Frankreichs Parteien im Treibsand: Vorgezogene Neuwahlen lösen Chaos aus

Eines hat Frankreichs Präsident Macron mit seiner überraschenden Entscheidung für Neuwahlen geschafft: Es herrscht helle Aufregung im Land. Die Parteilandschaft gleicht Treibsand, in dem manche zu versinken drohen.
Titelbild
Ein Mann geht am 10. Juni 2024, einen Tag nach den Europawahlen, in Henin-Beaumont an Wahlplakaten der Partei Rassemblement National mit den Bildern von Marine Le Pen (l) und Jordan Bardella vorbei.Foto: Denis Charlet/AFP via Getty Images
Epoch Times13. Juni 2024

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat mit seiner Entscheidung für Neuwahlen das Land in große Unruhe versetzt. Manche Franzosen spotten schon, dass die chaotische politische Entwicklung in Frankreich sich nicht als Stoff für eine Netflix-Serie eigne, weil es „zu überzogen“ sei. In den vergangenen 48 Stunden hat sich allerhand ereignet.

Der Rassemblement National zieht gestärkt durch Überläufer in den Wahlkampf. Die Partei von Le Pen hat das Ziel ausgegeben, RN-Parteichef Jordan Bardella als Premierminister zu etablieren.

Premierminister Gabriel Attal, der für das Regierungslager in den Wahlkampf zieht, zeigte sich am 13. Juni offen für eine Debatte mit Bardella und dem Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon, der sich ebenfalls als möglicher Regierungschef ins Gespräch gebracht hat.

Nach einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage kommt der RN auf rund 31 Prozent der Stimmen, die vereinte Linke auf 28 Prozent und das Regierungslager auf 18 Prozent.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron könnte sich demnach gezwungen sehen, Bardella zum Premierminister zu ernennen. Damit ginge er eine sogenannte Kohabitation ein, die seine Regierungsfähigkeit erheblich einschränken dürfte.

Rechte und Konservative gehen zusammen

Der Rassemblement National (RN) ist seit seinem haushohen Sieg bei der Europawahl für Teile der konservativen Republikaner äußerst anziehend geworden, allen voran für den bisherigen Parteichef der Republikaner, Eric Ciotti.

Wegen eines von ihm verkündeten Wahlbündnisses mit Marine Le Pen hat die Partei der Republikaner den Rauswurf von Parteichef Eric Ciotti beschlossen. Der zieht deswegen nun vor Gericht – das zuständige Pariser Gericht bestätigte dies aber zunächst nicht.

Ciotti wurde am Donnerstag nicht am Zugang zu seinem Büro gehindert. Allerdings sei das Wlan abgestellt gewesen, und von 40 Mitarbeitern seien ihm nur fünf treu geblieben, hieß es in Parteikreisen. Der abgesetzte Parteichef wollte am Donnerstag noch mit RN-Parteichef Jordan Bardella zusammentreffen. Die verbliebene Parteiführung der Republikaner berief eine weitere Sitzung ein, um den Ausschluss Ciottis zu bekräftigen.

Teils schockiert, teils amüsiert verfolgten Parteimitglieder, wie Ciotti den Pariser Parteisitz am Mittwoch zunächst verriegeln ließ – und seine Generalsekretärin das Gebäude dann mit einem Zweitschlüssel öffnete, um dort die entscheidende Sitzung abhalten zu können. Am Donnerstag tauchte Ciotti dort wieder auf: „Ich bin Parteivorsitzender, ich gehe in mein Büro“, verkündete er.

Es ist die Rede davon, dass mehrere Dutzend konservative Abgeordnete der Linie von Ciotti folgen könnten. Mit seiner Unterstützung für den RN bricht Ciotti auch ein langjähriges Tabu der Konservativen – und ruft Präsident Macron noch zu: „Dank dieses nationalen Blocks zwischen Republikanern und RN wird die Rechte an die Macht kommen.“

Vor einer Wahlkampfveranstaltung der französischen Partei Rassemblement National (RN) im Vorfeld der bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament in Paris am 2. Juni 2024. Jordan Bardella im Hintergrund. Bardella ist bei Jugendlichen und jungen Menschen sehr beliebt. Foto: Laure Boyer / Hans Lucas / AFP via Getty Images

Unterdessen bröckelt es auch am äußerten rechten Rand: Dort trennte sich der Parteichef von Reconquête, Eric Zemmour, von Marion Maréchal, die bei der EU-Wahl gerade erst zur Abgeordneten seiner Partei gewählt worden war.

Maréchal habe sich am Ende doch „für den Familienclan“ entschieden, schimpfte Zemmour. Sie ist eine Nichte von Marine Le Pen – und rief zur Wahl von RN-Kandidaten auf.

Linkes Wahlbündnis

Das linke Lager hat sich unterdessen schwindelerregend schnell auf ein Wahlbündnis geeinigt – trotz gewichtiger inhaltlicher Unterschiede.

Der linkspopulistische Ex-Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon bietet sich als möglicher Premierminister an, was aber weder den Sozialisten noch den Grünen passt.

François Ruffin, Abgeordneter der Linkspartei LFI, spricht zu Beginn seiner Kampagne für die nächsten Parlamentswahlen in Amiens, Nordfrankreich, am 12. Juni 2024. Foto: Francois Nascimbeni/AFP via Getty Images

Bröckelndes Regierungslager

Auch im Regierungslager bröckelt es. Dort haben die bisherigen Bündnispartner sich zwar geeinigt, unter dem Motto „Gemeinsam für die Republik“ anzutreten. Doch die Partei Horizonte von Ex-Premierminister Edouard Philippe will ihr eigenes Logo auf den Wahlplakaten und getrennte Konten.

Dies zeigt, wie sehr die Wahl zur Nationalversammlung als erneuter Stimmungstest vor der Präsidentschaftswahl gesehen wird. Macron kann dann nicht wieder antreten, und Philippe gilt als einer der möglichen Nachfolger.

„Ich will den Rechtspopulisten 2027 nicht den Schlüssel zur Macht geben“, hatte Macron diese Woche beteuert. Manche meinen allerdings, dass er längst davon ausgehe, dass der RN demnächst den Premierminister stellen wird.

Der französische Präsident Emmanuel Macron am 10. Juni 2024. Foto: Ludovic Marin/POOL/AFP via Getty Images

Sein Kalkül sei es, dass Bardella sich auf diesem Posten so blamiere, dass Le Pen bei der Präsidentschaftswahl 2027 keine Chance mehr habe. Das wäre allerdings ein großes Wagnis, denn es könnte durchaus auch darauf hinauslaufen, dass Macron damit dem RN den Weg zur Macht noch weiter ebnet.

Unterdessen bahnt sich ein chaotischer, überstürzter Wahlkampf an: Die Parteien haben nur bis Sonntag Zeit, um Kandidaten aufzustellen. Den Wahlplakaten ist der Zeitdruck anzusehen, das Regierungslager hat sich für eine simple blau-rosa Sprühgrafik entschieden.

Die Polizei setzt Tränengas ein, um aufgebrachte Teilnehmer einer Kundgebung an der Überquerung einer Brücke zu hindern – während einer Demonstration gegen Rechtsextreme und den RN (Rassemblement National) in Lyon, Frankreich, am 13. Juni 2024. Foto: Romain Costaseca/Hans Lucas/AFP via Getty Images

Neben verschiedenen Kundgebungen gibt es erste Kollateralschäden auch bei Unbeteiligten der vorgezogenen Wahl zu beklagen: etwa das Hochzeitsfest eines Einwohners von La Guerche-sur-L’Aubois, der dafür am 29. Juni den Festsaal seines Dorfes gemietet hatte.

Statt eines Buffets und einer Tanzfläche werden dort nun Wahlkabinen aufgebaut. (afp/red)



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