Ferieninsel Lesbos: Wenn Urlauber auf Flüchtlinge treffen
Die Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak müssen dagegen pro Kopf 1200 Euro bezahlen, um einen Platz in einem wackeligen Schlauchboot zu bekommen. Die Fahrt mit der Fähre ist ihnen verwehrt. Auf der Überfahrt riskieren sie ihr Leben, um EU-Boden zu erreichen. Dennoch ist der Andrang ungebrochen.
Vom antiken Burgberg von Assos kann man bei guter Sicht die Häuser auf Lesbos erkennen. Am Fuße des Burgbergs liegt die Kadirga-Bucht. Hier reihen sich diverse Hotels und Ferienresorts an traditionelle Strandrestaurants. Auf den Liegestühlen genießen Touristen die Sonne. In den Olivenhainen dahinter liegt Müll – Folien, Plastikflaschen, gebrauchte Windeln. Gelegentlich warten auf einem Feldweg Flüchtlinge auf eine Nachricht ihrer Schleuser, wann es nun endlich losgeht.
Ein Restaurant-Wirt, der nicht genannt werden möchte, schüttelt den Kopf. „Das ist alles sehr, sehr traurig“, sagt der Mittfünfziger. Immer wieder gebe es Unglücke, Flüchtlinge würden bei der Überfahrt umkommen, auch Frauen und Kinder.
In Sichtweite der Strandtouristen verfolgen Schnellboote der türkischen Küstenwache Schlauchboote mit Flüchtlingen, auch Warnschüsse fallen. Meistens lassen sich die Flüchtlinge nicht vom Kurs abbringen, und die Schnellboote drehen ab.
Etwa zwei Stunden braucht so ein Schlauchboot für die Überfahrt, ebenso lange wie die offizielle Fähre von Ayvalik zur Hauptstadt Mytilini im Südosten von Lesbos. Schon von weitem sind die Flüchtlinge im Fährhafen zu sehen, Tausende. Die Hafenmole ist übersät mit Zelten und Menschen. Direkt vor der Fähre stehen Zelte auf dem Kai. Am Sockel der stolzen Freiheitsstatue liegt Kleidung zum Trocknen, Kinder hüpfen auf den Marmorstufen. Der Stadtpark ist voller Müll. Auf den Fußwegen schlafen junge Männer.
Ein Autovermieter lotst Touristen durch die Menschenmassen in sein Büro. „Hier ist es derzeit schrecklich, das stimmt“, sagt er, versichert aber eilig: „Im Westen der Insel werden Sie nichts mehr davon mitbekommen, alles ruhig.“ Dennoch lassen sich manche Urlauber von den vielen Flüchtlingen in Mytilini abschrecken. „Wir fahren da nicht hin“, sagt ein belgisches Ehepaar, das an der Südküste der Insel sein Quartier hat. „Zu viele Flüchtlinge, zu viel Müll, zu viel Elend da.“
Die Ägäis-Insel Lesbos ist die drittgrößte griechische Insel. Knapp 90 000 Menschen leben dort. Allein in diesem Jahr sind nach Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR mehr als 200 000 Flüchtlinge hier angekommen.
Die meisten Boote landen im Norden von Lesbos, bei Molivos, dem beliebtesten Touristenort. Wie in Mytilini liegen überall an den Stränden und Küsten Schwimmwesten und aufgeschlitzte Schlauchboote. Direkt am Hafen befindet sich das Zentrum der privaten Flüchtlingshilfe, das Restaurant „The Captains Table“.
Die Besitzerin, die gebürtige Australierin Melinda McRostie, bekommt seit Jahren hautnah mit, wenn die Küstenwache wieder Bootsflüchtlinge an Land bringt. „Seit Mai ist die Situation aber eskaliert“, sagt die 45-Jährige. Im Mai kamen 200 Flüchtlinge pro Woche, jetzt sind es manchmal 3000 an einem Tag.“ Bei Melinda laufen viele Fäden zusammen, sie koordiniert die Arbeit diverser Hilfsorganisationen und Dutzender Freiwilliger aus aller Welt.
Zu ihnen gehört auch Samuel Heinrich aus Schwäbisch-Gmünd. Der 19-Jährige hat gerade Abitur gemacht und ist jetzt für vier Wochen „volunteer“, freiwilliger Helfer. Die Deutsch-Griechische Gesellschaft in Tübingen bezahle jungen Leuten, die auf Lesbos helfen wollen, Flug und Unterkunft, erzählt er. „Ich wollte nach dem Abi erstmal etwas Soziales machen.“
Wenige hundert Meter weiter stapeln sich in einem Haus Kartons mit Spenden für Flüchtlinge. „Die Pakete kommen aus aller Welt“, sagt Rüdiger Kolmann. „Aus Australien, Hongkong, aber die meisten aus Holland und Skandinavien“, wundert sich der 64-Jährige aus Hamburg, der eigentlich einen ruhigen Urlaub auf Lesbos verbringen wollte.
Dann sah er die Not der Flüchtlinge und stieg bei der Initiative ein. Jetzt sortiert er Zelte, Schlafsäcke und Kleidung und verteilt sie auf die verschiedenen Zimmer. „Man kann doch nicht einfach nichts machen.“ Auch die 19-jährige Anna und ihr Freund Nikolas (21) aus Tübingen packen mit an. Was die Flüchtlinge nicht brauchen können, bieten die Helfer sozial schwachen Griechen an. „Wir wollen verhindern, dass die Griechen sagen: Den Flüchtlingen wird geholfen und wer hilft uns?“ Inzwischen platzt die Villa aus allen Nähten, die Sammlung wurde vorläufig gestoppt.
Auf dem provisorischen Flüchtlingssammelplatz bei Molivos warten inzwischen Hunderte Menschen auf Busse, die sie nach Mytilini oder in eine ehemalige Kaserne in der Ortschaft Moria bringen. Ärztinnen von zwei französischen Hilfsorganisationen (La Chaîne de l’Espoir und WAHA) untersuchen eine ältere Frau und ein Kind. Der Grieche Kirilos Maragos verteilt Wasser, Milch, Saft und Bananen. „Ich möchte helfen“, sagt der 49-Jährige nur und arbeitet weiter.
Der Syrer Fahad ist erst vor einer Stunde auf Lesbos angekommen. Seine Hose ist noch nass von der Überfahrt im Schlauchboot. 1200 Euro hat er bezahlt. „Wir waren 45 Menschen in dem Boot.“ Eine Woche hat er in der Türkei gewartet, bis er übersetzen konnte. Er sei vor der Terrormiliz Islamischer Staat geflohen, sagt er. „Die bringen 15-jährigen das Töten bei. Ich will nie mehr nach Syrien zurück.“
Die 26-jährige Gada ist gerade mit ihrem Mann und den beiden Töchtern Malaak (4) und Mariam (6) auf Lesbos angekommen. Sie spricht ausgezeichnet Deutsch. „Ich bin mit zwei Jahren nach Deutschland gekommen, da aufgewachsen und zur Schule gegangen.“ Als sie 18 war, wurde sie mit ihren Eltern nach Syrien abgeschoben, zehn Jahre habe sie dann im Libanon gelebt.
Die Familie habe den Schleusern 3800 Dollar bezahlt, sagt Gada. Um vier Uhr morgens ging es los. „Die Schwimmwesten mussten wir uns selbst kaufen. Und dann haben sie uns ins Boot gesetzt und gesagt: "Da ist Lesbos, viel Glück."“
Vor wenigen Tagen hat ein Kreuzfahrtschiff im Auftrag der griechischen Regierung 1700 Flüchtlinge von der Insel geholt und nach Piräus gebracht. „Viel zu wenig“, sagt Sofia, Geschäftsführerin einer Feriensiedlung. Und sie befürchtet, dass es noch schlimmer wird. „Vor der Wahl haben die Politiker noch was getan, damit es hier nicht zu schlimm wird. Aber jetzt ist die Wahl vorbei.“ (dpa)
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