EU-Parlamentspräsident: Ein erbitterter Wahlmarathon und seine Folgen – Euroskeptiker auf dem Vormarsch
Gianni Pittella hat bis zuletzt gekämpft. Kurz vor Beginn der ersten Wahlrunde im Europaparlament am Dienstag versprach der italienische Sozialist in einer für ihn ungewöhnlich leidenschaftlichen Rede, er werde als neuer Parlamentspräsident für ein „mutigeres Europa“ kämpfen.
Am Nachmittag, als sich bereits der Sieg seines konservativen Konkurrenten und Landsmanns Antonio Tajani abzeichnete, suchte der Fraktionschef der Sozialisten noch die Unterstützung der Linksfraktion. In einem Brief an deren Vorsitzende Gaby Zimmer warnte er vor der „Austeritätspolitik“ der Rechten, die der „Tod Europas“ sei.
Doch genutzt hat alles nichts. In einem im Europaparlament bisher beispiellosen Wahlkrimi setzte sich schließlich Tajani durch, der Kandidat der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP). Allerdings erzielte auch Tajani in keinem der drei ersten Wahlgänge die notwendige Mehrheit der gültigen Stimmen. Seinen Sprung auf den Spitzenposten im Europaparlament schaffte er erst an späten Abend im vierten Durchgang. Bei der Stichwahl stimmten schließlich 351 Abgeordnete für Tajani, 282 votierten für Pittella.
Der Wahlmarathon hinterlässt bei vielen Abgeordneten einen bitteren Beigeschmack. Denn seinen Sieg verdankt Tajani nicht nur der Unterstützung der Liberalen, deren Fraktionschef Guy Verhofstadt seine Kandidatur am Morgen zugunsten des 63-jährigen Italieners zurückgezogen hatte.
Zum klaren Sieg verhalf ihm auch die euroskeptische Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (ECR), der neben britischen Tories mehrere Vertreter der rechtskonservativen polnischen Regierungspartei PiS angehören. Die ECR hatte erst kurz vor der Stichwahl – nach langem Geschacher hinter den Kulissen – Tajani ihre Unterstützung zugesagt.
Außerdem dürfte nach dem erbitterten Gefeilsche um Stimmen die enge Zusammenarbeit, mit der bisher EVP, Sozialdemokraten und Liberale zahlreiche EU-Gesetze verabschiedeten, schwieriger werden. Denn Pittella kündigte diese informelle „Große Koalition“, für die sich der scheidende Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) stark gemacht hatte, bereits auf.
Die Absprachen zwischen EVP und den Sozialdemokraten verschafften dem christdemokratischen Präsidenten der EU-Kommission Jean-Claude Juncker, einem Duzfreund von Schulz, oft Mehrheiten für Vorlagen der Brüsseler Behörde. Vielen Abgeordneten vor allem im linken Lager waren diese Deals seit langem ein Dorn im Auge – denn nicht selten wurden EU-Gesetze bereits im kleinen Kreis ausgekungelt, bevor sie im Parlament beraten wurden.
Das Geschacher um den Spitzenjob hat zudem die Stimmung zwischen den beiden großen Fraktionen gründlich vergiftet. EVP-Chef Manfred Weber (CSU) warf Pittella öffentlich Wortbruch vor. Eine Woche vor der Wahl veröffentlichte er den Wortlaut einer Vereinbarung, welche die EVP und die Sozialdemokraten nach der Europawahl Mitte 2014 geschlossen hatten.
Damals verhalf die EVP dem Sozialdemokraten Schulz zur Wiederwahl. Im Gegenzug sagten die Sozialdemokraten zu, sie würden im Januar 2017 – zur Halbzeit der Legislaturperiode – einen EVP-Kandidaten zu unterstützen. Als Konsequenz aus dieser Abmachung verzichtete Schulz schließlich auf eine neue Kandidatur und kündigte seinen Wechsel in die deutsche Politik an.
Anders Pittella: Er setzte sich über die Absprache hinweg und gab im Dezember seine Kandidatur bekannt. Mit Juncker und dem Polen Donald Tusk stünden bereits zwei Konservative an der Spitze von EU-Kommission und Ministerrat, betonte der 58 Jahre alte Italiener. Mit seiner Kandidatur wolle er ein „Monopol der Rechten“ über die EU-Institutionen verhindern. Damit ist er nun gescheitert. (afp)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion