EU erhöht Zielmarke bei „Erneuerbaren“ – Uni-Professor: „Probleme werden ausgeblendet“
Die EU-Staaten haben das europäische Ziel für den Ausbau erneuerbarer Energien deutlich hochgesetzt. Die Mitgliedstaaten stimmten am 16. Juni einer Neugestaltung der EU-Erneuerbaren-Richtlinie zu.
Demnach wird das europäische Ziel von bisher 32 Prozent auf 45 Prozent im Jahr 2030 deutlich angehoben, wie das Bundeswirtschaftsministerium in Berlin mitteilte. „Das bedeutet eine Verdoppelung des Anteils erneuerbarer Energien gegenüber dem erreichten Stand in 2021 von knapp 22 Prozent“, hob das Ministerium hervor.
Das bedeutet, dass die in einem Zeitraum von über 20 Jahren errichtete Menge an Windrädern und PV-Anlagen in acht Jahren nochmals errichtet werden muss – in allen EU-Ländern.
Habeck begrüßt Entscheidung
Das von Grünen-Minister Robert Habeck geleitete Ministerium sprach von einem „großen Erfolg“ für die erneuerbaren Energien. Für Deutschland bedeute dies, dass die bereits im vergangenen Jahr stark erhöhten Ausbauziele für Windkraft und Solaranlagen nun durch EU-Vorgaben untermauert und verbindlich würden.
Die neuen EU-Ziele bildeten außerdem den Rahmen für weitergehende Ziele zum Ausbau von Wind- und Solarenergie.
Habeck erklärte, er sei „sehr froh“ über den Beschluss. Die geänderte Richtlinie werde den Ausbau der favorisierten Energiequellen in der EU „massiv beschleunigen“. Er betonte: „Insbesondere Wind- und Solarenergie werden doppelt so schnell wie bislang vorgesehen ausgebaut.“ Dadurch werde ein „Boom von Investitionen“ in dem Bereich ausgelöst. Deutschland werde damit weniger abhängig von Energieimporten.
Bundesverband hält hohe Ziele für erreichbar
Der Bundesverband Erneuerbare Energie teilte der Epoch Times auf Anfrage mit, dass sich die EU jetzt hohe Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren gesetzt hat. Dennoch seien diese neuen Ziele „erreichbar“, was wissenschaftliche Studien bestätigen würden. Allerdings gehen diese Studien nicht konkret auf die Wetterabhängigkeit und somit die ständige Verfügbarkeit der Energiequellen ein.
„Die Branche steht für den Hochlauf bereit und ist zum Teil schon mit Investitionen in Vorleistung gegangen“, verkündet der Bundesverband. Dabei brauche es jetzt noch „schnellere und einfachere Genehmigungsverfahren, die Ausweisung von ausreichend Flächen und den schnellen Ausbau der Netzinfrastruktur.“
Der Bedarf an Fachkräften ist in der Branche auch ein großes Thema. Hier sieht der Bundesverband die Chance, Branchenwechsler anwerben zu können. Laut einer Studie zu Fachkräftesicherung im Gebäudesektor im Auftrag des Verbandes von 2020 liege das Potenzial an Branchenwechslern bei bis zu 106.000 Erwerbstätigen.
Die Branche ist darüber hinaus bereits seit geraumer Zeit mit diversen eigenen Initiativen aktiv um Fachkräfte bemüht. „Wir gehen aus den oben genannten Gründen davon aus, dass die Herausforderungen im Bereich der Fachkräfte bewältigt werden“, gibt sich der Bundesverband Erneuerbare Energie optimistisch.
Definitionsproblem der Energieautarkie
Auch bei der Frage der Energieautarkie zeigt sich der Bundesverband zuversichtlich. „Je schneller die EU den Ausbau der heimischen Erneuerbaren Energien vorantreibt, desto schneller kann sie ihre Abhängigkeit von außereuropäischen Energieimporten reduzieren“, so die knappe Antwort des Pressesprechers.
Deutlich kritischer betrachtet Prof. Dr.-Ing. Harald Schwarz, Lehrstuhlleiter für Energieverteilung und Hochspannungstechnik an der Universität Cottbus-Senftenberg, diese Situation. „Es wird immer nur der Teil der Wahrheit gesagt, der bei den Menschen ein gutes Gefühl erzeugt, aber die eigentlichen Probleme ausblendet“, warnt Schwarz.
Demnach bedeute „Energie“-Autarkie, dass die erneuerbaren Energien in einem Jahr genau so viel Elektroenergie erzeugen, wie der Verbrauch an Elektroenergie durch die Abnehmer im gleichen Jahr ist.
