EU-Getreideembargo zum Ende: Polen will Beschränkungen fortsetzen
Die EU-Kommission hat ihre Entscheidung für ein Ende der Handelsbeschränkungen für ukrainische Getreideprodukte verteidigt. „Wir brauchen außergewöhnliche Umstände, um diese Art von Beschränkungen zu rechtfertigen, und derzeit sehen wir, dass es keine Störung oder Verzerrung auf dem Markt dieser fünf Mitgliedstaaten gibt“, sagte EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis am Rande eines Treffens der EU-Finanzminister im spanischen Santiago de Compostela. Die Europäische Kommission werde die Situation weiter beobachten und bereit sein, auch Beschränkungen einzuführen, „wenn die Marktsituation dies rechtfertigt“.
Damit stellt sich die Behörde gegen Forderungen aus EU-Staaten wie Polen und Ungarn, die entsprechende Einfuhren zuvor selbst beschränkt hatten, wie aus Angaben der EU-Kommission hervorgeht. Deutschland hatte die Maßnahmen in der Vergangenheit sehr kritisch gesehen. So hatte Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) in Brüssel immer wieder betont, dass Solidarität mit der Ukraine nicht nur versprochen, sondern auch gelebt werden müsse.
Die Reaktion aus Polen kam prompt: Kurz nach Bekanntgabe der Entscheidung sagte Regierungschef Mateusz Morawiecki, man wolle auch ohne die Zustimmung Brüssels an den Beschränkungen festhalten. „Wir werden es tun, weil es im Interesse der polnischen Landwirte ist.“ Obwohl die EU-Kommission zuvor immer wieder betont hatte, dass sie für Handelspolitik in der EU zuständig ist, hatte Polen bereits seit Wochen damit gedroht, Maßnahmen eigenständig aufrechtzuerhalten. In Polen ist der Streit um die ukrainischen Waren auch zum Wahlkampfthema geworden. Dort wird am 15. Oktober ein neues Parlament gewählt.
Reaktionen aus anderen Ländern
Dem Beispiel Polens schlossen sich am Freitagabend Ungarn und die Slowakei an. Budapest und Bratislava kündigten an, an Importverboten für bestimmte ukrainische Agrarprodukte festzuhalten. Ungarn „nimmt seine Angelegenheiten in die eigenen Hände, um die eigenen Bauern zu schützen“, zitierte der Regierungssprecher den Landwirtschaftsminister Istvan Nagy. Der Transit ukrainischen Getreides durch Ungarn bleibt demnach weiter erlaubt.
Das slowakische Verbot gilt nach Angaben des kommissarisch amtierenden Regierungschefs Ludovit Odor bis zum Jahresende für Weizen, Mais, Raps und Sonnenblumensamen. „Wir müssen einen übermäßigen Druck auf den slowakischen Markt verhindern, um auch gegenüber den einheimischen Landwirten fair zu bleiben“, erklärte er.
Auch in Bulgarien und Rumänien hatte es Kritik an den gestiegenen Einfuhren aus der Ukraine gegeben. Innerhalb der EU-Kommission hatte sich auch der polnische Agrarkommissar Janusz Wojciechowski für eine Verlängerung der Einschränkungen ausgesprochen.
EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis betonte nach der Entscheidung hingegen: „Wir sehen derzeit keine Marktverzerrungen in diesen fünf Mitgliedsstaaten.“ Die bisherigen Einschränkungen hatten es den östlichen EU-Mitgliedern Ungarn, Polen, Slowakei, Rumänien und Bulgarien erlaubt, den freien Handel mit Produkten wie Weizen, Mais, Raps oder Sonnenblumen aus der Ukraine auf ihren Märkten zu beschränken.
Selenskyj dankt von der Leyen
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dankte von der Leyen nach einem Telefonat für die Aussetzung der Handelsbeschränkungen. Er sei froh, dass die EU-Kommissionschefin zu ihrem Wort stehe und die Regeln des Markts verteidige, schrieb Selenskyj am Freitag auf Telegram. Es sei wichtig, dass europäische Solidarität nun auch auf bilateraler Ebene funktioniere und die Nachbarn der Ukraine in Kriegszeiten helfen würden, mahnte er. Sollten Entscheidungen der Nachbarn gegen EU-Recht verstoßen, werde die Ukraine in zivilisierter Weise darauf reagieren.
Noch am Donnerstag hatte sich der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba gegen die Beschränkungen stark gemacht. Keine Form der Aufrechterhaltung der Maßnahmen sei akzeptabel, schrieb Kuleba auf der Online-Plattform X (früher Twitter). Wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine konnten zeitweise keine Getreideexporte mehr über das Schwarze Meer aus der Ukraine auf den Weltmarkt gelangen.
Lieferungen und Handelswege
Auch derzeit sind Lieferungen über das Schwarze Meer riskant. Mitte Juli hatte Russland ein Abkommen über Getreidelieferungen ausgesetzt, obwohl es aus Sicht der Vereinten Nationen wichtig für die sichere Versorgung der Welt mit Lebensmitteln ist.
Angesichts der Schwierigkeiten hatte die EU Handelswege etwa per Straße und Schiene zwischen der Ukraine und den Staaten der Europäischen Union ausgebaut. Landwirte aus östlichen EU-Ländern sahen sich infolgedessen jedoch großer Konkurrenz durch die stark gestiegenen Einfuhren ausgesetzt, woraufhin Länder wie Polen und Ungarn eigenständig den Import bestimmter Waren beschränkten.
Die EU-Kommission hatte daraufhin eine einheitliche Regelung eingeführt und Anfang Juni beschlossen, die Einschränkungen bis zum 15. September zu verlängern. Der Ausbau der Handelswege sei mittlerweile ausreichend, so Dombrovskis. Man erwarte nicht, dass die Situation wieder so dramatisch werde wie vor einem halben Jahr, „als es in der Tat große Verzerrungen gab“. Diese seien aber aufgrund logistischer Engpässe entstanden. „Es war einfach nicht möglich, dieses Getreide in die Länder zu bringen, die es brauchten“, so der Kommissar.
Wie die EU-Kommission nun mitteilte, habe sich die Ukraine zudem bereit erklärt, innerhalb von 30 Tagen rechtliche Maßnahmen einzuführen, um einen Anstieg der Getreideausfuhren zu verhindern. Von Samstag an soll es zudem verstärkte Kontrollen der Ausfuhren geben, um zu starke Auswirkungen der Exporte auf EU-Märkte zu verhindern. (dpa/red)
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