Frankreich brennt – Millionen Menschen gegen die Rentenreform

Arbeiten bis 64? Die Bevölkerung sieht das anders – und demonstriert in großer Zahl gegen die Pläne der Regierung. Kritik an Polizeigewalt gegen Demonstranten hagelt es vom Europarat. Gibt es bei den Protesten Parallelen zur Gelbwestenbewegung?
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Die Stimmung heizt sich weiter auf. In den Städten legen die Menschen Feuer, um ihren Widerstand deutlich zu machen.Foto: Bildschirmfoto YouTube, Auslandsjournal ZDF
Von 26. März 2023

In Frankreich spitzen sich die Proteste gegen die umstrittene Rentenreform weiter zu. Präsident Emmanuel Macron hatte diese ohne Abstimmung durchs Parlament gebracht. Die Rentenreform sieht die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahren vor. In Paris, Bordeaux und anderen Städten kam es infolgedessen zu schweren Ausschreitungen mit rund 440 verletzten Polizisten.

Alleine in Paris seien 903 Feuer entzündet worden, sagte Innenminister Gérald Darmanin am Freitag, 24. März, im TV-Sender „CNews“. Es gebe eine „Radikalisierung“ seitens „Linksextremer“, die „die Republik angreifen“ wollten, verkündete Darmanin. Insgesamt hätten die Einsatzkräfte 457 Menschen an dem landesweiten Aktionstag am Donnerstag, 23. März, festgenommen.

Zum „Kollateralschaden“ der Auseinandersetzungen zählt der geplante Staatsbesuch des britischen Königs Charles III. in Frankreich: Die königliche Visite wird verschoben.

Bis zu 3,5 Millionen Menschen auf den Straßen

Am Donnerstag waren in Frankreich nach Angaben des Innenministeriums knapp 1,09 Millionen Menschen gegen die Pläne der Regierung auf die Straße gegangen. Die Gewerkschaften sprachen sogar von 3,5 Millionen Teilnehmern.

In Paris feuerte die Polizei Tränengas ab und setzte Schlagstöcke gegen die Menge ein. Die Gewalt war an der Spitze einer mehrheitlich friedlich verlaufenden Demonstration ausgebrochen. Einige Demonstranten setzten Berge von wegen des Streiks nicht abgeholten Mülls in Brand. Über Nacht lieferten sich Gruppen von Demonstranten mit der Polizei ein Katz- und Maus-Spiel. Einer der Demonstranten sagte zu einem Reporter: „Ja, es gibt Feuer, aber das hat die Regierung gelegt, nicht die Menschen.“

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In Bordeaux wurde das Tor des Rathauses in Brand gesteckt. Es falle ihm schwer, „diese Art von Vandalismus zu verstehen und zu akzeptieren“, sagte der Bürgermeister der Stadt, Pierre Hurmic, am Freitag dem Radiosender RTL.

Auch in anderen Städten verschärften sich die bei früheren Protesten vereinzelt aufgetretenen Eskalationen. Im westfranzösischen Lorient wurde das Polizeikommissariat zum Ziel der Wut der Demonstrierenden – vor allem von vermummten Jugendlichen. Im nordfranzösischen Lille und in Toulouse im Südwesten ging die Polizei mit Wasserwerfern gegen die Menschen vor. Die Bürgermeisterin des westfranzösischen Rennes sprach von „Szenen des Chaos“ in der Stadt.

Europarat kritisiert „exzessive“ Polizeigewalt

Der Europarat hat indes das teils harte Vorgehen der Einsatzkräfte gegen die Demonstranten kritisiert. Es sei ein „exzessiver Einsatz von Gewalt“ durch die französische Polizei während der Proteste gegen die Rentenreform. „Gewaltsame Vorfälle haben sich ereignet, darunter einige, die auf die Sicherheitskräfte abzielten“, erklärte am Freitag, 24. März, die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatovic. „Aber die sporadischen Gewalttaten einiger Demonstranten oder andere verwerfliche Taten von anderen Personen während eines Protests können den exzessiven Einsatz von Gewalt durch Vertreter des Staats nicht rechtfertigen.“

Außerdem reichten diese Taten nicht aus, um die friedfertigen Demonstranten ihres Rechts auf Versammlungsfreiheit zu berauben. Es sei Aufgabe der Behörden, die „wirksame Ausübung dieser Freiheiten zu erlauben, indem sie friedliche Demonstranten und die über diese Demonstrationen berichtenden Journalisten“ vor Polizeigewalt und der Gewalt Einzelner in oder am Rande der Protestzüge schützten, mahnte Mijatovic.

