Europarat leitet Strafverfahren gegen Türkei ein
Der Europarat hat wegen der unrechtmäßigen Inhaftierung des türkischen Kulturförderers und Menschenrechtsaktivisten Osman Kavala ein Strafverfahren gegen die Türkei eingeleitet. Das Ministerkomitee des Europarats in Straßburg stimmte für die Einleitung des Verfahrens, wie das Gremium am Freitag mitteilte.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte im Dezember 2019 Kavalas Freilassung angeordnet, das Urteil wurde jedoch von der türkischen Regierung ignoriert.
Kavala sitzt bereits seit mehr als vier Jahren ohne Verurteilung in Haft. Er war ursprünglich wegen des Vorwurfs festgenommen worden, die gegen die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan gerichteten Gezi-Proteste in Istanbul im Jahr 2013 finanziert und organisiert zu haben.
Ankara warnte den Europarat vor jeglicher „Einmischung“
Im Februar vergangenen Jahres sprach ein Gericht ihn von diesem Vorwurf frei, er wurde aus der Haft entlassen, jedoch wenige Stunden später erneut festgenommen – diesmal im Zusammenhang mit dem Putschversuch gegen Erdogan im Jahr 2016 und wegen Spionagevorwürfen. Kavala weist Erdogans Vorwürfe als Verleumdung zurück und spricht von „einem Angriff auf die Menschenwürde“.
Weil die Türkei die sofortige Freilassung Kavalas verhindere, „kommt das Komitee zu dem Schluss, dass die Türkei sich weigert, der endgültigen Entscheidung des Gerichts in diesem Fall nachzukommen“, teilte der Europarat am Freitag mit.
Ankara hatte den Europarat angesichts der drohenden Strafmaßnahmen bereits am Donnerstag vor jeglicher „Einmischung“ in seine Justizangelegenheiten gewarnt. Ein Strafverfahren des Europarats kann dazu führen, dass ein Mitgliedstaat sein Stimmrecht oder sogar seine Mitgliedschaft verliert.
Die Türkei gehört dem Rat seit 1950 an. Wie alle Mitgliedstaaten ist die Türkei verpflichtet, die Europäische Menschenrechtskonvention einzuhalten, über welche der EGMR wacht.
Nächste Anhörung am 17. Januar
Ankara hat nach der Entscheidung des Europarats zunächst eine Frist bis zum 19. Januar, um zu reagieren. Anschließend würde der Fall zurück an den EGMR gehen, der darüber entscheiden müsste, ob die Nicht-Einhaltung des Urteils durch die Türkei einen weiteren Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention darstellt. Die nächste Anhörung im Fall Kavala soll am 17. Januar in Istanbul stattfinden.
Ein entsprechendes Disziplinarverfahren des Europarats wegen Missachtung eines EGMR-Urteils ist bislang erst einmal zur Anwendung gekommen. 2017 ging es dabei um den Fall des Oppositionellen Ilgar Mammadow in Aserbaidschan. Mammadow kam im August 2018 frei.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International begrüßte die durch die Europaratsentscheidung ausgehende Botschaft an die Türkei als „glasklar“: „Die Weigerung der Türkei, Osman Kavala umgehend freizulassen und seine politisch motivierte Verfolgung zu beenden, ist ein inakzeptabler Bruch der menschenrechtlichen Verpflichtungen des Landes“, erklärte Amnesty-Europadirektor Nils Muiznieks.
Sofortige Freilassung gefordert
Der SPD-Menschenrechtsexperte Frank Schwabe bezeichnete das Vorgehen des Europarats als „unvermeidlich“. „Mit der hartnäckigen Weigerung, das Urteil des EGMR umzusetzen und Kavala freizulassen, verlässt die Türkei den gemeinsamen Boden europäischen Rechts“, erklärte Schwabe. Die Entscheidung des Ministerkomitees sei daher richtig.
Der Linken-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko, Mitglied der parlamentarischen Versammlung des Europarats, erklärte, spätestens mit der nun festgestellten Missachtung des EGMR-Urteils durch die Türkei entfalle „auch die Basis der privilegierten Kooperation im militärischen, justiziellen, polizeilichen und geheimdienstlichen Bereich zwischen Deutschland und der Türkei“.
Hunko forderte überdies neben der sofortigen Freilassung Kavalas auch die des Chefs der prokurdischen Oppositionspartei HDP, Selahattin Demirtas, dessen Freilassung ebenfalls vom EGMR angeordnet worden war. Auch der Europarat forderte am Freitag dessen sofortige Freilassung. (afp/dl)
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