FBI: Morde im Jahr 2020 in den USA um etwa 30 Prozent gestiegen

Experten machen drei Faktoren für den Anstieg verantwortlich: die Corona-Maßnahmen, polizeifeindliche Bewegungen und den erhöhten Waffenbesitz.
Von 10. Oktober 2021

Die Zahl der Morde ist in den Vereinigten Staaten im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 29,4 Prozent gestiegen. Das FBI bestätigte nun offiziell, was Polizeibeamte und Staatsanwälte seit einiger Zeit beschäftigt. 

Letztes Jahr wurden nach einer Statistik des FBI 21.570 Tötungsdelikte in den USA gemeldet – das sind 4.901 mehr als im Jahr 2019. Insgesamt gab es schätzungsweise 1.277.696 Gewaltverbrechen im Jahr 2020.

Auffällig ist jedoch, während 2020 Gewaltdelikte im Gegensatz zum Vorjahr um fünf Prozent stiegen, gingen kriminelle Delikte im Allgemeinen im gleichen Zeitraum um sechs Prozent zurück. Die Zahl der Eigentumsdelikte ging laut Statistik um acht Prozent zurück, die Zahl der Raubdelikte um 9,3 Prozent und die Zahl der Vergewaltigungsdelikte um zwölf Prozent.

Dies sei nach Einschätzungen des FBI darauf zurückzuführen, dass in der Hochzeit der Corona-Pandemie in den USA viele gezwungen waren, zu Hause zu bleiben.

Das Alter der Täter und Opfer, die in Gewaltverbrechen verwickelt waren, lag meistens zwischen 20 und 29 Jahren.

Laut Jeff Asher, Ex-Kriminalanalytiker für die US-Regierung, handelt es sich bei dem Anstieg im Jahr 2020 um den größten seit Beginn der nationalen Aufzeichnungen in den 1960er-Jahren. Das sagte der Datenberater gegenüber „NPR“.

Daten nicht vollständig

Ähnliche Werte wurden in den 1990er-Jahren verzeichnet. Allerdings hatten sich damals 13,5 Prozent aller Morde im Land in New York und Los Angeles ereignet. 2020 hingegen waren es nur vier Prozent. „Es ist also viel breiter gestreut als in den 90er-Jahren“, so Asher.

Die Informationen vom FBI sind jedoch unvollständig. Der Grund: Die Übermittlung der Daten für den Bericht ist freiwillig. Nach Angaben des FBI hatten etwa 85 Prozent der betroffenen Behörden Daten eingereicht – das sind rund 12.000 Strafverfolgungsbehörden.

Asher wies zudem auf eine weitere wichtige Auffälligkeit hin. Ihm zufolge sei die Mordrate in Städten mit weniger Einwohnern (zwischen 10.000 und 250.000) höher als in Städten mit 250.000 bis eine Million Einwohnern.

Kriminologen und Polizeibeamte haben mögliche Erklärungen für den plötzlichen, drastischen Anstieg der Tötungsdelikte untersucht, darunter gesellschaftliche Veränderungen aufgrund der Maßnahmen der Corona-Politik, Veränderungen in der Polizeiarbeit bis hin zu vermehrten Waffenverkäufen. 

In diesem Jahr haben die Beamten einen weiteren Anstieg der Tötungsdelikte festgestellt, der jedoch nicht so ausgeprägt ist wie im letzten Jahr.

Pandemie, polizeifeindliche Stimmung und mehr Waffenbesitz

James Alan Fox, Professor für Kriminologie an der Northeastern University, erklärte gegenüber „USA Today“, dass die Mordserie im Jahr 2020 möglicherweise keinen langfristigen Anstieg darstelle.

„Das vergangene Jahr war in vielerlei Hinsicht einzigartig“, sagt Fox. Wegen der Pandemie waren die Menschen nicht an strukturierten Aktivitäten beteiligt: Die Kinder waren nicht in der Schule und die Erwachsenen nicht bei der Arbeit. Das ganze Land war gespalten, so Fox, teils durch die Politik, aber auch wegen der Corona-Maßnahmen. Zur Spaltung haben auch die neuen Bewegungen für soziale Gerechtigkeit der Farbigen beigetragen, sagt der Professor.

Einige Polizeiverbände gehen davon aus, dass der Kriminalitätsanstieg zumindest teilweise auf die polizeifeindliche Stimmung während der Black-Lives-Matter-Proteste und -Unruhen im Jahr 2020 zurückzuführen sei. Ende Juni brachte der Berufsverband der US-Polizisten die damit verbundene „Defund the Police“-Bewegung mit einem Anstieg der Tötungsdelikte im ganzen Land in Verbindung.

Andere sehen ebenfalls Zusammenhänge zwischen der Bewegung und dem Anstieg. Die wahrscheinlichsten Schuldigen für den Anstieg der Tötungen sind zwei, sagt Justin Nix, Professor für Kriminologie und Strafrechtspflege an der Universität von Nebraska, gegenüber der „Washington Post“.

Diese seien einerseits die Pandemie und andererseits, was er eine „Krise der Polizeilegitimität“ nannte, die durch die gefilmte Tötung des farbigen George Floyd durch einen Polizeioffizier in Minneapolis herbeigeführt wurde.

Menschen vertrauen der Polizei weniger

Dieser und andere Vorfälle hätten dazu geführt, dass viele Menschen das Vertrauen in die Polizei verloren haben. Sie riefen seltener um Hilfe und seien weniger bereit, den Ermittlern Informationen über Morde zu geben, sagt Nix. Dieser Effekt würde noch verstärkt, wenn sich Beamte angesichts öffentlicher Kritik aus dem Streifendienst und anderen Aufgaben zurückziehen.

Weiter stellt Nix fest, dass mehr Menschen an öffentlichen Orten Waffen tragen und benutzen. Dies könne ebenfalls zu mehr Tötungen führen.

Über die Zukunft des Landes macht er sich Sorgen. Er glaubt, „dass wir in den nächsten Jahren einen echten toten Winkel haben werden“.

Daniel Webster von der Johns Hopkins Universität sieht es ähnlich. Er macht hauptsächlich den Personalmangel der Polizeidienststellen in der Corona-Zeit für den Anstieg der Morde verantwortlich. Auch die neu erlassenen Vorschriften, um den Missbrauch in der Polizeiarbeit einzudämmen, würde die Arbeit der Beamten erschweren.

Wegen des aktuellen Klimas gebe es weniger Polizisten auf den Straßen. Auch würden weniger präventive Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung ergriffen, sodass sich mehr Menschen selbst bewaffnen. Und sie „neigen dazu, mit diesen Waffen schlimme Dinge zu tun“, so Webster.



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