„Da wir im Gegensatz zum Gasnetz bei Strom kaum nennenswerte Speicher haben und auch auf die Schnelle keine bauen können, muss die Stromerzeugung und der Stromverbrauch ‚Minute für Minute‘ übereinstimmen“, erklärt Schwarz.
Produzieren Wind- und Solaranlagen mal zu wenig Strom (Dunkelflaute), müsse irgendjemand in Europa aus Kohle-, Gas- oder Kernenergie noch liefern können. Gleichzeitig müssten die Netze diese gigantischen Energiemengen auch quer durch Europa transportieren können. Schwarz sieht hierbei ein großes Problem, denn: „Dafür wurden diese Netze nie geplant und gebaut und können auch nicht auf die Schnelle mal umgebaut werden.“
Gemäß der Definition könne Europa laut Schwarz die erhoffte Energieautarkie erreichen, jedoch schaffe sich das Staatenbündnis dadurch riesige Probleme im Betrieb der Stromversorgung.
Bleibt die Versorgungssicherheit bestehen?
Die Antwort ist „ja“, „der Ausbau der Erneuerbaren Energien hat keine negativen Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit“, sagt der BEE zuversichtlich. Deutschland habe im internationalen Vergleich mit die niedrigsten Versorgungsunterbrechungen. Mit steigendem Ausbau ist dieser Wert bis 2020 sogar noch gesunken.
Die Grafik bildet dabei die Gesamtjahresanteile der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung ab. Dabei gab es Überschüsse, die ins Ausland flossen, aber auch Mangelzeiten, in denen die Netzbetreiber Strom importieren mussten.
„Um die Energiequellen Sonne und Wind zu ergänzen, braucht es einen Mix aus Bioenergie, Wasserkraft, Speicher, grüner Kraft-Wärme-Kopplung, Geothermie und den Ausbau der Sektorenkopplung. So werden wir unseren Energiebedarf zu 100 Prozent erneuerbar decken können“, plant der Bundesverband Erneuerbare Energie.
Schwarz sorgt sich allerdings vielmehr um die Mangelzeiten: „Die Dunkelflaute wird von der Politik nicht oder nur widerwillig zur Kenntnis genommen. Die Bundesregierung argumentiert, dass der europäische Energiemarkt in einem solchen Fall immer lieferfähig ist und Deutschland bis zu einem Drittel seines Stromes künftig im Ausland kaufen wird.“
Dieser wäre dann aus osteuropäischer Kohle oder französischer Kernkraft. Per definitionem sei dieser importierte Strom aber emissionsfrei. Denn die Emissionen hingen immer am Wandlungsprozess, etwa von Kohle nach Strom. „Deshalb ist ja ein Elektroauto definitionsgemäß emissionsfrei, während ein Verbrenner-Auto dies eben nicht ist“, schildert der Lehrstuhlleiter.
Nutzung wird verpflichtend
Die EU-Einigung ermöglicht den Angaben zufolge darüber hinaus den Durchbruch künftig auch in anderen Sektoren als dem Stromsektor. Im Wärmesektor, im Verkehr und in der Industrie gelten demnach jetzt in jedem einzelnen Land verbindliche Ziele für die Nutzung von Wind- und Solarenergie.
Gleichzeitig wird der Umstieg auf erneuerbare Energien in allen Sektoren europäisch verpflichtend. In Deutschland müsse beispielsweise die Industrie 2030 in großem Umfang Wasserstoff aus Wind- und Solarenergie nutzen. Es drohen Vertragsverletzungsverfahren, wenn ein Land seine Sektorziele nicht einhält.
Darüber hinaus werden den Angaben zufolge die Genehmigungsverfahren beschleunigt. So dürfen Genehmigungsprozesse für neue Erneuerbaren-Projekte in bestimmten Gebieten künftig nicht mehr länger als zwölf Monate dauern.
Auch neue Vorgaben für den Flugverkehr
Beschlossen wurde den Angaben zufolge zudem, dass im Flugverkehr der Anteil der Treibstoffe aus erneuerbaren Energien deutlich erhöht werden muss: von 1,2 Prozent bei E-Fuels im Jahr 2030 auf 35 Prozent im Jahr 2050.
Insgesamt müssen im Zieljahr 2050 mindestens 70 Prozent „erneuerbare“¹ Flugkraftstoffe eingesetzt werden, neben E-Fuels also auch Biokraftstoffe aus Rest- und Abfallstoffen.
(Mit Material von AFP)
[1] Der Begriff „erneuerbare Energien“ hat sich zwar gesellschaftlich etabliert, nach dem Energieerhaltungssatz ist Energie aber grundsätzlich nicht erneuerbar. Sie kann nur umgewandelt werden.
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