Frankreich kämpft mit „mexikanisierten“ Drogenenklaven

Gangs in Frankreich bilden in bisher ruhigen Kleinstädten halbautonome „Drogenenklaven“. Ursache sei eine geringe Polizeipräsenz, warnt ein pensionierter französischer Polizeikommandant.
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Der französische Innenminister warnt vor „Ministaaten, Drogenenklaven“ – verliert der Staat die Kontrolle?Foto: Nicolas Tucat/AFP via Getty Images
Von 11. November 2024

Eine tödliche Schießerei vor einem Kebab-Restaurant am 1. November in Poitiers in Westfrankreich. Ein 15-jähriger Junge wird durch einen Kopfschuss getötet und vier weitere Jugendliche werden verletzt. Die einst friedliche französische Stadt war bisher eher bekannt für ihre mittelalterlichen Kirchen. Die Nation ist schockiert.

Die Schießerei, die zu einer Schlägerei unter Hunderten Menschen führte, ist nur das jüngste Ereignis einer ganzen Welle von Drogenkriminalität. Betroffen sind Städte wie Poitiers, Rennes und Marseille. Sie werden zu Schlachtfeldern, in denen selbst Kinder ins Kreuzfeuer geraten – erschossen, erstochen und bei lebendigem Leib verbrannt.

Die Polizeipräsenz in den Stadtvierteln habe im Laufe der Zeit stetig abgenommen, sagte Jean-Pierre Colombies gegenüber der Epoch Times. Deshalb konnten solche Banden gedeihen und ihren Einfluss auf städtische und ländliche Gebiete ausdehnen. Colombies ist ein ehemaliger Polizeikommandant mit 34 Jahren Erfahrung in der Kriminal- und Drogenfahndung in Marseille.

„Drogenenklaven“

Der französische Innenminister Bruno Retailleau warnte, dass die Entstehung von „Drogenenklaven“ eine ernsthafte Bedrohung für das Land darstelle. In Poitiers schlug Retailleau Alarm und verglich die Situation mit der wachsenden Kontrolle, die Drogenkartelle in Mexiko hätten.

Das Land habe zwei Möglichkeiten, sagte er. „Entweder gibt es eine allgemeine Mobilisierung oder es kommt zur Mexikanisierung des Landes.“ Letzteres bedeute die Bildung von „Ministaaten, Drogenenklaven“ auf französischem Gebiet, die von Banden kontrolliert werden.

Frankreichs Innenminister Bruno Retailleau (Mitte), umgeben von Journalisten und Anwohnern, am 1. November 2024 während eines Besuchs zum Thema Drogenkriminalität in Rennes, Westfrankreich. Foto: Damien Meyer/AFP via Getty Images

Colombies zufolge sei der Aufstieg dieser kriminellen Gruppen auf die Schwächung der französischen Strafverfolgungsinfrastruktur zurückzuführen. Er wies darauf hin, dass die Polizeipräsenz im Laufe der Jahre stetig reduziert worden sei.

Dieser Rückgang, so Colombies, habe unter der Präsidentschaft von Nicolas Sarkozy begonnen. Dieser war bemüht, die öffentlichen Ausgaben zu senken, und hat dafür den Personalbestand der Polizei reduziert.

„Sarkozy ist hauptverantwortlich für den Beginn des Zusammenbruchs der Polizei. Wir haben eine enorme Anzahl von Beamten entlassen, ohne sie zu ersetzen. Wenn man die Autorität in einem Sektor, einem Viertel, beseitigt, wird unweigerlich eine andere Macht an ihre Stelle treten“, sagte Colombies.

Senatsbericht über Drogenhandel

Französische Senatoren haben vor einer florierenden Drogenindustrie in Frankreich gewarnt. Sie bezeichnen diese als Bedrohung der nationalen Interessen und haben Maßnahmen zu deren Bekämpfung vorgeschlagen.

Nach sechsmonatiger Untersuchung berichtete eine Untersuchungskommission des Senats, dass die Auswirkungen des Drogenhandels auf Frankreich in den vergangenen zehn Jahren explosionsartig zugenommen haben.

„Unser Land ist jetzt mit einer realen Überschwemmung konfrontiert; das Phänomen betrifft das gesamte Staatsgebiet, einschließlich mittelgroßer Städte und ländlicher Gebiete“, hieß es.

