„Europa ist in Gefahr“: Borrells 3-Punkte-Plan zur Aufstockung der EU-Truppen
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Die Migrantenkrise an der polnisch-weißrussischen Grenze und die Aufstockung der russischen Truppen an der ukrainischen Grenze haben die Verantwortlichen in Brüssel zum Nachdenken anregt, was die Europäische Union langfristig für ihre innere Sicherheit tun sollte.
Andere außereuropäische geopolitische Krisen, vor allem der Abzug der US-Truppen aus Afghanistan, haben den Gedanken noch zusätzlich gefestigt, dass sich die EU bei ihrem Schutz nicht ausschließlich auf die Vereinigten Staaten oder die NATO verlassen kann.
Konkret plant die Europäische Union eine gemeinsame Streitmacht von bis zu 5.000 Soldaten, die in verschiedenen Krisen eingreifen können – ohne auf die Vereinigten Staaten oder auf die NATO angewiesen zu sein.
Ein neues Dokument mit dem Namen „Strategic Compass for Security and Defence“ (zu Deutsch: „Strategischer Kompass für Sicherheit und Verteidigung“) soll die Sicherheitsstrategie der EU für die nächsten fünf bis zehn Jahre festlegen. Das zentrale Thema: „Europa kann es sich nicht leisten, in einer Weltordnung, die hauptsächlich von anderen gestaltet wird, nur Zuschauer zu sein.“
Borrell: Europa „ist in Gefahr“
Unter der Leitung des Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, werden die Regierungen gewarnt, dass die derzeitigen militärischen Methoden nicht ausreichen, um eine zunehmend gefährliche Zukunft zu bewältigen.
Denn „Europa ist in Gefahr“, schreibt Borrell in seiner Erklärung zum Papier, das in verschiedenen Medien erschienen ist.
Der EU drohe eine „strategische Schrumpfung“ in drei Punkten. Wirtschaftlich gesehen schrumpft die Stärke Europas Jahr für Jahr. Vor dreißig Jahren machte die EU ein Viertel des weltweiten Reichtums aus. In 20 Jahren werden es nur noch etwas mehr als zehn Prozent sein, schreibt Borrell; und bis zum Ende des Jahrhunderts nur noch fünf.
Der zweite Aspekt ist militärisch. Die Zeiten, in denen Krieg und Frieden zwei klar voneinander getrennte Zustände darstellten, seien vorbei. Es gebe zunehmend sogenannte „hybride Situationen“, die eine andere Art von Verteidigung erfordern – wie die Migrantenkrise an der polnisch-weißrussischen Grenze. Für diese Fälle sind „EU-Hybrid-Krisenreaktionsteams“ im Strategiepapier vorgesehen.
Der letzte Punkt betrifft die „liberalen Werte“ der EU, die zunehmend infrage gestellt werden. Es gebe eine „Schlacht der Narrative“ und das störe die Einheit. Die alte Annahme, dass „wirtschaftlicher Wohlstand immer zu einer demokratischen Entwicklung führen würde, wurde widerlegt“, so Borrell.
Um eine stärkere Verteidigung zu gewährleisten, ist die Aufstockung einer schnellen Eingreiftruppe von bis zu 5.000 Soldaten vorgesehen, die die EU ab 2025 in Konfliktgebiete entsenden könnte.
Zwischen französischem Ehrgeiz und deutscher Zurückhaltung
Diplomaten sehen das jedoch skeptisch. Die EU, so merken Kritiker an, war schon einmal an diesem Punkt. Im Jahr 1999 vereinbarten die Staats- und Regierungschefs der EU, innerhalb von vier Jahren „Streitkräfte mit einer Stärke von bis zu 50.000-60.000 Personen“ zu bilden. Diese sollten innerhalb von 60 Tagen für Einsätze von mindestens einem Jahr eingesetzt werden können. Doch dies ist nie geschehen, schreibt „Politico“.
Diplomaten sind der Meinung, dass diese Strategie den Spagat zwischen französischem Ehrgeiz und deutscher Zurückhaltung zu schaffen versuche. „Der Schlüssel zu einer ehrgeizigeren EU liegt in Berlin“, so ein Diplomat zu „Politico“. „Ist die EU bereit für ein militärisch ehrgeizigeres Berlin?“
Einige Länder, insbesondere in Osteuropa, befürchten sogar, dass ein Vorstoß zur Militarisierung der EU die Stärke eines der langjährigen Beschützer des Kontinents schwächen könnte: die NATO.
Borrell wies jedoch dieses Argument zurück. Die Pläne der EU seien eigentlich „ein Weg, die NATO zu stärken, indem man die Europäische Union stärkt“, betonte er. Er verwies auf US-Präsident Joe Biden, der das größte Militär innerhalb der NATO beaufsichtigt und robustere EU-Verteidigungskapazitäten unterstützt hat.
Biden unterstützt auch die Entwicklung eigener, stärkerer militärischer Fähigkeiten durch die europäischen Verbündeten „absolut“. Es sei jedoch höchste Zeit, dass die EU-Staats- und Regierungschefs über Theorie und Rhetorik hinausgingen, sagte der Berater des US-Außenministeriums, Derek Chollet, bei einem Besuch in Brüssel gegenüber „Politico“.
Andernfalls, so warnte Chollet, werde die Kluft zwischen dem, was das US-Militär leisten kann, und dem, was Europas kollektive Streitkräfte nicht leisten können, nur noch größer werden, insbesondere wenn es darum geht, neuen Bedrohungen aus China zu begegnen.
Wenn die europäischen Verbündeten endlich bereit seien, ernsthaft zu handeln, sei Washington gerne bereit, Hinweise zu geben, welche Arten von Fähigkeiten aufgebaut werden sollten, so Chollet.
EU will weder Russland noch China verärgern
Doch wann die EU-Länder bereit sind, konkretere Schritte zu gehen, bleibt abzuwarten, denn nicht alle stimmen den Ambitionen des Papiers zu.
Der tschechische Europaabgeordnete Alexandr Vondra kritisiert die Doppelzüngigkeit der EU. „Was spezifische Bedrohungen wie Russland und China angeht, so will die EU offensichtlich niemanden verärgern“, sagte er. China werde derzeit sowohl als gefährlicher Rivale als auch als wichtiger Partner angesehen.
Vondra fordert eine Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit im EU-Rat, da das Strategiepapier die Außenpolitik der EU grundlegend ändern wolle.
Im Papier ist vorgesehen, dass nicht alle 27 EU-Länder sich an den Operationen beteiligen müssten, aber die Entsendung von Truppen im Namen der EU würde die Zustimmung und Beteiligung der Mitgliedstaaten erfordern. Die Einzelheiten dieser Vorgehensweise müssen noch von den Ländern bestätigt werden.
EU-Militär könnte NATO untergraben
Das eifrigste Land hinter einem stärkeren Militär der EU ist zweifellos Frankreich. Präsident Emmanuel Macron hat keinen Hehl aus seinem Traum von einem stärkeren Europa mit größerer außenpolitischer Integration gemacht. Er hat sogar eine „echte europäische Armee“ gefordert, damit Europa weniger auf den Schutz der US-geführten NATO angewiesen ist.
Vor allem einige östliche EU-Länder wie Polen, Estland und Litauen befürworten den Plan, allerdings nur, wenn in einem formellen Abkommen ausdrücklich auf die Bedrohung durch Russland und in geringerem Maße auch durch China hingewiesen wird, schreibt CNN.
Ähnlich besorgt über Russland sind die Skandinavier. Diplomaten und Beamte aus diesen Ländern erklärten, dass „wir in diesem Teil der Welt einer echten Gefahr durch Russland ausgesetzt sind“. Sie machten deutlich, dass „das transatlantische Bündnis als Teil eines umfassenderen EU-Plans gestärkt werden muss“.
Derzeit wird angestrebt, die Strategie im März zu verabschieden, wenn Frankreich den rotierenden EU-Vorsitz innehat. Es sollen bis dahin noch mindestens zwei weitere Entwürfe vorgelegt werden – mit vorheriger Abstimmung der Mitgliedstaaten.
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