EU-Diplomat auf dem Weg nach Damaskus – Bundesregierung bereitet Kontaktaufnahme vor
Nach dem Umsturz in Syrien nimmt die Europäische Union Kontakt zur neuen islamistischen Führung des Landes auf. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas kündigte am Montag an, der für Syrien zuständige EU-Diplomat Michael Ohnmacht werde im Tagesverlauf in Damaskus eintreffen.
Auch die Bundesregierung will bald eine Delegation nach Damaskus schicken. Der UN-Syriengesandte Geir Pedersen rief bei einem Treffen mit dem Anführer der Miliz HTS zu einem geordneten politischen Übergang in Syrien auf.
Kallas sagte, sie habe den „europäischen Top-Diplomaten in Syrien beauftragt, nach Damaskus zu fahren, um dort Kontakte zur neuen Regierung und den Menschen zu knüpfen“. Ohnmacht ist Leiter der EU-Vertretung für Syrien. Der deutsche Diplomat hatte den Posten beim Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) im Sommer übernommen.
Kallas: „Kein Vakuum“ in Syrien zulassen
Die EU könne „kein Vakuum“ in Syrien zulassen, sagte Kallas weiter. Sie wolle mit den europäischen Chefdiplomaten darüber beraten, wie und auf welchem Niveau die Europäer mit den neuen Verantwortlichen in Damaskus umgehen könnten.
Auch die Bundesregierung bereitet direkte Kontakte zur neuen islamistischen Führung in Syrien vor. Es werde „sehr rasch eine erste Kontaktaufnahme geben“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin.
Es sei für die deutsche Diplomatie „einer der wichtigsten Punkte“, nach dem Umsturz in Syrien die „Präsenz vor Ort und die Gesprächskanäle“ auszubauen. Wann und in welcher Form die Kontakte dies geschieht, wollte der Sprecher unter Verweis auf Sicherheitsgründe nicht ausführen.
Die USA und Großbritannien stehen nach eigenen Angaben bereits mit der islamistischen Gruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) in Kontakt, welche die Milizen im Kampf gegen den vor gut einer Woche gestürzten Machthaber Baschar al-Assad angeführt hatte. Eine französische Delegation wird am Dienstag in Damaskus eintreffen, um Kontakt zur neuen Führung in Syrien aufzunehmen.
EU stuft HTS weiterhin als Terrorgruppe ein
Die EU stuft die HTS bislang als „Terrorgruppe“ ein und hat Sanktionen gegen sie verhängt. Luxemburgs Außenminister Xavier Bettel sagte in Brüssel, es sei „zu früh“, die Miliz von der Sanktionsliste zu nehmen. „Es sind keine Engel“, sagte er. Vielmehr handele sich um frühere Terroristen, die sich vom Terrornetzwerk al-Qaida abgespalten hätten.
Der französische Außenminister Jean-Noël Barrot rief die Islamisten zu einem politischen Übergang auf, „bei dem alle Minderheiten in Syrien vertreten sind“, wie Kurden oder Christen. Zudem müsse sich eine künftige Regierung der Achtung der Frauen – und Menschenrechte sowie dem Kampf gegen den Terrorismus und den Extremismus verschreiben.
Auch der UN-Gesandte Geir Pedersen, der sich seit Sonntag in Damaskus aufhält, rief die Islamisten zu einem „glaubwürdigen und inklusiven politischen Übergang“ auf. Pedersen traf in der syrischen Hauptstadt Übergangsregierungschef Mohammed al-Baschir und den HTS-Anführer Ahmed al-Scharaa, der bislang unter seinem Kampfnamen Mohammed al-Dscholani auftrat.
Auch eine Delegation aus Katar ist nach Damaskus gereist, um Gespräche mit Vertretern der Übergangsregierung zu führen. Die katarische Botschaft im Damaskus soll am Dienstag 13 Jahren nach ihrer Schließung wieder öffnen. Die Botschaft der Türkei hatte bereits am Samstag ihren Betrieb wiederaufgenommen.
Assad vor einer Woche gestürzt
Kämpfer unter Führung der HTS hatten vor gut einer Woche Damaskus erobert und den langjährigen Machthaber Assad gestürzt. Der Einnahme der syrischen Hauptstadt war ein rasanter Vormarsch der Milizen durch das Land vorangegangen. Assad, dem Entführung, Folter und Ermordung von Andersdenkenden vorgeworfen wird, floh nach Russland.
Die syrischen Kurden, die in Syrien jahrzehntelang unterdrückt wurden, verlangten die Beendigung aller Militäreinsätze in dem Land. Pro-türkische Kräfte hatten Anfang Dezember im Grenzgebiet zur Türkei im Nordosten Syriens eine Offensive gestartet und dabei die bislang unter kurdischer Kontrolle stehenden Städte Manbidsch und Tal Rifaat erobert.
Der Kurdenvertreter Hussein Othman rief am Montag bei einer Pressekonferenz in Raka zudem zu einem „konstruktiven und umfassenden nationalen Dialog auf.
Israel greift syrische Militärstützpunkte an
Die israelische Armee flog nach Angaben von Aktivisten unterdessen neue Angriffe auf Militärstützpunkte in der syrischen Küstenregion Tartus. Israelische Kampfflugzeuge hätten in der Nacht zum Montag unter anderem Standorte der Luftabwehr und Raketenlager bombardiert, teilte die in Großbritannien ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit.
Die Bundesregierung hat an Israel und andere Nachbarstaaten Syriens appelliert, die Souveränität des Landes in der aktuellen Umbruchphase nicht zu verletzen. Obwohl Israel und andere Akteure Sicherheitsinteressen gelten machten, dürfe die „territoriale Integrität nicht angefasst werden“. Weiterhin sei klar, „dass man die Entwicklung in Syrien jetzt zum Positiven wenden muss“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin.
Auf der einen Seite gehe es darum, dass die Waffen aus der Ära des geflohenen Präsidenten Baschar al-Assad „nicht in die falschen Hände fallen“. Auf der anderen Seite stehe das Völkerrecht.
Alle Akteure sollten Zurückhaltung üben
„In diesem Spannungsfeld bewegt man sich“, sagte der Sprecher. Alle Akteure sollten jetzt Zurückhaltung üben. „Wir teilen der israelischen Regierung sehr klar unsere Haltung mit“, fügte er hinzu.
Israel hat seine Angriffe im Nachbarland seit dem Sturz von Machthaber Assad am 8. Dezember massiv ausgeweitet. Das Machtvakuum nach dem Sturz nutzte Israel, um mit seinen Truppen über die Waffenstillstandslinie auf den Golanhöhen vorzurücken.
Die Führung in Jerusalem begründet das damit, dass verhindert werden solle, dass bewaffnete Gruppen, die Israel feindlich gesonnen seien, von dem Höhenplateau aus den jüdischen Staat angreifen. Das Gebiet diesseits der Waffenstillstandslinie, das bis zum See Genezareth reicht, hatte Israel im Sechstagekrieg 1967 erobert und 1981 annektiert.
Die Türkei hatte in den vergangenen Jahren in Bezug auf kurdische Gruppierungen in Syrien eigene Sicherheitsinteressen geltend gemacht und Rebellengruppen im Nachbarland unterstützt. (afp/dpa/red)
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