EU-Asylpakt: Umstrittene Grenzverfahren und schnellere Rückführung von Migranten
Mit der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (Geas) will die EU die Lehren aus den Jahren 2015 und 2016 ziehen, als mehr als eine Million Menschen allein nach Deutschland kamen.
Auf die Grundzüge hatten sich das Europaparlament und die 27 Mitgliedsländer bereits im Dezember geeinigt: Asylverfahren erstmals direkt an Europas Außengrenzen, beschleunigte Rückführungen auch in „sichere“ Drittländer und einen Solidaritätsmechanismus zur Entlastung von Hauptankunftsländern wie Italien und Griechenland.
Das Paket sei nicht perfekt – aber das Beste, was in jahrelangen Verhandlungen habe erzielt werden können, sagten Parlamentarier vor der Abstimmung am Mittwochnachmittag in Brüssel.
Parteien am linken wie am rechten Rand wollen gegen den Asylpakt stimmen, auch bei den Grünen gibt es viel Kritik. Fallen einzelne der Gesetzestexte durch, hätte das Parlament ein Problem, denn es hatte auf einer Paketlösung bestanden. Vor allem im rechten politischen Lager glaubt kaum jemand, dass der Asylpakt zu einem deutlichen Rückgang der Migrantenzahlen führt.
Positiv wertet die CDU-Europaabgeordnete Lena Düpont, dass der Asylpakt „das Hangeln von Notlösung zu Notlösung“ in Europas Asylpolitik seit 2016 beendet. „Kurzfristige Lösungen“ böten die Regeln allerdings nicht, sagt Düpont.
Worum geht es?
Im Kern geht es bei den Gesetzestexten um schärfere Asylregeln. Hauptankunftsländer wie Italien oder Griechenland sollen entlastet werden. Die Asylagentur der Europäischen Union hatte im vergangenen Jahr rund 1,1 Millionen Anträge verzeichnet, den höchsten Wert seit 2016. Mit rund 330.000 entfiel ein Drittel dieser Anträge auf Deutschland.
Was ist an Europas Außengrenzen vorgesehen?
Erstmals soll es dort Asylverfahren geben, um Migranten mit geringen Aufnahmechancen an der Weiterreise zu hindern. Dies betrifft etwa Menschen aus Marokko, Tunesien oder Bangladesch, die eine höchstens 20-prozentige Anerkennungsquote in der EU haben.
In die Grenzverfahren kommen zudem Migranten, die als Sicherheitsgefahr eingestuft werden, oder die die Behörden in die Irre geführt haben, etwa mit einem falschen Pass. Betroffene sollen einen kostenlosen Rechtsbeistand erhalten.
Was passiert bei den Grenzverfahren?
Die Migranten sollen in Grenznähe festgehalten und von dort aus direkt abgeschoben werden. Juristisch werden sie als nicht in die EU eingereist betrachtet. Das Asylverfahren und die Rückführung sollen im Regelfall bis zu zwölf Wochen dauern. Die Mitgliedsländer wollen zunächst 30.000 Plätze in Grenzlagern schaffen, nach vier Jahren sollen es 120.000 sein.
Warum war dies umstritten?
Die Bundesregierung und insbesondere die Grünen in der „Ampel“ wollten neben unbegleiteten Minderjährigen auch Familien mit Kindern von den Grenzverfahren ausnehmen. Dies scheiterte jedoch.
Auf Druck des EU-Parlaments sollen Familien mit Kindern aber als letzte in die Grenzverfahren kommen, ihre Anträge sollen als erste bearbeitet werden und sie sollen „geeignete Aufnahmebedingungen“ vorfinden. Die EU-Asylagentur mit Sitz in Malta soll dies überwachen.
Wo soll es noch Asylverfahren geben?
Die Mitgliedsländer können Asylbewerber künftig in „sichere Drittstaaten“ wie Tunesien oder Albanien zurückschicken. Voraussetzung ist, dass Migranten eine Verbindung zu dem Drittstaat haben, etwa durch Angehörige. Eine Durchreise reicht nicht aus. Eine EU-Liste sicherer Länder gibt es bisher nicht, sie soll aber erarbeitet werden.
Was ist bei der Verteilung von Migranten geplant?
Auch künftig ist das Land der ersten Einreise in der Regel für einen Asylantrag zuständig. Es greift aber ein verpflichtender Solidaritätsmechanismus. So will die EU jährlich mindestens 30.000 Migranten aus Italien oder Griechenland umverteilen.
Auf Deutschland kämen theoretisch rund 6.600 Menschen pro Jahr zu. Allerdings können Vorjahresankünfte abgezogen werden. Staaten wie Ungarn können sich von einer Aufnahme zudem freikaufen, im Gespräch sind 20.000 Euro pro Migrant. Alternativ können sie Grenzbeamte entsenden oder Projekte in Drittländern finanzieren.
Was ist mit der Erfassung der Migranten?
Bislang kommen zahlreiche Menschen unregistriert in Deutschland an. Dies soll sich mit der Reform ändern. Grenzländer wie Italien oder Griechenland sollen biometrische Fingerabdrücke oder Fotos der Migranten in der Eurodac-Datenbank der EU registrieren.
Erstmals sind Kinder ab sechs Jahren davon betroffen, bisher galt 14 als Untergrenze. Wer ein „Sicherheitsrisiko“ darstellt, soll speziell gekennzeichnet werden, vor allem bei Verbindungen zu „Terrorgruppen“. Der Schnell-Check soll maximal sieben Tage dauern.
Was passiert bei Ankunft besonders vieler Menschen?
Das regelt eine Krisenverordnung. Auch Migranten mit bis zu 50-prozentiger Anerkennungsquote sollen dann die Grenzverfahren durchlaufen. Sie können dann sogar 18 statt zwölf Wochen festgehalten werden.
Wenn Russland oder andere Drittländer Geflüchtete „instrumentalisieren“, müssen sie vollständig in Grenzverfahren. Das träfe dann auch Syrer oder Afghanen, die mit die höchsten Anerkennungschancen in Europa haben.
Wie viele Menschen kamen 2023?
Im vergangenen Jahr hatte die EU-Asylagentur gut 1,1 Millionen Anträge verzeichnet, den höchsten Wert seit 2016. Mit gut 330.000 entfielen ein Drittel davon auf Deutschland als größtes Mitgliedsland.
Nicht eingerechnet sind die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die einen besonderen Schutz in Europa genießen. Von ihnen haben mehr als eine Million in Deutschland Zuflucht gefunden, vier Millionen sind es in der ganzen EU.
Wie geht es weiter?
Vor den Europawahlen vom 6. bis 9. Juni wollen die EU-Länder den Asylpakt noch formell billigen. Danach haben sie zwei Jahre Zeit zur Umsetzung. Im Sommer, wenn wieder besonders viele Migranten in Europa erwartet werden, greift die Reform noch nicht.
Was sagen NGOs dazu?
Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen sehen das Asylrecht in Gefahr, wenn die Pläne durchgehen. Ein breites Bündnis aus mehr als 160 europäischen Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen warnt, die neuen Regeln könnten „die Grundrechte aushöhlen“. Zudem gäben sie keine Antwort auf zentrale Probleme wie den Tod von Bootsflüchtlingen im Mittelmeer, heißt es in einem Brandbrief, den unter anderem Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen und Pro Asyl unterzeichnet haben.
(afp/red)
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