Frankreich: Schlappe für Macron – Parlament ohne klare Mehrheiten möglich

Nach der ersten Runde der Parlamentswahlen in Frankreich steht Präsident Macron als Verlierer fest. Seine Wahlplattform wurde sowohl vom Rassemblement National (RN) auf der äußersten Rechten als auch von der linkspopulistischen La France insoumise deutlich abgehängt.
Titelbild
Der französische Präsident Emmanuel Macron (links) und seine Frau Brigitte Macron (rechts) verlassen das Wahllokal nach der Stimmabgabe in der ersten Runde der Parlamentswahlen in Le Touquet, Nordfrankreich, am 30. Juni 2024.Foto: LUDOVIC MARIN/AFP via Getty Images
Von 1. Juli 2024

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Am Sonntag, 30. Juni, ging in Frankreich die erste Runde der Neuwahlen zur Großen Nationalversammlung über die Runden. Ein endgültiges Ergebnis wird erst nach der zweiten Runde feststehen, die in einer Woche stattfinden wird.

Schon jetzt zeichnen sich jedoch deutliche Zugewinne für den Rassemblement National (RN) und die Linke unter der Führung von Jean-Luc Mélenchon ab. Macrons Lager landete abgeschlagen auf Platz 3. Gegenüber 2022 ist die Wahlbeteiligung von 47,51 auf etwa 66 Prozent angestiegen.

Von Insoumise geführtes Linksbündnis bleibt Le Pen auf den Fersen

Macron hatte die Neuwahlen unter dem Eindruck des katastrophalen Ergebnisses seiner Plattform „Gemeinsam“ bei den EU-Wahlen ausgerufen. Er hoffte, mit der Botschaft, er stehe als Führer der „Progressiven“ gegen die „Populisten“, die etablierten politischen Kräfte hinter sich vereinen zu können.

Nun zeigt sich, dass die Strategie, die auch im eigenen Lager auf weitreichende Skepsis stieß, nicht aufgegangen ist. Bei einem Auszählungsstand von 98,61 Prozent kommt der RN auf 29,42 Prozent.

Das Linksbündnis unter Führung von La France insoumise („Ungebeugtes Frankreich“) kommt auf 27,93 Prozent. Mit lediglich 19,94 Prozent liegt das Macron-Bündnis deutlich dahinter. Auf 10,25 Prozent kommen die konservativen Republikaner und weitere Parteien und Kandidaten der Rechten.

Wie die Sitzverteilung in der Großen Nationalversammlung am Ende aussehen wird, ist noch ungewiss. Bereits im ersten Wahlgang wurden aktuellen Zahlen des Innenministeriums zufolge 39 Kandidaten des RN und 32 der Neuen Volksfront der Linken gewählt. 20 davon gehören Insoumise an.

Das Rassemblement National freut sich über sein gutes Abschneiden in der ersten Runde der Parlamentswahl in Frankreich.

Der Rassemblement National freut sich über sein gutes Abschneiden in der ersten Runde der Parlamentswahl in Frankreich. Foto: Thibault Camus/AP/dpa

Frankreich vor Absprachenpoker im Vorfeld des zweiten Wahlgangs

Gewählt ist, wer im ersten Durchgang mindestens 50 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten hat – sofern die Stimmenanzahl mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten entspricht. Gelingt dies keinem Kandidaten, findet ein zweiter Wahlgang statt. An diesem dürfen alle Kandidaten teilnehmen, die in der ersten Runde mindestens 12,5 Prozent der abgegebenen Stimmen erreicht hatten.

Dieser Umstand lässt es als wahrscheinlich erscheinen, dass kein politisches Lager die erforderlichen 289 Sitze für eine absolute Mehrheit erreichen wird.

Bereits jetzt sind insbesondere dort, wo Kandidaten des RN vorn liegen, Gespräche zwischen Macron-Anhängern und der Linken im Gange. Es geht darum, welches der beiden Lager seinen verbliebenen Kandidaten zurückzieht, um einen Sieg des Kandidaten der äußersten Rechten zu verhindern.

Im Unterschied zu vorangegangenen Wahlen ist es nicht sicher, dass es flächendeckend zu solchen Absprachen kommen wird. Die Republikaner kündigten bereits jetzt an, sich an keinen Absprachen beteiligen zu wollen. Mélenchon hat zwar dazu aufgerufen, dem RN „keine zusätzliche Stimme“ zu ermöglichen, allerdings sind die Differenzen innerhalb der Linken erheblich.

Identitäre Linke von Insoumise

Unter Sozialisten und Grünen sind bereits jetzt Klagen zu vernehmen, innerhalb der Neuen Volksfront von Mélenchon marginalisiert zu werden. Gleichzeitig hat Macron angekündigt, nur dort eigene Kandidaten zugunsten der Linken zurückziehen zu wollen, wo deren Bewerber „unsere republikanischen Werte“ teilt.

