Erst Johnson, nun Farage: „Die Zündler schleichen sich davon“

Die großen Brexit-Männer gehen von Bord. Ausgerechnet die beiden wichtigsten Wortführer des Anti-EU-Lagers geben auf - schnell, entschlossen und mit windigen Begründungen. Ein DPA-Bericht.
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Ab ins Museum? Der Londoner Satiriker und Maler Kaya Mar schleppt ein Gemälde weg, auf dem Nigel Farage und Boris Johnson vereint sind.Foto:  Facundo Arrizabalaga/dpa
Epoch Times4. Juli 2016
Die großen Brexit-Männer gehen von Bord. Ausgerechnet die beiden wichtigsten Wortführer des Anti-EU-Lagers geben auf – schnell, entschlossen und mit windigen Begründungen.

Er wolle „sein Leben zurückhaben“, sagt etwa Hardliner Nigel Farage, er habe alles erreicht, was es zu erreichen gibt – der Mann, der das sagt, ist gerade mal 52 Jahre alt. Sein Rücktritt als Chef der rechtspopulistischen Ukip trifft seine Anhänger völlig unvorbereitet.

Vorsorglich fügt er hinzu: „Ich werde meine Meinung nicht mehr ändern, das verspreche ich Euch.“ Man erinnert sich: Zurückgetreten war Farage schon einmal – nach der Parlamentswahl vor einem Jahr. Wenig später war er wieder da.  

Ein echter Schock war auch der Rückzug von Boris Johnson. Er wolle sich jetzt doch lieber nicht als Premierminister bewerben, verkündete er – angeblich, weil sein Brexit-Kumpan, Justizminister Michael Gove, auch den Hut in den Ring geworfen hat. Ging der Londoner Ex-Bürgermeister vom Exklusiv-Recht beim Zugriff auf den Premier-Job aus? Unter den Abgeordneten ist sein Rückhalt eher nicht sonderlich ausgeprägt – der Mann gilt als windig, sprunghaft, unberechenbar. Doch auch Johnsons Enthaltsamkeit in Sachen Machtzugriff dürfte kaum von Dauer sein.

Schon merkwürdig: Innerhalb von wenigen Tagen hat das Brexit-Lager sein Gesicht verloren. Statt nach dem Sieg mit großen Plänen und Visionen einer vermeintlich verheißungsvollen Zukunft jenseits der „EU-Diktatur“ unters Volk zu gehen, gingen Farage und Johnson, zwei Männer, die ansonsten keine Kamera auslassen, erst mal diskret in Deckung. Tagelang waren sie abgetaucht. Wie soll es weitergehen, welche Art von Beziehungen will man zur EU, was ist Großbritanniens künftige Rolle in der Welt? Das große Schweigen.

Verdächtig war auch ein Brief von 80 Brexit-Abgeordneten an Premier David Cameron noch in der Wahlnacht: Er möge doch bitte im Amt bleiben, ganz gleich, wie das Referendum ausgehe – Mitunterzeichner: Boris Johnson.

Nach dem Motto: Lasst Cameron erst mal die Kartoffeln aus dem Feuer holen, die misslichen Austrittsverhandlungen in Brüssel bewältigen – wenn die Brexit-Zeiten dann nicht so rosig wie versprochen ausfallen, hat man wenigstens einen Sündenbock. Tatsächlich haben weder Johnson noch Farage den Briten bis heute eine würdige Siegerrede präsentiert – stattdessen laue Worte zum Rückzug. „Die Zündler schleichen sich davon“, nennt das der österreichische EU-Parlamentarier Othmar Karas.

Kein Zweifel, auf den nächsten britischen Premier kommt einiges zu: Brexit-Verhandlungen mit Brüssel, Schottland steuert auf ein zweites Unabhängigkeits-Referendum zu – „die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg“, nennt das die „Financial Times“ in einem Kommentar. „Die Tories brauchen einen Führer mit einem Plan für Großbritannien.“

Wenn nicht alles täuscht, stehen die Chancen gut, dass erstmals seit Margaret Thatcher wieder eine Frau in Downing Street 10 einzieht. An diesem Dienstag beginnen die Abgeordneten mit ihrem Auswahlverfahren. Als Favoritin gilt Innenministerin Theresa May (59). Sie hat sich bisher vor allem als Hardliner in Sachen Migration profiliert, gilt als durchsetzungsfähig.

Ihre Besonderheit: Sie plädierte zwar für einen Verbleib in der EU, hielt sich während des Wahlkampfs aber sehr bedeckt – jetzt präsentiert sie sich als Versöhnerin, die die Gräben in der Partei überwinden könne. Manche Kommentatoren in London halten ihr Verhalten für taktisch überaus geschickt, doch es kann auch zum Makel werden.

Ihre Konkurrentin, Energieministerin Andrea Leadsom (53), etwa mahnt bereits an, der Premierminister-Job müsse einem Brexit-Menschen zufallen. Doch auch Leadsom, die 25 Jahre als Bankerin tätig war, hat keine wirklich weiße Weste, meinen britische Medien. Sie habe vor Jahren erklärt, das Vereinigte Königreich solle besser nicht aus der EU austreten.

Dagegen sind die Chancen für Justizminister Michael Gove (48) allem Anschein nach erheblich geschrumpft. Kritiker halten ihm vor, er habe Johnson das Messer in den Rücken gestochen – und sich dabei erwischen lassen.

Insgesamt fünf Kandidaten stehen zur Wahl, zunächst haben die Abgeordneten das Wort. Falls es nicht doch noch eine einvernehmliche Lösung gibt, wählen die Parlamentarier zwei Kandidaten aus, die sich dann dem Votum der gut 150 000 Parteimitglieder stellen. Bis Anfang September soll die Personalie vom Tisch sein.

Übrigens: Keiner der Kandidaten hat es eilig mit dem EU-Austritt, alle wollen eher erst im nächsten Jahr zum Austrittsartikel 50 greifen. Die EU-Politiker, die für eine eher rasche Trennung sind, finden das gar nicht gut.  

(dpa)

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