Finanzjournalist: Ab August wird EU zum Schiedsrichter über Wissen und Wahrheit

Ab dem 25. August müssen sich große soziale Netzwerke und Onlinehändler dem „Digital Services Act“ (DSA) der EU unterwerfen, der weitreichende Kontrollen über ihre Inhalte ermöglicht. Kritiker befürchten das Aus für die Medien- und Meinungsfreiheit. Zweiter Teil unseres Fokusthemas.
Konzept der Redefreiheit in Gefahr: Mund einer Person ist mit einem Klebeband versiegelt
Konzept der Redefreiheit in Gefahr: Mund einer Person ist mit einem Klebeband versiegelt.Foto: SergeyChayko/iStock
Von 24. August 2023

Im ersten Teil unseres Fokusthemas „EU Gesetz gegen ‚Desinformation“ haben wir beschrieben, wie die EU vor allem auf Twitter Druck ausübt, um den „Digital Services Act“ (DSA) durchzusetzen. Das Gesetz hat das Potenzial, die Meinungs- und Medienfreiheit in Europa deutlich einzuschränken. 18 weitere Onlinedienstanbieter stehen bislang auf der Liste jener Unternehmen, die sich spätestens ab dem 25. August 2023 innerhalb der EU an die Vorschriften des DSA zu halten haben: YouTube, TikTok, Instagram, Snapchat, Meta/Facebook, Google Search, Google Maps und Google Play, Alphabet, Amazons Marketplace, Apples App Store, Microsofts LinkedIn und Bing, Booking.com, Pinterest, Wikipedia, Zalando und Alibabas AliExpress.

Amazon, Apple und Wikipedia hatten den freiwilligen „Code of Practice“ nach Recherchen des Finanzjournalisten Robert Kogon (Pseudonym) zwar nie unterzeichnet, wurden nun aber als „Very Large Online Platform“ (VLOP) trotzdem in die Pflicht genommen. Ob die EU somit auch Bücherrezensionen, Apps wie etwa Telegram oder Wikipedia-Ergänzungen verbieten lassen werde, stehe als Frage im Raum.

Enge Zusammenarbeit mit Faktencheckern

„Die Europäische Kommission“ würde in so einem Fall „zum eigentlichen Schiedsrichter über enzyklopädisches Wissen und Wahrheit“, schreibt Kogon. Obwohl Whatsapp nicht ausdrücklich genannt wurde, dürfte der beliebte Messenger als Teil der Meta-Familie ebenfalls der strengen EU-Überwachung unterliegen.

Die EU zwingt sie jetzt alle per DSA, jeweils ein „Compliance-Team“ vorzuhalten und einen Vertreter zu benennen, der für inhaltliche Entscheidungen verantwortlich ist. Das berichtete TheEpochTimes.com. Mit Blick auf schädliche Inhalte müssten die VLOPs künftig einmal jährlich eine Risikobewertung vorlegen und Gegenmaßnahmen vorschlagen. Die Kontrolle über inhaltliche Entscheidungen und Algorithmen müsse „für EU-Beamte und Forscher“ gewährleistet sein. Benutzer hätten allerdings nach wie vor das Recht, Beschränkungen und Löschungen anzufechten.

Darüber hinaus kündigte die EU laut „NorbertHaering.de“ an, künftig „alle Faktenchecker mit der ‚Europäischen Beobachtungsstelle für digitale Medien [EDMO] zusammenarbeiten‘ “ lassen zu wollen. Insgesamt gehe es der EU darum, „ein gemeinsames Vorgehen für die Bewältigung von Desinformation und Hetze“ zu erarbeiten.

Verbraucherschutz durch Anti-Desinformationsstrategie?

In der Tat arbeiten die EU und die Bundesrepublik Deutschland seit Jahren daran, die Macht über möglichst viele Kommunikationswege der Bürger zu erlangen. Offiziell stets zum Schutz gegen „Desinformation“, der angeblich der „Meinungs- und Informationsfreiheit“ und den „europäischen Werten und Grundrechten“ dienen soll.

Im Oktober 2018 war es der EU vor dem Hintergrund der Krim-Krise gelungen, „Vertreter von Online-Plattformen, führenden Technologieunternehmen und Akteuren der Werbebranche“ zur freiwilligen Unterzeichnung des „Code of Practice on Disinformation“ zu bewegen, laut Europäischer Kommission ein „Verhaltenskodex zur Selbstregulierung, um der Verbreitung von Desinformation im Internet entgegenzuwirken“. Mitte Juni 2022 legte die EU dazu abermals einen „verstärkten Verhaltenskodex zur Desinformation“ vor (PDF).

