Feuerpause in Idlib: Kurz fordert Vermittlerrolle und warnt EU vor Migranten-Aufnahme
Eine zwischen Russland und der Türkei vereinbarte Waffenruhe für die nordsyrische Provinz Idlib hat offenbar zumindest in den ersten Stunden Wirkung gezeigt.
In der Region herrsche „relative“ Ruhe, teilten Aktivisten in der Nacht zum Freitag mit. Die am Donnerstag zwischen Russland Staatschef Wladimir Putin und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ausgehandelte Feuerpause war um Mitternacht (Ortszeit) in Kraft getreten.
Weder die syrische Regierungsarmee noch die mit ihr verbündeten russischen Verbände hätten danach zunächst ihre Luftangriffe in Idlib fortgesetzt, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte.
Noch bis kurz vor Inkrafttreten waren die Gefechte in Idlib weitergegangen. Bis wenige Minuten vor Mitternacht habe es Bombardierungen gegeben, erklärte die Beobachtungsstelle.
Die in Großbritannien ansässige Beobachtungsstelle stützt sich auf ein Netzwerk von Informanten vor Ort. Die Angaben der Aktivisten-Organisation sind von unabhängiger Seite oft kaum nachprüfbar.
Feuerpause vereinbart
Putin und Erdogan hatten sich bei sechsstündigen Verhandlungen in Moskau auf die Feuerpause verständigt. Es soll zudem einen zwölf Kilometer breiten Sicherheitskorridor entlang einer strategisch wichtigen Autobahn geben, wie aus dem von der Nachrichtenagentur AFP eingesehenen Abkommenstext hervorgeht. Um den Korridor zu schützen, soll es ab 15. März gemeinsame Patrouillen russischer und türkischer Soldaten geben.
Durch die Einigung solle vermieden werden, dass die humanitäre Krise „noch schlimmer wird“, sagte Erdogan bei einer Pressekonferenz mit Putin. Dieser zeigte sich optimistisch, dass die Absprachen als „gute Grundlage für ein Ende der Kämpfe dienen“ und „das Leiden der Zivilbevölkerung beenden“.
Putin beantragte für Freitag eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats in New York hinter verschlossenen Türen, um das Gremium über die Vereinbarung zu informieren, wie AFP aus diplomatischen Kreisen erfuhr.
Kurz fordert Vermittlerrolle
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz fordert eine Vermittlerrolle der Europäischen Union im Syrienkonflikt. „Es braucht einen europäischen Friedensplan für Syrien. Die EU muss stärker aktiv werden“, sagte Kurz den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Freitagausgaben) und ihrer französischen Partnerzeitung Ouest-France.
„Die Lösung kann nur sein, eine Friedenszone in Syrien zu schaffen, vorzugsweise im Norden. Diese Mission unter UN-Mandat muss dort Stabilität und Sicherheit bieten.“
Es gebe in Syrien rund sechs Millionen Binnenflüchtlinge, die eine derartige Schutzzone verdient hätten. „Auch wenn alle Versuche bislang gescheitert sind: Wir dürfen nicht aufgeben“, sagte der österreichische Regierungschef. Angesichts der Kämpfe in Nordsyrien solle die EU eine diplomatische Initiative starten, so Kurz.
„Selbstverständlich brauchen wir Gespräche und Verhandlungen mit Russland. Aber ich sehe keinen anderen Weg, als dass Russland und die Türkei einen Waffenstillstand für die Rebellen-Hochburg Idlib in Nordwest-Syrien beschließen.“ Hier sei die EU gefordert.
Migranten ohne Anrecht auf Asyl in Griechenland
Er warnte zudem vor einer Aufnahme der Flüchtlinge an der griechisch-türkischen Grenze. Die EU dürfe dem vom türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan mit der Grenzöffnung erzeugten Druck „nicht nachgeben“, sagte Kurz.
Die Menschen an der griechisch-türkischen Grenze würden von Erdogan „ausgenutzt“ und „instrumentalisiert“, betonte der österreichische Regierungschef. „Dieses Spiel dürfen wir nicht mitspielen.“
Die zuletzt an die griechische Grenze gelangten Menschen hätten keinen Anspruch auf Asyl, so der österreichische Kanzler weiter. Sie kämen größtenteils nicht aus dem syrischen Kriegsgebiet.
Es handle sich großteils um Migranten, die schon jahrelang in der Türkei lebten und kein Recht auf Asyl in Griechenland hätten, da sie in der Türkei nicht verfolgt würden. Zudem seien einige dieser Menschen seien „gewaltbereit“.
Wenn es den Menschen an der griechisch-türkischen Grenze gelinge, bis nach Mitteleuropa durchzukommen, würde dies die Flucht von hunderttausenden „und später vielleicht Millionen“ weiteren Menschen nach sich ziehen, warnte der Kanzler. Am Ende würden dann „dieselben Zustände“ eintreten wie während der Flüchtlingskrise von 2015, sagte Kurz.
Russland und Türkei verfolgen unterschiedliche Interessen
Russland und die Türkei unterstützen in dem Konflikt die verfeindeten Parteien. Moskau steht an der Seite der syrischen Regierungstruppen, deren Gegner werden teilweise von der Türkei unterstützt.
In Idlib gehen die Truppen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad mit russischer Unterstützung seit Dezember massiv gegen die letzten Hochburgen islamistischer Milizen vor. Knapp eine Million Menschen sind seitdem nach UN-Angaben in die Flucht getrieben worden.
Die Türkei startete ihrerseits vor einigen Tagen eine große Militäroffensive gegen die Regierungstruppen in der Region, nachdem bei einem syrischen Luftangriff auf türkische Beobachterposten 34 Soldaten getötet worden waren. Am Donnerstag wurden zwei weitere türkische Soldaten bei Beschuss durch die syrische Regierungsarmee getötet, wie das Verteidigungsministerium in Ankara mitteilte.
Wegen der Eskalation der Kämpfe in Idlib hatte Erdogan am Wochenende die Grenzen seines Landes zur EU für Flüchtlinge geöffnet. Griechische Sicherheitskräfte bemühen sich seither mit massivem Einsatz, Grenzübertritte zu verhindern. (dpa/afp/nh)
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