Frankreich will Kernkraft im Alleingang schützen und spricht von „historischem Fehler“

Frankreich wirft Deutschland vor, die Energiemarktreform der EU aus ideologischen Gründen zu behindern. Präsident Macron beharrt auf CfD-Finanzierung auch für alte Kernkraftwerke – und stellt einen Alleingang in Aussicht.
Titelbild
Das Kernkraftwerk Chooz in Nordfrankreich.Foto: Francois Lo Presti/AFP via Getty Images
Von 4. September 2023

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Im Zusammenhang mit der angestrebten Energiemarktreform in der EU hat Frankreich einen möglichen Alleingang in Aussicht gestellt. Hintergrund ist der Konflikt um die Förderung der Finanzierung des Umbaus auch bereits bestehender Kernkraftwerke. Diese soll durch zweiseitige Differenzverträge erfolgen – sogenannte CfDs. Derzeit ist nur eine Förderung neuer Anlagen angedacht, was Präsident Emmanuel Macron für unzureichend hält.

Frankreich hatte für die Kernkraft bereits eine geplante Richtlinie blockiert

Deutschland sperrt sich gegen die Einbeziehung des Umbaus bestehender Anlagen – und erntet dafür deutliche Kritik. Wie „Euractiv“ berichtet, hat Macron in der Vorwoche die Regierung in Berlin beschuldigt, die wachsende Akzeptanz von Kernkraft in der EU zu sabotieren. Dies sei in besonderem Maße problematisch, weil dadurch nur mehr Kohle produziert werde.
Der französische Präsident erklärte in diesem Zusammenhang:

Es wäre ein historischer Fehler, […] die Investitionen in die Kernenergie […] in Europa zu bremsen.“

Es sei wichtig, die geplante Energiemarktreform noch vor dem Winter über die Bühne zu bringen, so Macron. In Paris rechne man mit erneut steigenden Stromrechnungen in Anbetracht des herannahenden Winters.

Im März hatte die EU-Kommission auch bereits einen Vorschlag präsentiert. Allerdings scheiterte im Juni der Versuch, darüber einen Konsens zu erzielen. Bereits im Mai hatte Frankreich die Verschiebung einer geplanten EU-Richtlinie über erneuerbare Energien erzwungen. Auch hier befürchtete Frankreich eine ideologisch motivierte Benachteiligung der Kernkraft.

Merit Order soll bleiben – EU will mit Energiemarktreform jedoch potenzielle Folgen abmildern

Die geplante Energiemarktreform der EU verfolgt mehrere unterschiedliche Ziele. Eines davon ist die Gewährleistung von Preisstabilität. Auf diese Weise will man Entwicklungen wie den explodierenden Preisen an den Energiebörsen wie im Vorjahr gegensteuern.

Ein Aus für das sogenannte Merit-Order-System, das damals die Preisentwicklung getrieben hatte, soll aufrecht bleiben. Die Kommission sah Berichten zufolge keine realistische Möglichkeit, diesen Mechanismus zur Preisbildung homogener Güter im Alleingang abzuändern.

Allerdings wolle man mittels zweiseitiger Differenzverträge (CfDs) die Folgen extremer Marktgeschehnisse gegenüber den Verbrauchern abmildern. Die CfDs sollen eine Form des Preisdeckels schaffen, der nach oben und unten wirkt. Zudem will man auf diese Weise eine Weitergabe etwaiger Übergewinne des Stromhandels an Haushalte erzwingen.

Gegner der Kernkraft argumentieren mit möglicher Wettbewerbsverzerrung

Aus Brüssel hieß es damals, neue Energieerzeugungskapazitäten und Umbauten bestehender Kraftwerke sollen durch öffentlich-private Differenzverträge (CfDs) finanziert werden. Kernkraftgegner in den Regierungen von Mitgliedstaaten wollen dies verhindern.

Zu ihnen gehört beispielsweise Österreichs Energieministerin Leonore Gewessler. Sie erklärte, der Einsatz von CfDs für bestehende Anlagen käme vor allem Mitgliedstaaten mit großen Stromerzeugungskapazitäten zugute. Dies verstoße gegen EU-Regeln für staatliche Beihilfen und verzerre den Wettbewerb – vor allem zugunsten des französischen Stromriesen EDF.

Auch der deutsche Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wendet sich gegen eine Absicherung der Erneuerung bestehender Kernkraftwerke über CfDs. Einige Mitgliedstaaten wollen Reinvestitionen bestehender Anlagen nur teilweise durch CfD-Einnahmen absichern. Gewessler beispielsweise befürchtet andernfalls eine Verringerung der „Anreize für Investitionen in erneuerbare Energien“. Ihre französische Amtskollegin Agnès Pannier-Runacher hält dies für einen Vorwand, um den Ausbau der Kernkraft zu unterminieren.

CfDs sollen Preisstabilität auch für den Fall von Marktschwankungen ermöglichen

Die Differenzkontrakte sind komplexe und strukturierte Finanzinstrumente, die Folgen von Preisbewegungen austarieren sollen. Bezugsgrößen können beispielsweise Aktien, Devisen, Indizes oder Rohstoffe sein. Dies geschieht unter anderem über die Nutzung von Hebelwirkungen und flexiblen Positionsänderungen.

In öffentlichen Bereichen sollen CfDs auf diese Weise über einen bestimmten Zeitraum Preisstabilität und finanzielle Vorhersagbarkeit gewährleisten – auch bei Marktschwankungen. Da Energieprojekte oft erhebliche Investitionen erfordern und lange Amortisationszeiträume aufweisen, sollen CfDs als Instrumente zur Risikominderung dienen. Zudem sollen sie Anreize für private Investoren schaffen, in den Ausbau von Energieinfrastruktur zu investieren.

Frankreich erwägt nun den verstärkten Einsatz von Langzeit-PPAs

Sollte sich die EU jedoch nicht auf eine Einbeziehung bestehender Kernkraftanlagen einigen können, will Frankreich eigene Wege gehen – auf nationaler Ebene. Dies könnte etwa in Form sogenannter Langzeit-PPAs („Power Purchase Agreements“) erfolgen.

Stromanbietern soll dies die Möglichkeit geben, ihren Strom zu größeren Anteilen über Langzeitverträge einzukaufen und damit zu „hedgen“. Im Fall erneuter Marktschwankungen soll sie diese Konstruktion davor schützen, die hohen Preise an die Kunden weitergeben oder staatliche Hilfen beanspruchen zu müssen.

In Brüssel ist man diesem Instrument gegenüber noch skeptisch. Die Kommission will die Mitgliedstaaten verpflichten, für die PPAs marktbasierte Haftungen und Garantien sicherzustellen. Auf diese Weise will man die Kreditrisiken von Käufern mindern.

Derzeit haben die Mitgliedstaaten jedoch weitgehend freie Hand zur Ausgestaltung ihres rechtlichen Rahmens für PPAs. In Frankreich will man sich diese Gestaltungsfreiheit nun zunutze machen.



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