Der Bericht stellte außerdem fest, dass Drogen, einschließlich der härtesten Drogen, jetzt überall verfügbar seien. An rund 3.000 Verkaufsstellen im ganzen Land würden sie angeboten. Alternativ seien diskrete Lieferungen nach Hause über verschlüsselte Nachrichtensysteme möglich.

Der Bericht besagt, dass die „Intensivierung des Drogenhandels in ländlichen Gebieten und mittelgroßen Städten […] von einem besonders spektakulären und alarmierenden Anstieg der Gewalt begleitet wurde, der die Bürger zeitweise Szenen aussetzte, die einem echten Krieg glichen“.

Wachsende kriminelle Unternehmen

Jean-Pierre Colombies, ehemaliger Polizeikommandant mit 34 Jahren Erfahrung in der Kriminal- und Drogenfahndung in Marseille. Colombies zufolge sei der Machtgewinn krimineller Gruppen auf die Schwächung der französischen Strafverfolgungsinfrastruktur zurückzuführen. Foto: Epoch Times France

Laut Colombies seien diese Banden nicht unorganisiert oder „anarchisch“.

„Es entwickelt sich ein Modell – wie ein Franchise-System. Man muss die Drogenhandelsindustrie wirklich mit einem großen Unternehmen, einem multinationalen Unternehmen, vergleichen“, sagte er.

Diese kriminellen Organisationen haben strenge Hierarchien und Bestrafungssysteme für diejenigen, die gegen die Regeln verstoßen. „Diese kriminellen Gruppen haben ihre eigenen Tribunale, ihre eigene Form der Justiz“, fügte er hinzu.

Colombies sagte, dass sich bestimmte Gemeinschaften, insbesondere unter den Einwanderern, in selbstständigen Gruppen organisierten, die ihre eigenen Interessen über die des Staates stellten.

„In Frankreich haben wir den Gemeinschaftssinn verloren. Aber die Nachkommen aufeinanderfolgender Einwanderungswellen – ob aus dem Maghreb oder Schwarzafrika – haben ihre Bindung an ihre eigenen Gemeinschaften nicht verloren. Es beginnt mit der Verteidigung kultureller oder soziologischer Interessen, kann aber auch in die Verfolgung krimineller Interessen münden“, sagte er.

„Sobald der Staat seine Rolle als Regulator und Ordnungshüter in der Gesellschaft nicht mehr wahrnimmt, organisieren sich die Gemeinschaften untereinander und verteidigen sich selbst“, fügte er hinzu.

Colombies hob auch die DZ-Mafia hervor, eine kriminelle Organisation aus Marseille, die ihren Einfluss in ganz Frankreich, vorwiegend im Drogenhandel, ausgebaut hat.

Er wies darauf hin, dass diese Banden ein paralleles Regierungssystem geschaffen hätten und die Beteiligung am Drogenhandel jungen Männern eine Möglichkeit zum Aufstieg bieten könne.

„Der Drogenhandel ermöglicht es denjenigen, die daran beteiligt sind, die soziale Leiter hinaufzuklettern; er ist sozial sehr wichtig“, sagte er.

Ultragewalt

Innenminister Retailleau und andere Politiker haben tiefgreifende strukturelle Veränderungen gefordert, um das Problem anzugehen. Frankreich aber steht vor noch härteren Ausgabenkürzungen als bisher. Die Regierung will den Haushalt um 60 Milliarden Euro im Jahr 2025 kürzen.

Noch sei Frankreich nicht mexikanisiert, sagte Colombies. Die Straßen würden bis jetzt nicht von Schlägern kontrolliert. Frankreich sei noch kein „Drogenstaat“.

Er betonte jedoch, dass zur Lösung der Probleme deutlich mehr Mittel und Ressourcen erforderlich seien, um das Bandenunwesen in die Schranken zu weisen.

Er empfahl, mehr Polizeibeamte einzustellen und auszubilden, die Gefängniskapazitäten zu erweitern und spezielle Haftanstalten für Kriminelle einzurichten, ähnlich wie es Italien im Kampf gegen die Mafia getan habe.

„Wenn Sie Polizeibeamte gegen schwer bewaffnete Menschenhändler einsetzen und es dabei zu Todesfällen kommt, müssen Sie die Polizei unterstützen. Sie müssen in der Lage sein, mit extremer Gewalt umzugehen“, sagte er. Das erfordere viel Mut.

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „France Grapples With ‘Mexicanized’ Narco-Enclaves“. (deutsche Bearbeitung jw)



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