EU macht Druck auf London – Martin Schulz fordert den Austrittsantrag bis Dienstag
Nach dem Brexit-Votum wächst in der Europäischen Union der Druck auf Großbritannien, die Konsequenzen zu ziehen. Deutschland und die anderen fünf EU-Gründerstaaten fordern rasche Austrittsverhandlungen.
Der britische Premier David Cameron hatte seinen Rücktritt bis Oktober angekündigt – die Verhandlungen solle erst sein Nachfolger führen. Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault forderte dagegen am Wochenende einen neuen britischen Regierungschef „innerhalb weniger Tage“.
In dem historischen Brexit-Referendum hatten am Donnerstag knapp 52 Prozent der Briten dafür gestimmt, dass Großbritannien als erstes Land überhaupt die EU verlässt. Das Land ist gespalten, über zwei Millionen Briten fordern eine neue Abstimmung.
Ein Labour-Abgeordneter rief gar das Parlament dazu auf, das EU-Referendum zu kippen. Das Ergebnis sei nicht bindend, das Parlament solle es mit einem Votum außer Kraft setzen, forderte der Abgeordnete David Lammy. „Wir können diesen Wahnsinn durch eine Abstimmung im Parlament stoppen und diesen Alptraum beenden“, zitierte ihn die britische Agentur PA am Samstagabend.
Am Sonntag treffen sich Diplomaten aus den 27 verbleibenden EU-Mitgliedsstaaten ohne britische Vertreter in Brüssel, um den EU-Gipfel kommende Woche vorzubereiten. Am Dienstag soll Cameron den anderen Staats- und Regierungschefs beim Gipfel erklären, wie er sich das Scheidungsverfahren mit der EU vorstellt. Die Debatte könnte laut werden, denn die Vorstellungen über den Brexit gehen weit auseinander. Am Mittwoch ist dann erstmals ein informelles Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs ohne Großbritannien geplant.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verlangte von der britischen Regierung Auskunft über das weitere Vorgehen zur Trennung von der EU. „Ehrlich gesagt, soll es nicht ewig dauern (…), aber ich würde mich jetzt auch nicht wegen einer kurzen Zeit verkämpfen“, sagte Merkel nach einem Spitzentreffen von CDU und CSU.
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) mahnte Großbritannien hingegen zur Eile. Eine lange Hängepartie führe zu noch mehr Verunsicherung und gefährde dadurch Jobs, sagte er der „Bild am Sonntag“. „Deshalb erwarten wir, dass die britische Regierung jetzt liefert. Der Gipfel am Dienstag sei hierfür „der geeignete Zeitpunkt.“
Manfred Weber (CSU), Chef der konservativen EVP-Fraktion sagte dem Blatt: „Die beginnende Verzögerungstaktik in London ist inakzeptabel.“ Weber plädierte für einen Austritt innerhalb eines Jahres. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sagte: „Es wird niemand die Chance haben, auf Zeit zu spielen. Die Wirtschaft wird schnelle Klarheit einfordern.“
EU-Digitalkommissar Günther Oettinger warnte die EU-Staaten davor, nun Reformen europäischer Verträge zu diskutieren. Der CDU-Politiker sieht auch den Zuspruch für anti-europäische Rechtspopulisten in den Niederlanden und in Frankreich mit Sorge, wie er der „Welt am Sonntag“ sagte.
Mehr als zwei Millionen Briten fordern angesichts des knappen Ausgangs des EU-Referendums bereits eine zweite Abstimmung. Eine offizielle Online-Petition bekam am Wochenende minütlich Tausende neue digitale Unterschriften. Schon 100 000 Unterstützer reichten, damit das Parlament eine Debatte zumindest in Betracht ziehen muss.
Großbritannien droht zudem die Spaltung: Schottland bereitet ein neues Referendum für seine Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich vor, wie Regierungschefin Nicola Sturgeon nach einem Krisentreffen in Edinburgh erklärte. Damit solle Schottlands Platz in der Europäischen Union gesichert werden. Bei der Volksabstimmung hatte eine deutliche Mehrheit der Schotten für den Verbleib in der EU votiert. Im Jahr 2014 hatten 55 Prozent der Schotten gegen eine Loslösung des nördlichen Landesteils von Großbritannien gestimmt.
Ökonomen erwarten wegen des Brexit massive wirtschaftliche Einbußen in Europa. Am härtesten werde der Brexit jedoch die Briten selbst treffen, urteilte die Bertelsmann-Stiftung. Die US-Ratingagentur Moody’s senkte den Ausblick für die Bewertung der Kreditwürdigkeit des Landes von „stabil“ auf „negativ“.
Zu den EU-Gründerstaaten, die jetzt einen schnellen Austritt Großbritanniens fordern, zählen neben Deutschland auch Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg. Der Vorläufer der EU hieß im Jahr 1957 noch Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). (dpa)
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