Erdoğan schwört Turkstaaten-Gipfel auf Kampf gegen Gülen ein
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat das sechste Gipfeltreffen des Türkischen Rates in Kirgisistan genützt, um die politischen Führungen der darin versammelten Turkstaaten auf den gemeinsamen Kampf gegen die Gülen-Bewegung einzuschwören. Dies berichtet die Tageszeitung „Hürriyet“.
Erdoğan forderte die Turkstaaten dazu auf, eine gemeinsame Position gegen die „Fethullahistische Terrororganisation“ oder „FETÖ“, wie Ankara das Netzwerk nennt, einzunehmen.
In seiner Rede warf Erdoğan den Anhängern des seit 1998 in den USA lebenden islamischen Predigers Fethullah Gülen erneut vor, den gescheiterten Putsch im Juli 2016 organisiert zu haben, der 251 Todesopfer gefordert hatte. Er stellte die in einer Vielzahl von Staaten weltweit vertretene Bewegung in eine Reihe mit der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) und der „Kurdischen Arbeiterpartei“ (PKK) und erklärte, die Türkei würde sich in einem „intensiven Kampf“ gegen Terroristen befinden.
„Was wir in den vergangenen fünf Jahren durchgemacht haben, hat uns und unseren Freunden offen und klar deutlich gemacht, dass es für uns einen Imperativ darstellt, im Kampf gegen FETÖ nicht zu zaudern“, erklärte der türkische Präsident.
Usbekistan als leuchtendes Vorbild gelobt
Er lobte ausdrücklich das Verbot von Bildungseinrichtungen der Hizmet-Bewegung (das Wort „Hizmet“ bedeutet so viel wie „Dienst“), wie sich das Gülen-Netzwerk selbst nennt, in Usbekistan und rief dazu auf, auch in anderen Ländern diese weltweit verbreiteten Institutionen zu schließen. Erdoğan meinte dazu wörtlich:
„Taqqiya, Täuschung und Geheimbündelei sind die primären Merkmale dieser Organisation. Diesbezüglich anerkennen wir ausdrücklich die Schritte, die Usbekistan in diesem Bereich unternommen hat. Wir danken allen Mitgliedern des Türkischen Rates für ihre Unterstützung im Kampf gegen FETÖ.“
Erdoğan und die Gülen-Bewegung waren einander im Laufe der jüngeren türkischen Geschichte allerdings nicht immer spinnefeind. Während die Regierung in Ankara die Freiwilligen des Hizmet-Netzwerks heute als „Sekte“ bezeichnet und ihr vorwirft, von langer Hand den Staat – und dabei vor allem Militär, Polizei und Justiz – unterwandert zu haben, meinen Kritiker, dass Erdoğan selbst seit der Regierungsübernahme durch seine Partei AKP im Jahr 2002 diesen Prozess aktiv gefördert habe.
Die Gülen-Bewegung hatte bereits im Vorfeld des Aufstiegs der AKP dazu beitragen, die Grundlagen zu schaffen für eine Umgestaltung des türkischen Staates, der bis dahin einen strikten Laizismus pflegte und die in der modernen Türkei klandestin operierenden religiösen Orden mit aller Härte bekämpfte.
Die strikt dem kemalistischen Gedankengut verpflichteten Parteien, die über Jahrzehnte hinweg zusammen mit dem Militär die Grenzen des politisch Machbaren bestimmten, verloren im Laufe der Jahre außerhalb des westlich orientierten großstädtischen Publikums an Rückhalt. Vor allem innerhalb der stark religiös geprägten Landbevölkerung und innerhalb der sogenannten Gecekondu-Viertel der Großstädte, Armenvierteln, in denen Zuzügler aus der Provinz in behelfsmäßig gebauten Häusern wohnten, wurde der Staat als korrupt und ineffizient wahrgenommen. Religiöse Bewegungen versuchten, das dort entstandene Vakuum auszufüllen.
Vom Wendepartner zum Paria
Mit ihren privaten Vorbereitungsschulen („Dershanes“), für die arme Familien aus der Provinz oft hohe Kreditverpflichtungen eingingen, ermöglichte es die Gülen-Bewegung auch Kindern aus einfachen Verhältnissen, die Aufnahmeprüfungen für die Universitäten zu schaffen und sich auf diese Weise emporzuarbeiten. Mit der Zeit wuchs aus den Provinzen eine neue Mittelschicht heran, die in der ökonomisch lange Zeit rückständigen Türkei zu einem Wohlstandsmotor wurde und nun auch nach politischer Teilhabe verlangte.
Der Erfolg der AKP seit 2002 war vor allem dem Umstand zu verdanken, dass die Partei es schaffte, diese Mittelschicht und gesellschaftliche Minderheiten, die nicht dem kemalistischen Idealbild vom Türkentum entsprachen, an sich zu binden. Die Aktivitäten des Gülen-Netzwerkes kamen Erdoğan vor allem in den ersten Jahren seiner Regierungszeit gelegen, da dessen Anhänger, sobald sie Eingang in staatliche Institutionen gefunden hatten, ähnlich wie Angehörige von Studentenverbindungen im Westen Gleichgesinnte nachzogen. Die religiöse Grundlage von Hizmet, wo nach dem Vorbild traditioneller Sufi-Orden Bindungen entstanden, die jenen zwischen „Meistern“ und „Schülern“ entsprachen, hatte zur Folge, dass die wechselseitige Loyalität weit über die von beruflichen Seilschaften hinausging.
Was Erdoğan der Gülen-Bewegung später als „terroristischen Akt“ ankreiden sollte, nämlich Parallelstrukturen innerhalb von Polizei, Militär und Justiz gebildet zu haben, nützte er 2008 in eigener Sache bereitwillig aus. Damals ließ sich ein Waffenfund in einem Abbruchhaus eines Istanbuler Gecekondu-Vierteln in die Armee zurückverfolgen, die sich damals noch als „Wächterin des Laizismus“ begriff und Erdoğan mit Putsch drohte, sollte dieser die kemalistischen Prinzipien infrage stellen.
Kemalistische Erdoğan-Gegner damals und Erdoğan-loyale Regierungsanhänger heute sind sich einig, dass das darauffolgende „Ergenekon“-Verfahren, im Zuge dessen hunderte AKP-kritische Persönlichkeiten aus Militär, Politik und Gesellschaft angeklagt wurden, ein nationalistisches Netzwerk gebildet und einen Putsch geplant zu haben, ein Werk der Gülen-Bewegung war. Alle Urteile, die in dem Prozess gefällt wurden, hoben Gerichte später auf. „Ergenekon“ ermöglichte es aber der AKP, die Macht der alten kemalistischen Eliten im Militär zu brechen.
US-Justiz bestätigt Vorwürfe gegen iranischen Geschäftsmann
Zum Bruch zwischen dem Gülen-Netzwerk und Erdoğan kam es in der ersten Hälfte der 2010er Jahre. Dass Staatsanwälte 2012 den von Erdoğan eingesetzten Geheimdienstchef vorladen ließen, weil dieser erste Gespräche über einen möglichen Friedensschluss mit der kurdischen PKK geführt hatte, galt der AKP-Führung als Machtdemonstration der Hizmet-Anhänger. Im Herbst 2013 antwortete die AKP-Führung mit dem Vorhaben, die Vorbereitungsschulen zwangsweise zu verstaatlichen. Erdoğan begründete diesen Schritt mit den hohen Schulden, die Eltern auf sich luden, um ihre Kinder dorthin schicken zu können.
Kurz darauf begannen Staatsanwälte, mit groß angelegten Razzien bis hinein ins persönliche Umfeld von Regierungsmitgliedern für Aufruhr zu sorgen. Das Medienkonglomerat des Hizmet-Netzwerks inklusive der damals auflagenstärksten türkischen Tageszeitung „Zaman“ begleitete die Ermittlungen von Beginn an mit Informationen aus erster Hand. Die Justiz warf der Erdoğan-Regierung im Dezember 2013 vor, in einen groß angelegten Korruptionsskandal verwickelt zu sein, der unter anderem illegale Geschäfte mit dem Iran umfasste. In den USA wurde einer der Hauptverdächtigen, der Geschäftsmann Reza Zarrab, Jahre später auch tatsächlich auf Grund ähnlicher Vorwürfe angeklagt.
Im Januar 2014 ließ ein weiterer Staatsanwalt einen vom Geheimdienst MIT begleiteten Lkw anhalten und durchsuchen. Bei dieser Gelegenheit sollen unter anderem Waffen beschlagnahmt worden sein, die an radikal-islamische Terrorgruppen in Syrien gehen sollten.
Erdoğan wies die Vorwürfe als angebliche Verschwörung eines von den Gülen-Anhängern gebildeten „Parallelstaats“ zurück. Im Machtkampf gelang es ihm, sich durchzusetzen. Seit dieser Zeit ist es zu mehr als zehntausend Fällen von Entlassungen, Verhaftungen und Versetzungen von Staatsbeamten gekommen, die verdächtigt werden, dem in den USA lebenden Prediger nahezustehen.
