Fieberhafte Vermisstensuche nach Flutdrama in Spanien
Es wirkt wie eine Szene aus einem Horrorfilm: In einer dunklen und stillen Tiefgarage waten mehrere Männer langsam und vorsichtig durch hüfthohes Wasser. Sie tragen Schutzhelm, Mundschutz und Taschenlampen. Nicht identifizierbare Objekte treiben an der Oberfläche. Auf diesen unterirdischen Parkplatz des Einkaufszentrums Bonaire in Aldaia, einem Vorort Metropole Valencia, sowie auf andere Tiefgaragen konzentriert sich die Suche nach Vermissten – sechs Tage nach dem Jahrhundert-Unwetter im Osten Spaniens.
Nach der jüngsten offiziellen Bilanz forderten die Überschwemmungen und Erdrutsche mindestens 217 Menschenleben, die meisten in der auch bei deutschen Urlaubern beliebten Region Valencia. Man geht jedoch davon aus, dass die Zahl der Todesopfer weiter steigen wird – auch, weil noch immer viele Menschen nicht kontaktiert werden konnten.
Suche inmitten eines bestialischen Gestanks
Alle Blicke richten sich besonders auf Bonaire, da dort nicht weniger als 2.700 unterirdische Stellplätze existieren. Die Einsatzkräfte der Polizei, des Militärs und der Feuerwehr arbeiten unermüdlich – inmitten eines bestialischen Gestanks, wie Reporter berichten. Die gute Nachricht: Bei der Durchsuchung der ersten 50 Fahrzeuge wurde keine Leiche entdeckt.
Aldaia-Bürgermeister Guillermo Luján relativierte unterdessen im staatlichen TV-Sender RTVE die dramatisierenden Berichte einiger Medien. Manche spekulierten, man könnte allein in Bonaire womöglich Hunderte Tote finden. „Der Parkplatz war fast leer, wir schätzen, dass dort zum Zeitpunkt der Überschwemmung weniger als 100 Fahrzeuge parkten“, betonte Luján. Man müsse vorsichtig sein, es seien übertriebene Darstellungen im Umlauf.
Warnungen vor Spekulationen
Eine offizielle Vermisstenzahl gibt es nach wie vor nicht. Einige wenige Medien schreiben seit Tagen von 1.500, 2.000 oder sogar 2.500 Vermissten. Dafür gibt es jedoch keine belastbaren Quellen. Vermutlich basieren sie auf den Notrufen, die teils schon zu Beginn des Unwetters bei den Behörden eingingen. „Wir dürfen nicht spekulieren“, sagte zu diesem Thema der Minister für Territoriale Politik, Ángel Víctor Torres. Er warnte vor Fake News. Man müsse seriös vorgehen.
Die Bergung der Leichen, das Zittern um die Vermissten und die Verzweiflung der Tausenden, die ihr ganzes Hab und Gut und zum Teil auch Angehörige und Freunde verloren haben, stehen nach einer knappen Woche weiter im Mittelpunkt. Wie gereizt die Stimmung unter den Betroffenen ist, die sich über eine schleppende Hilfe beklagen, zeigten auch die Tumulte beim Besuch des Königspaars Felipe und Letizia und Regierungschef Pedro Sánchez am Sonntag in der schwer in Mitleidenschaft gezogenen Gemeinde Paiporta, als die Gäste mit Schlamm beworfen, beschimpft und sogar attackiert wurden. Die Polizei nahm Ermittlungen auf.
Aber es gibt auch News, die etwas Trost spenden: Immer wieder tauchen als vermisst geltende Personen auf. Zuletzt die Rentnerin Josefa, wie der Polizist Iván García in RTVE erzählte. „Die Freude der Angehörigen und Freunde war beim Wiedersehen riesengroß, unbeschreiblich“, sagte er. „Sie war die ganze Zeit zu Hause, konnte aber nicht kontaktiert werden.“ García zieht mit Kollegen und freiwilligen Helfern von Haus zu Haus. Es gebe weiterhin „viele Menschen, die völlig desorientiert sind“ – und sich daher nicht melden.
Keine Unwetterwarnung mehr im Katastrophengebiet
Die Aufräum- und Bergungsarbeiten kamen derweil immer mehr auf Touren. Am Montag waren neben rund 10.000 Polizisten der Policía Nacional und der Guardia Civil mehr als 7.500 Militärangehörige im Einsatz. Sie wurden von Feuerwehr und Zivilschutz sowie von unzähligen Freiwilligen unterstützt. Es wird vermutet, dass die Aufräumarbeiten viele Tage und sogar Wochen in Anspruch nehmen werden. Der Wiederaufbau dürfte Monate dauern.
In Valencia hatte es am Dienstag in einigen Ortschaften innerhalb weniger Stunden so viel Regen gegeben wie sonst in einem Jahr. Am Montag und auch in den nächsten Tagen wurden im Katastrophengebiet keine nennenswerten Niederschläge erwartet. Dafür regnete es in Katalonien im Nordosten des Landes heftig. Der Flughafen der Regionalhauptstadt Barcelona musste rund 70 Flüge streichen und 18 umleiten. Zeitweilig wurde der gesamte regionale Bahnverkehr eingestellt. Zahlreiche Straßen wurden überflutet, 150 Schulen sagten den Unterricht ab. (dpa/red)
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