Frankreich: Die Brandmauer ist gefallen – Umfragen sagen rechte Regierungsmehrheit voraus

Über ein Jahrzehnt galt eine Brandmauer nach rechts bei den französischen Regierungsparteien. Mit dem Rassemblement National wollte niemand an die Macht. Das wird sich bei den vorgezogenen Parlamentswahlen Ende Juni und Anfang Juli wohl ändern. Eine rechte Allianz kann die absolute Mehrheit erlangen. Ein Interview mit dem französischen Essayisten Julien Rochedy.
Titelbild
Möglicherweise der nächste Premierminister in Frankreich: Europaabgeordneter Jordan Bardella vom Rassemblement National (10. Juni 2024).Foto: Alain Jocard/AFP via Getty Images
Epoch Times29. Juni 2024

Wenn am Sonntag die Franzosen zum ersten Wahlgang der vorgezogenen Parlamentswahlen ihre Stimmen abgeben, wird die nationalistische Rechtspartei von Marine Le Pen mit ihrem Spitzenkandidaten Jordan Bardella wahrscheinlich mit deutlichem Vorsprung gewinnen. Der RN legte laut einer am Freitag für das Wirtschaftsmagazin „Les Échos“ veröffentlichten Umfrage noch mal 2 Punkte im Vergleich zum 24. Juni zu und befindet sich bei 37 Prozent der Wahlabsichten.

Gleichzeitig verlor die Präsidentschaftsmehrheit von Emmanuel Macron 2 Punkte und lag bei 20 Prozent. Die linke Neue Volksfront bleibt mit 28 Prozent stabil. Die konservativ-bürgerlichen Republikaner (LR) bleiben bei 6 Prozent und die identitäre Partei Reconquête!, die sich rechts des RN positioniert hat, liegt bei 1 Prozent.

Scheinehe oder neue Regierungsmehrheit im rechten Lager?

Epoch Times: Der Präsident der Republikaner, Éric Ciotti, kündigte vor zwei Wochen ein Bündnis mit dem RN an. Wie haben Sie auf die Gründung dieser Allianz reagiert?

Julien Rochedy: Auf dieses Bündnis wurde jahrelang oder sogar jahrzehntelang gewartet. Der Linken gelang es oft, zusammenzukommen und Wahlen zu gewinnen, aber die Rechte war bisher nicht in der Lage, darauf zu reagieren. Es handelt sich um eine extreme Verteufelung des RN, ehemals FN, die diese Partei aus dem berühmten „republikanischen Bogen“ herausführte. Mit anderen Worten: Wir waren Zeugen einer heuchlerischen Täuschung, die es einer Partei ermöglichte, Kandidaten aufzustellen und sich an der Demokratie zu beteiligen, während ihr die Bildung von Bündnissen untersagt wurde.

Das ergab keinen Sinn. Entweder musste die FN/RN wegen Extremismus und Missachtung republikanischer Prinzipien verboten werden oder sie wurde zugelassen, weil sie vollkommen legal und legitim war und daher in der Lage sein musste, am normalen Wahlspiel teilzunehmen. Und das besteht nun mal darin, Mehrheiten über Allianzen zu schaffen. Die Entscheidung von Éric Ciotti beendet diese groteske Situation endgültig. Er begräbt eine Anomalie, die der Linken seit Jahren in die Hände gespielt hat. Von nun an kann die Rechte eine gemeinsame Front vertreten. Endlich!

Wie würden Sie diese LR-RN-Allianz auf ideologischer Ebene charakterisieren?

In Wirklichkeit hat sich die ideologische Distanz zwischen LR und RN weiter verringert. Auf LR-Seite ist die Sensibilität für Identität, Sicherheit und Einwanderungsdämpfung immer wichtiger geworden. Auf der RN-Seite erleben wir – insbesondere in den letzten Wochen – eine Überarbeitung des Programms, um es konservativer und weniger populistisch zu gestalten. Die sozialistischen und antieuropäischen Aspekte werden geglättet, um einem klassischen, älteren, bürgerlichen, rechten Publikum besser gerecht zu werden.

An der Macht wird ein Jordan Bardella kein verrücktes politisches und wirtschaftliches Abenteuer wagen. Die Zeit für unrealistische, demagogische Versprechen ist dahin, je näher die Macht und ihre Verantwortung rücken. Mit eher nationalen Republikanern und einem konservativeren RN weisen die beiden Bewegungen daher zunehmend eine ausgeprägte ideologische Absprache auf.

Wird es den ciottistischen LRs und RN gelingen, ihre Differenzen in wirtschaftlichen und außenpolitischen Fragen nachhaltig zu überwinden?

Wie ich Ihnen bereits sagte, glaube ich, dass es immer weniger Unterschiede geben wird. Ob es uns gefällt oder nicht, Frankreich muss nach den Worten von Giscard d’Estaing immer noch „in der Mitte regiert werden“ und das aus einem ganz einfachen Grund: dem Durchschnittsalter der Bevölkerung und insbesondere der Wähler.

Der RN wird seinen Erfolg und sein Überleben bei den Wahlen seiner Fähigkeit verdanken, einen großen Teil der Rentner zu gewinnen. Diese Klientel ist zu einer anderen Einwanderungs- und Sicherheitspolitik bereit, aber ich bezweifle, dass sie zu einer Revolution im Wirtschaftsbereich und in der Außenpolitik bereit sind. Ohne diese Klientel wird der RN die Wahlen verlieren, und dies wird zwangsläufig ihre Politik beeinflussen.

Laut einer IFOP-Umfrage könnte der RN und ihre LR-Verbündeten eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung erreichen. Was ist Ihre Analyse?

Ich glaube, dass der LR-RN-Block eine große Zukunft hat. Die Rechte kann nicht mehr ohne den RN auskommen, der bei Wählern zu stark ist, und der RN kann nicht ohne die Republikaner auskommen, um zu regieren. Aufgrund demografischer und globaler Mechanismen strebt Frankreich eine konservative und autoritäre Regierung an, die durch dieses Bündnis perfekt repräsentiert wird.

Mit der Linken Allianz, die im Gegenzug die Neue Volksfront geschaffen hat, treten wir daher in eine neue Phase der politischen Bipolarisierung von rechts nach links ein, die äußerst deutlich sein wird und meiner Meinung nach mindestens zehn oder fünfzehn Jahre andauern wird. Also ja, diese Rechte kann am 7. Juli die absolute Mehrheit haben und das Land für lange Zeit regieren.

Das Interview mit Julien Rochedy ist im Original in der französischen Epoch Times erschienen.

 



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