Deutschland als Fluchtpunkt für Gülen-Anhänger
Seit dem Scheitern des Putschversuches einer Gruppe von Militärangehörigen im Juli 2016 hat der Verfolgungsdruck gegen Personen, die einer Verbindung zu Gülen verdächtigt werden, noch weiter zugenommen. Publikationen des Netzwerks werfen der türkischen Regierung vor, auch Mütter mit ihren Kindern willkürlich einzusperren, darüber hinaus soll es auch zu Fällen von Folter und zu Todesfällen mutmaßlicher Gülen-Anhänger in türkischer Haft gekommen sein.
Deutschland ist mittlerweile neben den USA zu einem wichtigen Fluchtziel für Anhänger der Hizmet-Bewegung geworden. Dennoch kommt es auch hier Medienberichten zufolge zu Übergriffen und Drohungen gegen mutmaßliche Gülen-Sympathisanten und deren Einrichtungen. Da Gülen ein Islamverständnis predigt, das zwar im Grunde konservativ ist, aber gleichzeitig zu Akkulturation, Bildung und wirtschaftlichem Ehrgeiz aufruft, haben Einwanderer, die diesem Netzwerk zugehören, ein wesentlich positiveres Verhältnis zur westlichen Gesellschaft. Seit dem Bruch mit Erdoğan ist auch in den westlichen Mainstream-Medien der Ton gegenüber der Gülen-Bewegung deutlich freundlicher geworden.
Auf dem Campfire-Festival für Journalismus und digitale Zukunft in Düsseldorf, das am Wochenende stattgefunden hatte und 11.000 Besucher anzog, waren auch Vertreter des Hizmet-Netzwerks vertreten. Unter dem Motto „Sei meine Stimme“ haben Süleyman Bağ und Resul Özcelik vom Deutsch-Türkischen Journalismus und Recherche e.V. (dtjr e.V.) einen Verein vorgestellt, dessen Ziel die Unterstützung von Journalisten sei, die sich immer noch in türkischen Gefängnissen befinden.
„Mehr als 140 Autoren, Publizisten und Reporter sitzen noch immer hinter Gittern“, erklärte Özcelik in seinem Redebeitrag. Dabei seien vor allem solche, die zu ethnischen oder religiösen Minderheiten gehörten, die jedoch keinen Bezug zu Deutschland oder anderen westlichen Ländern hätten, in Vergessenheit geraten.
Neuer tiefer Staat in der Türkei?
Die türkische Regierung und Anhänger des Präsidenten Erdoğan in Deutschland verteidigen das Vorgehen nach dem Putsch nach wie vor als notwendig, um eine weitere Unterwanderung des Staatswesens zu verhindern. Unterdessen wird international die Kritik an der Regierung Erdoğan lauter, wonach diese mittlerweile längst selbst wieder von einem neuen tiefen Staat abhängig sei. Dieser werde jetzt von Angehörigen der Muslimbrüder und anderer radikal-islamischer Kräfte getragen.
Konsequenzen dieser Entwicklung wären unter anderem die Unterstützung bewaffneter islamistischer Rebellen in Syrien und die Tatsache, dass die terroristische Hamas in der Türkei weitgehend ein ruhiges Hinterland vorfinde. Für Omer Dostri vom Jerusalem Institute for Strategic Studies steht fest: Obwohl das Versöhnungsabkommen zwischen der Türkei und Israel aus dem Jahr 2016 ausdrücklich Gegenteiliges vorsieht, hindert die Türkei in ihrem Land ansässige Terroristen der Hamas nicht, Terroranschläge im Gazastreifen oder in den umstrittenen Gebieten des Westjordanlandes zu planen. Darüber hinaus käme es immer wieder zu Fällen, in denen unter dem Vorwand humanitärer Arbeit von Organisationen wie TIKA oder IHH Unterstützung für extremistische Gruppen geleistet werde.
In seiner Rede auf dem Turkstaaten-Gipfel betonte Erdoğan dann auch erneut, dass sich sein Verständnis von der „türkischen Welt“ nicht in den Turkstaaten erschöpfe:
„Ebenso wie den Balkan sehen wir Nordafrika, insbesondere aber Palästina, nicht als getrennt von der türkischen Welt an. Nicht nur die regionale, sondern auch die internationale Sicherheit und Stabilität wird ohne einer dauerhafte Lösung der palästinensischen Frage nicht möglich sein.“
Manche dürften diese Ansage als Versprechen auffassen, andere wiederum durchaus als Drohung.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion