Falsches, absurdes und unvernünftiges System: Die Schattenseite der Geburtenregulierung in China

"So lange es eine politische Geburtenregulierung gibt, wird auch eine Zwangsvollstreckung nicht vermeidbar sein", sagt Liang Zhongtang, Demograph der Shanghai Academy of Social Sciences. "Die Geburtenpolitik selbst verletzt die Menschenrechte“.
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Viele Frauen waren machtlos gegenüber der staatlich vorgeschriebenen Zwangsabtreibung und Zwangssterilisation.Foto: iStock
Von 11. Juli 2019

China begann gleichzeitig mit der Gründung der Volksrepublik 1949, den Einsatz von Geburtenkontrolle und Familienplanung zu fördern. Diese Bemühungen blieben bis nach dem Tod von Mao Zedong 1976 sporadisch und freiwillig. Ende der 1970er Jahre näherte sich Chinas Bevölkerung rasch der Milliardengrenze.

Die neue pragmatische Führung des Landes, unter der Leitung von Deng Xiaoping, begann ernsthaft darüber nachzudenken, das rasante Bevölkerungswachstum zu bremsen.

Ende 1978 wurde ein freiwilliges Programm angekündigt, das Familien ermutigen sollte, nicht mehr als zwei Kinder zu haben, wobei ein Kind vorzuziehen war. Es wurden staatliche Aufklärungskampagnen gestartet, deren Leitsatz „Später heiraten, weniger und mit größerem Abstand Kinder bekommen“ lautete.

Viele Chinesen haben sich an die Ein-Kind-Politik gewöhnt und wollen keine weiteren Kinder. Foto: iStock

Durchsetzung der Ein-Kind-Richtlinien 

Im Jahr 1979 wuchs die Forderung der Politik nach nur einem Kind pro Familie. Landesweit wurde dies jedoch innerhalb der verschiedenen Provinzen ungleich angewandt. 1980 versuchte die Zentralregierung die Ein-Kind-Politik in ganz China zu standardisieren. Am 25. September 1980 wurden in einem öffentlichen Schreiben des Zentralkomitees der KP China an die Parteimitglieder alle aufgefordert, sich an die Ein-Kind-Politik zu halten.

Das Programm sollte universell gelten, obwohl Ausnahmen gemacht wurden – z.B. durften Eltern innerhalb einiger ethnischer Minderheiten oder diejenigen, deren Erstgeborener behindert war, mehr als ein Kind haben.

Die Ein-Kind-Regelung wurde in den Städten am härtesten verfolgt, denn hier galt es die Bevölkerungsdichte am dringendsten zu reduzieren. Da das städtische Gebiet meist von der ethnischen Gruppe der Han-Chinesen bevölkert wurde, traf es diese am stärksten. Bürger, die in ländlichen Gebieten in ihren traditionellen agrarischen Großfamilien lebten, sowie Minderheiten unterlagen diesem Gesetz nicht.

Etablierung und Umsetzung

Zu den Durchsetzungsmethoden gehörte es, verschiedene Verhütungsmethoden allgemein zugänglich zu machen, finanzielle Anreize und bevorzugte Beschäftigungsmöglichkeiten zu bieten. Dies galt natürlich nur für diejenigen, die sich daran hielten nur ein Kind zu bekommen. Ignorierte man diese Politik, musste man mit wirtschaftlichen oder anderweitigen Sanktionen rechnen.

In den 80er Jahren war es nicht unüblich, dass Zwangsabtreibungen und Sterilisationen auch mit Einsatz von Staatsgewalt umgesetzt wurden.

Probleme und Reformen

Die Ein-Kind-Politik hatte umfassendere Auswirkungen als „nur“ das Bevölkerungswachstum zu reduzieren. Vor allem wurde das Geschlechterverhältnis des Landes insgesamt zugunsten der Männer verzerrt – plötzlich gab es etwa zwischen 3 und 4 Prozent mehr Männer als Frauen.

Besonders in ländlichen Gebieten werden traditionell männliche Kinder (vor allem Erstgeborene) bevorzugt, da Söhne den Familiennamen und das Eigentum übernehmen und für die Betreuung älterer Familienangehöriger verantwortlich sind. Als die meisten Familien auf ein Kind beschränkt wurden, waren Mädchen höchst unerwünscht, was zu einem Anstieg der Abtreibungen von weiblichen Föten führte.

Zu jener Zeit gab es wohl kaum eine Familie, die sich das Geschlecht nicht vorgeburtlich nennen ließ. Wurde das Baby doch als Mädchen geboren, so wurde dieses oft vernachlässigt, zur Adoption ins Ausland oder in ein Waisenhaus gebracht. Doch auch der Kindesmord wurde als ein legitimes Verfahren der Nachwuchsbestimmung angesehen.

Das Bevölkerungswachstum sollte vor allem in den überfüllten Städten gebremst werden. Foto: iStock

Es bürgerte sich ein, dass Familien für ihre männlichen Junggesellen, chinesische Mädchen von Familien, die in den Vereinigten Staaten lebten, adoptierten. So kam es, dass zehntausende im Ausland geborene chinesische Mädchen, wie eine Handelsware, nach China importiert wurden. Im Laufe der Zeit vergrößerte sich das unausgewogene Geschlechterverhältnis zwischen Männer und Frauen immer mehr.

Ein weiterer Nebeneffekt der Geburtenregulierung war, dass durch den Rückgang der Geburtenzahlen und der gleichzeitigen Zunahme der Lebenserwartung seit 1980 der Bevölkerungsanteil an älteren Menschen enorm wuchs. Das wurde zu einem weiteren Problem. In China wird die große Mehrheit der Pensionierten von ihren Kindern unterstützt.

Ebenso kam es vor, dass Kindern vor den Behörden versteckt wurden. Für diese unregistrierten Kinder ist es unmöglich, China legal zu verlassen, da sie sich nicht für einen Reisepass anmelden können. Sie haben keinen Zugang zu öffentlicher Bildung und somit auch Schwierigkeiten eine Beschäftigung zu bekommen.

Zwei Kinder erlaubt

Das Ziel der Ein-Kind-Politik war, zu verhindern, dass das Bevölkerungsausmaß des Landes außer Kontrolle gerät. Nun nach mehreren Jahrzehnten Bedenken über die kumulative demografische Wirkung wurde umgeschwenkt. Die Politik hat zu Beginn der Geburtenkontrolle anscheinend nicht bedacht, dass ein schrumpfender Arbeitskräftepool, sowie die Abnahme der jungen Bevölkerung weitere gesellschaftliche Problem mit sich bringen würde.

So hat das Land 2013 die Politik gelockert und einige Familien bekamen die Erlaubnis zwei Kinder in die Welt zu setzen. Ende 2015 kündigten chinesische Beamte an, die Geburtenregulierung ganz aufzugeben, somit durften alle Paare zwei Kinder bekommen. Die „Presse“ berichtete damals von 13 Millionen „schwarzen“ Bürger, die sich nach der Aufhebung der Ein-Kind-Politik nachträglich registrieren ließen.

Zukunft der chinesischen Bevölkerung 

Laut eines Forschungsberichtes des Institutes für Bevölkerungs- und Arbeitsökonomie der chinesischen Akademie der Sozialwissenschaft lag der Anteil der zweiten Kinder im Jahr 2017 mit 51,2 Prozent um 11 Prozent höher als 2016. Die Weltbank berichtete von einer Gesamtfruchtbarkeitsrate (Zahl der Geburten pro Frau) bei 1,62 im Jahr 2016, wobei sie 1996 noch unter 1,6 lag.

2,1 Kinder pro Frau werden in den Industrieländern für eine stabile Bevölkerung – ohne Migration – als notwendig erachtet. Für China wird für das Jahr 2019 ein Bevölkerungsmaximum von 1,442 Milliarden prophezeit und eine Abnahme der Einwohner ab 2030. Bis 2065 soll die Bevölkerungszahl auf 1,248 Milliarden geschrumpft sein und wäre somit der im Jahr 1990 ähnlich.

Liang Zhongtang, ein Demograph von der Shanghai Academy of Social Sciences, meinte in einem Interview mit „South China Morning Post“: „So lange es eine politische Geburtenregulierung gibt, wird auch eine Zwangsvollstreckung nicht vermeidbar sein“.

Liang äußert weiter: „Ich betrachte die Zwei-Kind-Regelung nicht als Fortschritt, da sie immer noch Teil eines falschen, unvernünftigen und absurden Systems ist. Die Geburtspolitik selbst verletzt nämlich die Menschenrechte“.

 



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