deutschlands an einem europäischen Nuklearschutzschirm zu sprechen. Deutschland werde nicht selbst über Atomwaffen verfügen können und dürfen, sagte Merz. „Aber nukleare Teilhabe mit Frankreich, mit Großbritannien ist aus meiner Sicht jedenfalls ein Thema, über das wir reden müssen.“
Warum hat Deutschland keine eigenen Atomwaffen?
Mit den Pariser Verträgen von 1955, in denen für Deutschland das Besatzungsstatut der Westalliierten aufgehoben und die Verleihung der Souveränität festgeschrieben wurde, musste sich die Bundesrepublik zum Beitritt zur NATO verpflichten und auf atomare, biologische und chemische Massenvernichtungsmittel verzichten. Im Gegenzug verpflichteten sich die USA dazu, die Bundesrepublik unter ihren Atomschutzschirm zu stellen. Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung erneuerte die Bundesrepublik im „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ zwischen den beiden deutschen Staaten und den vier Siegermächten, dass Deutschland in Friedenszeiten keine Atomwaffen besitzen dürfe. Dass zu diesem Zeitpunkt bereits amerikanische Atomwaffen in Deutschland lagerten, spielte für den Deutschlandvertrag keine Rolle.
Deutschland ist außerdem 1975 dem Atomwaffensperrvertrag, auch Nuklearer Nichtverbreitungsvertrag (NVV) genannt, beigetreten. Das Auswärtige Amt erklärt den Vertrag folgendermaßen: „Der NVV wirkt der Verbreitung von Nuklearwaffen entgegen, indem er die Nichtnuklearwaffenstaaten zum Verzicht auf Nuklearwaffen und zur Unterstellung ihrer kerntechnischen Anlagen unter internationale Kontrolle verpflichtet.“
Kann Merz Macron überzeugen?
Noch wird in Paris bezweifelt, dass Macron so weit wie die USA gehen werde und andere europäische Partner in das französische Atomwaffenprogramm aktiv miteinbezieht. Um Macron umzustimmen, könnte Friedrich Merz in Paris mit einem Angebot einer deutlichen deutschen finanziellen Beteiligung an der „Force de frappe“ aufwarten. Schon Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) konnte mit seiner „Scheckbuch- und Finanzpolitik“ im Zuge der Wiedervereinigung den damaligen französischen Präsidenten François Mitterrand für die deutsche Einheit gewinnen.
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