Nach Angaben des lesenswerten Blogs des Journalisten Norbert Häring (als PDF zuerst erschienen unter „DieDrei.org“) habe schon der „Code of Practice“ zu den Sperrungen und Löschungen während der Corona-Jahre beigetragen: „In bislang nie da gewesenem Ausmaß kuratierte Google insbesondere die erste Seite seiner Trefferliste und kooperierte hierbei mit der WHO und der Johns Hopkins Universität, aber auch mit Jens Spahn und dem Bundesgesundheitsministerium“, heißt es auf „NorbertHaering.de“.

Auch Elon Musk hatte vor einigen Monaten zusammen mit Journalisten im Rahmen der „Twitter-Files“-Enthüllungen aufgedeckt, wie eng und umfangreich die Zusammenarbeit von Regierungen, Behörden und Social Media-Anbietern schon lange vor seiner Plattform-Übernahme gediehen war – erwähnt sei hier nur die Unterbindung brisanter Informationen bezüglich des Hunter-Biden-Laptops, die Sperrung von US-Präsident Donald Trump und die Zensur angeblicher COVID-19-„Fehlinformationen“.

Selbst der als linientreu geltende Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hatte im Sommer 2022 zugegeben, auf ausdrückliche Empfehlung des FBI die Reichweite kritischer Beiträge über Präsidentensohn Hunter Biden aktiv reduziert zu haben.

Regulierungswerkzeuge der EU und Deutschlands zum Kampf gegen „Desinformation“ – das Wichtigste auf einen Blick:

Am 5. Juli 2022 stimmte das EU-Parlament sowohl dem DMA als auch dem DSA zu. Der DSA trat am 16. November 2022 von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt in Kraft.

„Krisenreaktionsmechanismus“ bei „außergewöhnlichen Umständen“

Nach Recherchen auf „Norberthaering.de“ erlaubt der DSA auch einen „Krisenreaktionsmechanismus“: Falls beispielsweise eine Pandemie oder ein Krieg ausbrechen sollte, dürfte die EU „direkt eingreifen und von den Digitalkonzernen verlangen, sofort ‚spezifische, wirksame und verhältnismäßige Maßnahmen wie die in Art. 27 Abs. 1 oder Art. 37 Abs. 2 vorgesehenen, zu ermitteln und anzuwenden‘ “.

Um den „Krisenreaktionsmechanismus“ auslösen zu können, genügten „außergewöhnliche Umstände“, die „zu einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Sicherheit oder der öffentlichen Gesundheit in der Union oder in wesentlichen Teilen davon führen“ würden.

DSA soll ab Februar 2024 für alle Plattformen gelten

Am 25. April 2023 veröffentlichte die EU die Liste jener 19 „Very Large Online Platforms“ (VLOP), die innerhalb von vier Monaten besonders strenge DSA-Auflagen erfüllen müssen.

Ab dem 17. Februar 2024 soll der DSA in allen EU-Staaten für alle, also auch für kleinere Dienstleisterplattformen gelten. „Da mit dem DSA für die gesamte EU ein einheitlicher Regulierungsrahmen für Plattformen eingeführt wird, müssen nationale Digitalgesetze wie das NetzDG in Deutschland grundlegend überarbeitet werden“, schreibt „algorithmwatch.org“.

Was das für Websites bedeuten könnte, die beispielsweise Waren oder Kommentarfunktionen anbieten, ist noch unklar.

Prof. Michael Meyen: „Meinungs- und Medienfreiheit waren gestern“

Der Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Michael Meyen von der Ludwig-Maximilians-Universität München kommentierte den digitalpolitischen Kurs der EU schon 2021 in der Zeitung „Der Freitag“ mit den Worten

Der Staat greift nach dem Internet – und die Öffentlichkeit schaut weg, weil die Leitmedien auf einen K.-o.-Sieg im Kampf um Definitionsmacht und Deutungshoheit hoffen oder ohnehin auf Linie sind. Mehr noch: Der Staat hat Zensurbehörden installiert und dafür auf der großen Bühne sogar Beifall bekommen. […] Der ‚Feind“ […] ist so gefährlich, dass wir alles vergessen dürfen, was uns das Dritte Reich gelehrt hat. Meinungs- und Medienfreiheit waren gestern. Heute bestimmt die Politik, was öffentlich gesagt werden darf.“

Auch WHO will „Desinformation“ bekämpfen

Weitere Einschränkungen plant übrigens auch die Weltgesundheitsorganisation WHO. Der neue WHO-„Pandemievertrag“ ist zwar noch nicht unterschrieben. Schon jetzt aber ist klar, dass auch er auf Maßnahmen zur Eindämmung von Desinformationen setzen will. In Artikel 17 des Entwurfs findet sich laut „transparenztest.de“ ein entsprechender Passus.

Hier geht es zum ersten Teil unseres Fokusthemas „EU Gesetz gegen ‚Desinformation“.



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