EU-Gipfel: Scholz drängt auf schnelle Umsetzung des europäischen Asylsystems

Bundeskanzler Scholz hat auf dem EU-Gipfel in Brüssel die beschleunigte Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) gefordert. Diese könnte zumindest als Minimalkonsens am Ende der Beratungen der Staats- und Regierungschefs stehen.
Kanzler Scholz beim EU-Gipfel
Kanzler Scholz beim EU-Gipfel.Foto: Geert Vanden Wijngaert/AP/dpa
Von 18. Oktober 2024

In seiner Regierungserklärung im Bundestag am Mittwoch, 16.10., hatte Bundeskanzler Olaf Scholz das Thema Asyl nicht angesprochen. Am Donnerstag hat er jedoch zum Auftakt des EU-Gipfels in Brüssel das Wort ergriffen und mit Nachdruck auf eine beschleunigte Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) gedrängt.

Die im Dezember des Vorjahres getroffene Vereinbarung muss von den 27 Mitgliedstaaten noch ratifiziert werden. Dafür gilt eine Frist von zwei Jahren. Dazu kommt eine Übergangsfrist bis zur Umsetzung, die dazu führen könnte, dass die neuen Regelungen erst Mitte 2026 flächendeckend in der EU gelten.

Scholz will GEAS „nicht nur allmählich, sondern forciert“ umsetzen

Dem Kanzler ist das zu langsam. Er wies darauf hin, dass allein im vergangenen Jahr 300.000 Menschen irregulär nach Deutschland eingereist seien. Das sei „zu viel“, so Scholz. Die irreguläre Migration zu reduzieren, sei „die Voraussetzung für die Offenheit, die wir brauchen, auch für Arbeitskräftezuwanderung“.

Scholz stellt in Aussicht, dass er die entsprechenden Gesetze zur Umsetzung so zeitnah wie möglich dem Bundestag zuleiten werde. Es wäre jedoch „gut, wenn das überall in Europa früher befolgt werden kann“. Wichtig sei ihm, dass die GEAS-Vereinbarung „nicht nur allmählich, sondern forciert“ umgesetzt werde.

Das GEAS betrifft den Umgang mit Asylsuchenden, die an den Außengrenzen um Schutz bitten oder irregulär einreisen. Die Vereinbarung soll einheitliche Verfahrensregeln für die betroffenen Staaten schaffen, um Asylsuchende, deren Antrag eine geringe Erfolgswahrscheinlichkeit aufweist, schneller und direkt abschieben zu können.

Widerstand gegen GEAS: Uneinigkeit in der EU über Solidaritätsmechanismus

Vor allem Geflüchtete aus Ländern mit einer Anerkennungsquote von unter 20 Prozent sollen an der Weiterreise in die EU gehindert werden können. Dies betrifft etwa Länder wie Marokko, Tunesien oder Bangladesch und Flüchtlinge ohne gültigen Pass. Die EU will dazu noch eine Liste „sicherer Drittstaaten“ erarbeiten. Aus diesen Ländern soll die Weiterreise in die EU verweigert werden.

Vielen Mitgliedstaaten geht das aber nicht weit genug. Länder wie Ungarn oder Polen, die erst zu Beginn der Woche das Asylrecht temporär ausgesetzt haben, sperren sich unter anderem gegen einen Solidaritätsmechanismus. Dieser sieht vor, Asylbewerber, die ein reguläres Asylverfahren erwarten können, über die EU-Länder gleichmäßig zu verteilen. Länder, die keine Schutzsuchenden aufnehmen wollen, sollen im Gegenzug einen Geldbetrag an Brüssel entrichten.

Was noch mehr Mitgliedstaaten am GEAS stört, ist, dass es keine Regelung über Personen trifft, die sich bereits auf EU-Territorium befinden. Reisen diese in andere Mitgliedstaaten mit der Bitte um Asyl ein, sind diese verpflichtet, ein Verfahren durchzuführen. Eine Zurückweisung direkt an die Grenze kommt hier nicht in Betracht. Auch über die Rückführung ausreisepflichtiger Personen trifft das GEAS keine Regelungen.

Von der Leyen will Abschiebungen erleichtern: Kooperationen mit Drittstaaten geplant

Dies hat auch in Deutschland für Unmut gesorgt. Schließlich handelte es sich beim Attentäter von Solingen am 23.8. um einen Asylbewerber, für dessen Antrag nach den Dublin-Regeln Bulgarien als Ersteinreisestaat zuständig gewesen wäre. Aus diesem Grund wiesen die deutsche Behörden den Antrag auch ab. Die angestrebte Rückführung nach Bulgarien scheiterte jedoch – mit gravierenden Folgen.

Im Vorfeld des EU-Gipfels hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen Brief an alle 27 Mitgliedstaaten gerichtet. Darin gab sie ihrer Absicht Ausdruck, einen neuen Gesetzesentwurf für erleichterte Abschiebungen auf den Weg bringen zu wollen. Ziel sei es, „den Rückführungsprozess wirksam zu straffen“ und „Lücken im System“ zu beseitigen, die Unberechtigten den Verbleib in der EU ermöglichten.

Von der Leyen fordert in ihrem Schreiben nun Vereinbarungen mit Staaten in Nordafrika, auf dem Westbalkan – wo sich mehrere EU-Beitrittskandidaten befinden – und in anderen Regionen. Zudem forderte sie von den Staats- und Regierungschefs die Erkundung möglicher Wege „um Rückführungszentren außerhalb der EU zu etablieren, vor allem im Hinblick auf einen neuen Gesetzesvorschlag zur Rückführung“.

Weitreichende Übereinstimmungen bezüglich dieser Idee gibt es jedoch nicht. Auch bezüglich der EU-Rückführungsrichtlinie, die Zurückweisungen an den Innengrenzen verhindert, ist kein Konsens in Sicht.

Polen hat Bereitschaft zum Minimalkonsens signalisiert

Als mögliches Modell betrachtet von der Leyen dabei Italien. Dort hat man mit Albanien eine Vereinbarung geschlossen. Diese ermöglicht es der Regierung in Rom, aus dem Mittelmeer gerettete Schutzsuchende in Flüchtlingslager auf albanischem Territorium zu bringen und dort die Asylverfahren durchzuführen. Allerdings erlaubt es derzeit nicht, bereits auf italienischem Boden befindliche Personen nach Albanien abzuschieben.

Inwieweit es auf dem letzten EU-Gipfel unter dem Vorsitz von Charles Michel gelingen wird, substanzielle Einigungen zu erzielen, ist ungewiss. Es spricht vieles dafür, dass die sogenannten Schlussfolgerungen des Gipfels Absichtserklärungen beinhalten werden, das Thema konsequent weiterzuverfolgen. Ab Ende November wird dann António Costa diese Bemühungen koordinieren müssen.

Denkbar ist auch, dass eine Einigung auf eine beschleunigte Umsetzung der GEAS-Regeln als Minimalkonsens am Ende des Gipfels stehen wird. Selbst Polen hat signalisiert, diese Möglichkeit trotz weitreichender Bedenken ins Auge zu fassen.

Das Portal „Euractiv“ hat angedeutet, dass es den Entwurf zu einer in diese Richtung gehenden Erklärung der EVP-Staats- und Regierungschefs gebe. Das Kabinett Tusk könnte eine solche Einigung einem gänzlich ergebnislosen Gipfel vorziehen.

 



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