Erneute Debatte um EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei
Das Europäische Parlament stimmt am Mittwoch über die formale Aussetzung der Beitrittsgespräche mit der Türkei ab. Es wird erwartet, dass sich eine Mehrheit der Abgeordneten hinter eine entsprechende Resolution stellt.
Zwar ist es unwahrscheinlich, dass sich die EU-Mitgliedsländer einer solchen Empfehlung des Parlaments anschließen, allerdings liegen die Beitrittsverhandlungen mit Ankara ohnehin seit langem auf Eis.
Kritik und der „Putschversuch“
Das EU-Parlament und auch viele Mitgliedstaaten sehen die politische Entwicklung in der Türkei seit dem Putschversuch von Juli 2016 mit Sorge. Neben der Verfolgung kritischer Journalisten, unabhängiger Wissenschaftler und der kurdischen Opposition stieß insbesondere die Verfassungsänderung auf Kritik, die nach den Wahlen im vergangenen Jahr in Kraft trat und die Befugnisse von Präsident Recep Tayyip Erdogan erheblich ausweitet.
Ankara wirft den EU-Staaten ihrerseits mangelnde Solidarität nach dem Putschversuch vor und kritisiert, sie würden nicht entschieden genug gegen die kurdische PKK-Guerilla und die Gülen-Bewegung vorgehen. Die Türkei liegt zudem mit Zypern im Streit um die Ausbeutung von Gasvorkommen. Auch gibt es immer wieder Zwischenfälle mit griechischen Marineschiffen an der umstrittenen Seegrenze in der Ägäis.
Seit 2005 wird verhandelt
Die EU hatte nach jahrzehntelanger Vorbereitung 2005 offiziell Beitrittsgespräche mit der Türkei aufgenommen. Wegen der Massenverhaftungen von Regierungskritikern nach dem gescheiterten Militärputsch beschlossen die EU-Staaten allerdings Ende 2016, die Gespräche nicht mehr auszuweiten. Im November 2017 kürzten sie auch die im Zusammenhang mit dem Beitrittprozess gewährten Finanzhilfen.
Die EU-Europaminister erklärten im Juni 2018, dass die Türkei zwar „ein Beitrittsland“ bleibe, die Verhandlungen aber „praktisch zum Stillstand gekommen“ seien. „Es können keine weiteren (Verhandlungs-)Kapitel zur Eröffnung oder Schließung in Betracht gezogen werden.“ Erdogan wirft der EU vor, die Türkei an der Tür warten zu lassen, und hat wiederholt ein Referendum über den EU-Beitritt ins Gespräch gebracht.
Migrationspakt
Trotz der Spannungen hält die EU am Migrationspakt von März 2016 fest, da er „im Interesse beider Seiten“ sei, wie die EU-Europaminister im Juni erklärten. Ankara hatte in der Vereinbarung zugesichert, alle neu auf den griechischen Ägäis-Inseln ankommenden Migranten und Flüchtlinge zurückzunehmen und gegen Schlepperbanden vorzugehen. Dies führte zu einem drastischen Rückgang der Ankunftszahlen in Griechenland.
Allerdings verhinderten griechische Gerichte die Rückführung von Menschen in die Türkei, so dass tausende Migranten teils über Monate in völlig überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln leben müssen. Im Gegenzug für den Stopp der Migranten erhielt Ankara drei Milliarden Euro zur Versorgung der 3,5 Millionen Syrer in der Türkei. Bis Ende 2019 will die EU weitere drei Milliarden zahlen.
Zollunion seit 1995
Die EU ist der größte Handelspartner der Türkei. Dazu trägt eine 1995 gegründete Zollunion bei. Viele Güter können dabei ohne Zölle und Beschränkungen über die Grenzen geliefert werden. Ausgenommen sind Kohle und Stahl und die meisten landwirtschaftlichen Produkte. Im Zuge des Flüchtlingsdeals hat die EU auch einen Ausbau der Zollunion versprochen.
Die EU-Kommission schlug die Ausweitung auf Dienstleistungen, öffentliche Beschaffung und Landwirtschaft vor. Die EU-Staaten erklärten im vergangenen Juni aber, es seien „keine weiteren Arbeiten zur Modernisierung der EU-Türkei-Zollunion vorgesehen“.
EU stellte Visafreiheit in Aussicht
Die EU hat Erdogan wegen des Flüchtlingspakts zudem einen beschleunigten Fall des Visa-Zwangs für türkische Bürger in Aussicht gestellt. Doch Ankara wollte nicht wie gefordert seine weit gefassten Anti-Terrorgesetze ändern. Kritikern zufolge dienten diese schon vor dem Putsch dazu, gegen Regierungsgegner vorzugehen.
Erdogan hat immer wieder Ultimaten gesetzt und mit der Aufkündigung des Flüchtlingsdeals gedroht, wenn die Visa-Freiheit nicht kommt – wahrgemacht hat er diese Drohung bisher nicht. Anders als bei anderen Beitrittskandidaten wird die Visa-Liberalisierung bei der Türkei inzwischen nicht mehr erwähnt. (afp)
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