EU will Erweiterung auf dem Westbalkan vorantreiben – und dafür eigene Struktur verändern
Noch vor den EU-Wahlen will man in Brüssel versuchen, einige institutionelle Reformen auf den Weg zu bringen. Den Prätext dazu soll die EU-Erweiterung auf dem Westbalkan darstellen. Konkret geht es um fünf Länder, die aus dem früheren Jugoslawien hervorgegangen waren – Serbien, Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien, Montenegro und Kosovo – sowie um Albanien. In der Zeit von 2024 bis 2027 soll deren Beitrittsprozess deutliche Fortschritte machen.
Um die Staatengemeinschaft auf die damit verbundenen Herausforderungen vorzubereiten, soll es nicht nur einen neuen Wachstumsplan geben. Von einem solchen in Höhe von sechs Milliarden Euro sprach jüngst die Kommission in einer Erklärung. Der dazugehörige Fonds soll im Verhältnis 1:2 aus Zuschüssen und zinsgünstigen Darlehen erfolgen. Das Geld soll fließen, sobald die Länder „spezifische sozioökonomische und grundlegende Reformen“ durchgeführt haben. Dies entschied Brüssel im vergangenen November dem Grunde nach.
Sozialisten: EU soll Einstimmigkeit abschaffen, um entscheidungsfähig zu bleiben
Zudem will man aber auch die Entscheidungsfindungsprozesse beschleunigen. In diesem Kontext hat das EU-Parlament darauf gedrängt, „institutionelle und finanzielle Reformen“ der Union selbst vorzunehmen. Diese sollen es ermöglichen, weitere Mitglieder aufzunehmen.
Federführend bei der dazugehörigen Erklärung war Pedro Silva Pereira von der „Progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten“. Dafür soll ein wichtiges Schutzrecht für die Mitgliedstaaten fallen – nämlich das Einstimmigkeitsprinzip.
Stattdessen solle es „flexiblere Mechanismen“ geben, etwa durch Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit für bestimmte Gesetzesvorhaben. Dabei sei es geboten, die Schwellenwerte neu zu berechnen, um „das Gleichgewicht zwischen größeren und kleineren Staaten zu verbessern“. Für „wichtige Entscheidungen“ sollen die Schwellenwerte noch höher sein. Aber, so Silva Pereira:
„Eine erweiterte EU mit 35 oder mehr Mitgliedstaaten kann nicht mit den derzeitigen Regeln funktionieren, die für 27 ausgelegt sind.“
Am Ende soll eine Änderung der EU-Verträge stehen. Diese soll auch die Zahl der Kommissare auf 15 oder weniger limitieren. An die Stelle des derzeitigen Prinzips, wonach jeder Mitgliedstaat einen Kommissar erhält, soll eine „gleichberechtigte Rotation“ treten.
Im Vorfeld soll auf dem Westbalkan „gemeinsamer regionaler Markt“ entstehen
Am vergangenen Montag, 22. Januar, waren die Vertreter der sechs Beitrittsanwärter in Skopje zusammengekommen, um unter Leitung von EU-Diplomaten weitere Schritte zu erörtern. Von der Erweiterung verspricht sich vor allem Brüssel selbst viel. In die zuletzt lahmende Wirtschaft sollen neue Impulse kommen. Dazu sollen die Beitrittskandidaten im Vorfeld einen „gemeinsamen regionalen Markt“ schaffen.
Derzeit, so die EU-Kommission, „verbringen Lastwagen jedes Jahr 28 Millionen Stunden mit Wartezeiten an den Grenzen“. Dies koste die Region jährlich ein Prozent ihres BIP. Der Aufbau eines gemeinsamen Marktes für 18 Millionen Menschen könnte für die betroffenen Länder einen Wendepunkt darstellen. Nicht zuletzt die EU würde davon profitieren.
Außerdem würde es die Umsetzung eines solchen Marktes erleichtern, intraregionale Infrastrukturprojekte und Investitionen anzuziehen. Davon zeigt man sich in der Kommission überzeugt. Fragmentierte Märkte würden überwunden, Unternehmen würden wettbewerbsfähiger und für Arbeitskräfte ergäben sich bessere Bleibeperspektiven.
Ausbleiben einer EU-Empfehlung im März könnte Beitrittsprozess auf Westbalkan verzögern
Tatsächlich bleiben noch viele Fragen ungelöst. Einige davon sind Folgen des Bürgerkriegs auf dem Balkan während der 1990er-Jahre sowie des Angriffskriegs der NATO gegen Rest-Jugoslawien von 1999. Dieser hatte die Sezession des mehrheitlich von ethnischen Albanern bewohnten Kosovo von Serbien ermöglicht. Neben Serbien erkennen auch zahlreiche andere Länder – darunter auch EU-Mitgliedstaaten – dessen 2008 erklärte Unabhängigkeit nicht an.
In Bosnien und Herzegowina wiederum bleibt die Lage instabil. Der brüchige Zusammenhalt der drei größten Volksgruppen im Land hängt von einem komplexen und bürokratischen Proporzapparat aus. Dieser führt immer wieder zu Blockaden, Verzögerungen von Prozessen und Korruption in Verwaltung und Justiz.
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, und die Ministerpräsidenten der Niederlande und Kroatiens hatten am Dienstag Bosnien und Herzegowina besucht. Dabei hatten sie die Regierung von Premierministerin Bojana Kristo zur Verabschiedung weiterer Gesetze aufgefordert. Diese sollen etwa die Geldwäsche erschweren, Interessenkonflikten vorbeugen und die Unabhängigkeit der Justiz verbessern.
Ende März möchte die Kommission eine Empfehlung bezüglich des Beitrittsstatus der Bewerberländer aussprechen. Fällt diese nicht positiv aus, könnte sich der weitere Prozess empfindlich verzögern. Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass die EU-Wahlen 2024 die Entscheidungsfähigkeit Brüssels beeinträchtigen könnten.
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