EU boykottiert Ungarn – und verhindert damit eigene Entscheidungen zu Schulden und Draghi-Plan

Seit der Friedensmission von Ungarns Premierminister Viktor Orbán boykottieren EU-Kommissare und die Minister zahlreicher Mitgliedsstaaten die EU-Präsidentschaft. Zuletzt verhinderten sie auf diese Weise Beschlussfassungen zu wichtigen Finanzfragen.
Titelbild
Freiheitsbrücke im Zentrum von Budapest.Foto: Marc Osborne / iStock
Von 15. September 2024

An dieser Stelle wird ein Podcast von Podcaster angezeigt. Bitte akzeptieren Sie mit einem Klick auf den folgenden Button die Marketing-Cookies, um den Podcast anzuhören.

Im Juli hat Ungarns EU-Ratspräsidentschaft begonnen – und neben den EU-Kommissaren haben sich auch die Minister zahlreicher Mitgliedstaaten dazu entschlossen, diese zu boykottieren. Bislang hatte man Premierminister Viktor Orbán vorrangig seine Härte in der Migrationspolitik vorgeworfen, die häufig ein koordiniertes Vorgehen verhinderte.

Mittlerweile schwenken die EU-Kommission und immer mehr Mitgliedsländer auf dessen Linie ein. Dennoch nimmt man Orbán immer noch seine nicht mit Brüssel abgestimmte Friedensmission zu Beginn der Präsidentschaft übel.

Seit dieser Zeit bleiben EU-Kommissare und Fachminister vieler Mitgliedstaaten Sitzungen fern, die von der Ratspräsidentschaft in Budapest angesetzt werden. Zuletzt war dies am Freitag, 13.9., der Fall, als ein Treffen der Finanzminister angesetzt war.

Eurogruppe hielt ihr Treffen planmäßig in Ungarn ab

Lediglich ein Drittel der Minister war erschienen – auch der deutsche Ressortchef Christian Lindner ließ sich unter Verweis auf die Haushaltsverhandlungen in Berlin vertreten. Gekommen waren jedoch Vertreter aus Italien, Belgien, Luxemburg und mehreren osteuropäischen Staaten.

Außerdem waren EZB-Chefin Christine Lagarde, Eurogruppen-Präsident Paschal Donohoe und die IWF-Vorsitzende Kristalina Georgiewa anwesend. Im Vorfeld des Finanzministertreffens fand auch eines der Eurogruppe statt.

Bedingt durch den Boykott durch EU-Kommissare und einer Mehrheit der Minister konnten keine Beschlüsse getroffen werden. Auf der Tagesordnung stand unter anderem die Frage nach der Finanzierung künftiger Klimaschutzmaßnahmen auf EU-Ebene.

Ernüchterndes Gutachten bescheinigt Europa globalen Anschlussverlust

Doch nicht nur in dieser Frage – die bis vor Kurzem noch an der obersten Stelle der Brüsseler Agenda gestanden hatte – drohen Entscheidungen nun bis 2025 hinausgezögert zu werden. Auch zu einem Thema unterblieb eine Debatte auf Finanzministerebene, das in der Vorwoche EU-weit für Aufsehen gesorgt hatte.

Am Montag hatte der frühere EZB-Präsident Mario Draghi sein lange erwartetes Gutachten zur Wettbewerbsfähigkeit der EU vorgestellt. Dieses fiel aus Brüsseler Sicht ernüchternd aus. Statt wirtschaftlich zur Weltmacht und politisch zum globalen Machtfaktor zu werden, fällt Europa immer weiter zurück.

Gegenüber allen anderen Weltregionen hat die EU demnach an Boden verloren. Insbesondere die USA hätten die Europäer seit 2000 in allen Belangen abgehängt. Europas Produktivität ist schwach, die Pro-Kopf-Einkommen in den Vereinigten Staaten sind fast doppelt so schnell angestiegen. Einige technologische Bereiche wie das Cloud Computing seien für die EU längst verloren.

Gemeinsame Schulden als letzter Ausweg?

Draghi stellt fest, Europa werde „einige, wenn nicht sogar alle unsere Ambitionen zurückschrauben müssen“. Selbst das Sozialstaatsmodell, mit dem man sich bereits zur Zeit des Kalten Krieges als weltweites Vorbild präsentiert hatte, sei perspektivisch nicht mehr finanzierbar.

Die Menschen hätten an Lebensstandard verloren, aber auch die Unternehmen litten unter Strom- und Gaspreisen, die ein Vielfaches dessen ausmachten, was in den USA zu bezahlen sei. Es bestehe, so der Draghi-Bericht, das Risiko, dass „die Dekarbonisierung der Wettbewerbsfähigkeit und dem Wachstum entgegenwirkt“.

Gänzlich hoffnungslos sei die Lage jedoch nicht, so der frühere EZB-Präsident. Eine Chance, zumindest in Bereichen wie Elektromobilität, Rüstung und teilweise auch noch Künstlicher Intelligenz den Anschluss zu finden, habe Europa noch.

Draghi empfiehlt dafür jährliche Investitionen in Höhe von bis zu 800 Milliarden Euro auf EU-Ebene, um „bahnbrechende Innovationen“ zu ermöglichen. Dazu müssten die Mitgliedstaaten jedoch bereit sein, gemeinsam vorzugehen. Im Ergebnis bedeute dies auch eine Bereitschaft zu gemeinsamer Schuldenaufnahme.

Ungarn-Boykott verhinderte Debatte zu Draghi-Plan auf EU-Ministerebene

In Staaten wie Deutschland hat diese Idee bereits energischen Widerspruch hervorgerufen. Bundesfinanzminister Christian Lindner äußerte sich „sehr skeptisch“ bezüglich der Pläne Draghis.

Er argwöhnte in einer ersten Stellungnahme gegenüber ntv, dass im Ergebnis „Deutschland für andere bezahlen“ solle. Dies, so Lindner, könne „kein Masterplan sein“.

Auch EZB-Chefin Christine Lagarde zeigte sich zwar „beeindruckt“ von Draghis Bericht. Allerdings erklärte auch sie einem Bericht von „Euractiv“ zufolge, darin „kein Mandat“ für eine Änderung ihrer Geldpolitik zu sehen. Die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu sichern, sei eine Aufgabe, die europäischen Regierungen zukomme.

Welche Staaten den Draghi-Vorstoß begrüßen – es ist zu erwarten, dass dies vor allem südeuropäische Länder sein werden – konnte bei dem Finanzministertreffen nicht eruiert werden. Aufgrund des Boykotts durch eine Mehrheit der EU-Regierungen konnte auch eine Debatte darüber nicht stattfinden.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion