Ex-NATO-Sprecherin: 4 bis 5 Prozent des BIP für die Rüstung möglich

Weil Amerika seine Verpflichtungen gegenüber dem Verteidigungsbündnis zurückfahren will, müssen die anderen Mitgliedstaaten wesentlich mehr beitragen. Laut einer Umfrage finden es 50 Prozent der Deutschen richtig, wenn Deutschland 3 bis 3,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Rüstung ausgeben würde.
Ein Großteil der deutschen Rüstungsexporte geht in die Ukraine. (Archivbild)
Zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) gibt Deutschland derzeit für Rüstung aus, bis zu fünf Prozent könnten es werden.Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa
Von 22. November 2024

Die ehemalige NATO-Sprecherin Oana Lungescu glaubt, dass die Mitglieder des 32-Nationen-Blocks in den kommenden Jahren möglicherweise 4 oder 5 Prozent ihres jeweiligen Bruttoinlandsprodukts  (BIP) für die Verteidigung ausgeben müssen. Das gelte vor allem dann, wenn die Vereinigten Staaten unter dem designierten Präsidenten Donald Trump ihre Verpflichtungen zurückschraubten. Deutschland rangierte 2023 mit einem BIP von fast 53.600 Dollar (knapp 51.000 Euro) pro Kopf im weltweiten Vergleich auf Rang 18.

Thinktank-Treffen zu den Auswirkungen der US-Wahl auf die Sicherheit Europas

Die Rumänin war von 2010 bis September 2023 Hauptsprecherin des Nordatlantischen Bündnisses. Sie beriet neben den NATO-Generalsekretären Anders Fogh Rasmussen (2009–2014) und Jens Stoltenberg (2014–2024), den Nordatlantikrat, die Kommandos und die NATO-Büros in Presse, Medien und sozialen Medien strategisch.

Lungescu war am vergangenen Donnerstag, 21. November, bei einem Informationsgespräch des britischen Thinktanks Royal United Services Institute (RUSI) in London dabei. Das Treffen stand unter dem Motto „Die Auswirkungen der US-Präsidentschaftswahlen auf die europäische Sicherheit“.

Dort sagte sie, dass die Mehrheit der amerikanischen Verbündeten in der NATO mindestens zwei Prozent des BIP für die Verteidigung ausgibt – ihrer Ansicht nach zu wenig: „Offensichtlich stehen wir besser da als früher, aber sind zwei Prozent genug? Denkt jemand hier, dass zwei Prozent genug sind?“ fragte sie in die Runde – just zu dem Zeitpunkt, als das ukrainische Militär behauptete, russische Streitkräfte hätten die ukrainische Stadt Dnipro am 21. November mit einer Interkontinentalrakete (ICBM) getroffen.

Der angebliche ICBM-Schlag ereignete sich nur wenige Tage nachdem bekannt wurde, dass die Vereinigten Staaten der Ukraine den Einsatz von Langstreckenwaffen amerikanischer Herkunft für Tiefflugangriffe auf russischem Territorium gestattet haben. Damit kam die Regierung einer bereits seit Monaten geäußerten Forderung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nach.

Russland hatte wiederum behauptet, die Ukraine habe am 19. November das taktische Raketensystem der Armee (ATACMS) gegen die russische Region Brjansk eingesetzt.

Experte: Russland unzufrieden mit dem Westen

„Offen gesagt: Wenn es eine Änderung oder Mäßigung des US-Engagements in Europa gibt, werden wir vier bis fünf Prozent des BIP für die Verteidigung benötigen“, fuhr Lungescu fort. „Interessanterweise“ habe eine Umfrage im September in Deutschland ergeben, dass 50 Prozent der Befragten drei bis 3,5 Prozent für richtig halten. Das bedeute für das Land einen sehr „großen Bewusstseinswandel“.

Im Februar dieses Jahres hatte Trump vor Journalisten in New York gesagt, dass „die NATO-Länder zahlen müssen“. „Die Vereinigten Staaten sind mit 200 Milliarden Dollar dabei und sie mit 25 Milliarden Dollar“, sagte er. „Sie zahlen nicht, was sie sollten, und sie lachen über die Dummheit der Vereinigten Staaten von Amerika“.