In den vergangenen Tagen hatten Menschenrechtsgruppen, Richter und linksgerichtete Politiker der Polizei Gewalt und willkürliche Festnahmen bei den Protesten vorgeworfen.

Parallelen zur Gelbwestenbewegung 2018

So manche Beobachter sehen Parallelen zur Gelbwestenbewegung 2018 und 2019. Damals war die Erhöhung von Steuern auf Kraftstoff der Auslöser für umfangreiche Sozialproteste. Macron beruhigte die Unruhen teilweise mit einer nationalen Bürgerdebatte. „Emmanuel Macron versucht, seine Wählerbasis zu retten, aber auch seine alternative Mehrheit, die puzzleartig zersplittert ist“, analysierte der Politologe Benjamin Morel bei „franceinfo“.

Ob ihm das gelingen wird? Gewinnerin des aktuellen Chaos scheint eher jemand anderes zu sein: Marine Le Pen. In einer aktuellen Umfrage der Sonntagszeitung „Le Journal du Dimanche“ macht ihre rechtsnationale Partei Rassemblement National (RN) gerade einen großen Sprung nach vorne.

Würde kommenden Sonntag gewählt, wäre der RN auf dem ersten Platz gleichauf mit dem Linksbündnis Nupes. Macrons Partei Renaissance wäre nur noch auf dem dritten Platz.

Ende nicht in Sicht

Präsident Macron versicherte am Freitag, er stehe den Gewerkschaften „zur Verfügung“. Er habe die Bereitschaft zu Beratungen über bestimmte Themen wie Arbeitsbedingungen oder die Vergütung in bestimmten Branchen signalisiert, sagte Macron bei einer Pressekonferenz in Brüssel, wo er am EU-Gipfel teilnahm.

Ein Ende der Demonstrationen ist auch wegen der Unnachgiebigkeit der Regierung nicht in Sicht: Die Gewerkschaften mobilisierten erneut für Dienstag, 28. März. Die ab Sonntag geplante dreitägige Visite des britischen Monarchen Charles III. wurde deswegen vorerst abgesagt.

Weitverbreitete Streiks hatten am Donnerstag zudem große Teile des öffentlichen Lebens lahmgelegt. Solche Einschränkungen dürften Frankreich auch in den kommenden Tagen treffen – wegen eines Arbeitsausstands der Fluglotsen sagten einige Fluggesellschaften erneut Flüge ab.

Die Teilnehmerzahlen waren indes erheblich höher als in den Wochen zuvor. Es war der erste Protesttag gegen die Reform, seit Macrons Regierung zur Durchsetzung der Reform auf den Verfassungsparagrafen 49.3 zurückgegriffen hatte. Demnach kann ein Gesetz ohne Schlussabstimmung im Parlament verabschiedet werden, wenn die Regierung ein anschließendes Misstrauensvotum übersteht. Am Montag war die Regierung knapp ihrem Sturz entgangen.

Der Chef der Gewerkschaft CFDT, Laurent Berger, forderte am Freitag eine sechsmonatige Pause für die Einführung der Reform. „Alle sind beunruhigt an diesem Morgen, weil es Gewalt gegeben hat, die inakzeptabel ist“, sagte er dem Radiosender RTL. Die Situation müsse nun beruhigt werden, „bevor es eine Tragödie gibt“.

Proteststreik führt zu Betriebsstopp bei Raffinerie

Aufgrund des Protests streikten bereits seit einiger Zeit Zulieferer von etwa Rohöl. Deshalb musste am Samstag, 25. März, die Raffinerie Esso-ExxonMobil in Port-Jéréme-Gravenchon (Seine-Maritime) ihre Produktion einstellen. Ihr ging indessen das Rohöl aus.

„Da die Proteste auch bei der CIM (Compagnie industrielle maritime) und im Öldepot von Le Havre fortgesetzt wurden, wird es keine Rohölversorgung für die Raffinerie Gravenchon geben, was morgen zum Stillstand der Anlagen führen wird.“ Das verkündete Christophe Aubert, CGT-Vertreter von Esso-ExxonMobil, am Freitag. Damit bestätigte er eine Meldung von „BFM-Normandie“. Wenn der Betrieb wieder Rohöl erhält, dauere es zehn Tage, ihn wieder anlaufen zu lassen.

(Mit Material der Agenturen)



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