Dies ist insbesondere als Ansage an Insoumise zu verstehen. Die Partei vertritt einen linken Populismus, der in vielen Bereichen an das Bündnis Sahra Wagenknecht in Deutschland erinnert. So lehnt man Waffenlieferungen oder eine weitere Unterstützung der Ukraine, aber auch eine Solidarität mit Israel im Kampf gegen die terroristische Hamas ab.

Darüber hinaus steht Insoumise für eine starke Betonung linker Identitätspolitik und gegen Bestrebungen, Einwanderer zu assimilieren. Entsprechend wird die Linkspartei vor allem in Städten mit hohem Einwanderungsanteil gewählt. Am Wahlabend erneuerte Mélenchon vor Anhängern auf dem Place de la République in Paris sein multikulturelles Bekenntnis:

„Im Grunde hat jede Ära die Führer, die sie verdient. Franzose zu sein ist keine Religion, es ist keine Hautfarbe, es ist keine Sprache, es ist nur ein politischer Vertrag. Es ist dieser politische Vertrag, der uns zu einem Volk und dabei zu einem unvollendeten Volk macht, dessen Horizontlinie sich permanent verschiebt und das sich selbst ständig neu zeichnet.“

Die linke Partei La France insoumise feiert erste Erfolge in den Parlamentswahlen am 30. Juni 2024. Foto: Dimitar Dilkoff/AFP via Getty Images

Absolute Mehrheit für Rechte nur unter Einschluss von Republikanern und Unabhängigen

Nach derzeitigem Stand prognostiziert „Le Figaro“ für die künftige Große Nationalversammlung 240 bis 270 Sitze für den RN, 180 bis 200 für die Linke und 60 bis 90 für das Macron-Lager. Republikaner und nicht gebundene Rechte könnten auf 30 bis 50 Sitze und Sonstige auf 13 bis 21 kommen.

Dies bedeutet, dass der RN zwar keine eigene Mehrheit bekommen wird, aber möglicherweise eine Vereinbarung mit den Republikanern und sonstigen Rechten treffen könnte, um Jordan Bardella zum Premierminister zu wählen. Für Macron würde das eine sogenannte Kohabitation mit der äußersten Rechten bedeuten – sofern er in einem solchen Fall nicht selbst seinen Rücktritt erklärt. Republikaner-Chef Éric Ciotti will ein solches Vorgehen nicht von vornherein ausschließen.

Eine andere Option wäre, dass der Präsident für den Rest seiner Amtszeit ein Expertenkabinett bildet, das in erster Linie die Aufgabe hätte, Geschäfte zu führen. Weitreichende politische Entscheidungen würde dieses angesichts eines Parlaments ohne klare Mehrheiten kaum treffen können. Auch in dieser Konstellation würde Macron einen schweren Stand haben, wenn es darum geht, mehr Macht für die EU und größere Unterstützung für die Ukraine zu generieren.

Frankreichs Fassung von „Fox News“ schaffte Rückenwind für Le Pen

In Paris ist es unterdessen bereits zu ersten Ausschreitungen und Randalen in Reaktion auf die Erfolge des RN gekommen. Die Le-Pen-Partei festigte ihre Positionen vor allem in den bisherigen Hochburgen wie Nizza oder Marseille. Dazu kommen deutliche Zugewinne in Kleinstädten und ländlichen Gebieten.

Als ein weiterer Grund für die deutlichen Zugewinne des RN gilt die Medienarbeit des Tycoons Vincent Bolloré, der vielfach mit „Fox News“-Gründer Rupert Murdoch verglichen wird. Sein Medienimperium, zu dem Sender wie „CNews“ und „Europe 1“ gehören, hat in den vergangenen Jahren eine mächtige Gegenöffentlichkeit von rechts aufgebaut. Dies war zu Beginn Rechtsaußenpolitikern wie Éric Zemmour, später zunehmend dem RN zugutegekommen.

„Die Rechte zu einen, war immer eines der zentralen Ziele Bollorés“, äußert Historiker Alexis Lévrier von der Universität Reims. Mit den öffentlichen Bekenntnissen von Republikaner-Politikern wie Éric Ciotti zur möglichen Kooperation mit Le Pen sei er diesem Ziel deutlich näher gekommen.

Marine Le Pen, Vorsitzende der Partei Rassemblement National (RN), gibt am 30. Juni 2024 in Hénin-Beaumont, Nordfrankreich, ihre Stimme ab. Foto: Francois Lo Presti/AFP via Getty Images

 



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