Beim RUSI-Treffen in London wies Jim Townsend, ehemaliger stellvertretender US-Verteidigungsminister für Europa- und NATO-Politik unter Präsident Barack Obama, auf die aktuelle Weltlage hin. Sie sei eine andere als bei Trumps Ausscheiden aus dem Amt im Jahr 2020. Als Grund dafür nannte er unter anderem die wachsenden Beziehungen zwischen Russland und China. Er sagte: „Es gibt viele Dinge, die Putin im Moment tut, um seinen Unmut über ATACMS auszudrücken, aber auch, um der neuen Regierung zu signalisieren: ‚Glaubt nicht, dass wir mit euch eng befreundet sind und ihr uns überrollen werdet, Trump.‘“

Laut Townsend ist Russland wütend auf die Vereinigten Staaten. Das Land sei nicht zufrieden mit dem Westen. „Wir sind nicht glücklich mit dem, was Sie tun, und Sie werden unsere Fäuste sehen“, interpretierte er die Reaktion des Kremls.

Trump und Putin: Eine innige Männerfreundschaft?

Max Bergmann, Direktor des Programms für Europa, Russland und Eurasien am Center for Strategic and International Studies (CSIS), bezeichnete die Beziehung zwischen Trump und Putin als eine „Bromance“, eine innige Männerfreundschaft. Bergmann hatte auch vorausgesagt,  dass Trump das Amt des Außenministers mit dem derzeitigen Senator von Florida, Marco Rubio, besetzen wolle.

Er wies darauf hin, dass der 53-Jährige im vergangenen Februar gegen Präsident Joe Bidens Finanzierungspaket für die Ukraine in Höhe von 95 Milliarden Dollar gestimmt hatte. Der CSIS-Direktor sagte auch, dass Trumps bisherige Nominierungen für sein Kabinett, darauf hindeuteten, dass er in seiner zweiten Amtszeit „das Rad hochdreht“. Es sei an der Zeit, Trump und seine Ankündigungen „sehr ernst zu nehmen“.

Er fügte hinzu, es habe viele Diskussionen über die Absichten von Chinas Staatschef Xi Jinping in Bezug auf Taiwan gegeben. Der „allgemeine Refrain“ lautete: „Man sollte lesen, was er sagt, und es wörtlich nehmen.“ Das treffe auch auf Trump zu. Dieser wolle die amerikanische Sicherheitspolitik in Europa, der Ukraine und Russland grundlegend ändern. „Ich denke, wenn es um die NATO geht, bedeutet das im Grunde einen großen Paradigmenwechsel“, so Bergmann.

Ruhig bleiben und planen

Lungescu, eine ehemalige rumänische Journalistin, prophezeite: „Die nächsten vier Jahre werden turbulent und kompliziert sein, und es mag viele Dinge geben, die uns nicht gefallen.“ Doch blicke man auf die zunehmende Annäherung „zwischen Russland, China, Nordkorea, Iran und diesen autoritären Staaten, dann sind sie alle Gegner dessen, wofür die USA stehen, und wofür die Europäer stehen“, führte sie weiter aus.

„Es liegt in unserem Interesse, ruhig zu bleiben, zu planen und in das zu investieren, was uns verbindet, und nicht in das, was uns trennt“, betonte Lungescu. Der amtierende NATO-Generalsekretär Mark Rutte habe „gute Arbeitsbeziehung zu Donald Trump“. Auch habe er sich als dessen Freund bezeichnet. „Daher würde ich erwarten, dass Mark Rutte versuchen wird, so schnell wie möglich nach Washington zu reisen, um nicht nur die neue Regierung, sondern auch den neuen Kongress zu treffen.“

Die parteiübergreifende Unterstützung für die NATO werde Teil des Kalküls beim Vorgehen der Regierung sein. Rutte werde darlegen müssen, warum die NATO ein gutes Geschäft für die Vereinigten Staaten ist. Lungescu, die jetzt Senior Fellow bei RUSI ist, geht davon aus, dass der NATO-Gipfel in Den Haag im kommenden Juni kürzer ausfallen werde als ursprünglich geplant. Dass Trump Matt Whitaker zum nächsten ständigen Vertreter der USA bei der NATO ernannt hat, sei „interessant“ und „könnte ein positives Zeichen sein“.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion