Entscheidung des Ermittlungsrichters über Sea-Watch-Kapitänin heute erwartet
Im Fall der Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete wird am Dienstag eine Entscheidung des Ermittlungsrichters erwartet. Nach einer etwa dreistündigen Vernehmung am Montag war offen geblieben, ob die 31-Jährige auf freien Fuß gesetzt oder Haftbefehl für sie erlassen wird.
Rackete verbrachte eine weitere Nacht im Hausarrest. Unterdessen wurden Details zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft gegen die Deutsche bekannt. Rackete hatte vergangene Woche das Rettungsschiff „Sea-Watch 3“ mit mehr als 40 Migranten an Bord unerlaubt in die italienischen Hoheitsgewässer gesteuert.
In der Nacht auf Samstag fuhr sie – ebenfalls trotz eines Verbots – in den Hafen der sizilianischen Insel Lampedusa. Sie rechtfertigte ihre Entscheidung mit der verzweifelten Lage an Bord. Die deutsche Hilfsorganisation Sea-Watch hatte am 12. Juni insgesamt 53 Migranten vor Libyen gerettet. Aus gesundheitlichen und humanitären Gründen hatten schon 13 Migranten frühzeitig von Bord gehen können. Das Schiff aber bekam keine Anlegeerlaubnis.
„Es gab keine Notlage“
Die Staatsanwaltschaft wirft Rackete nun Widerstand gegen ein Militärschiff und Vollstreckungsbeamte vor. Rackete hatte sich nicht nur über Anweisungen hinweggesetzt. Das Schiff hatte beim Einlaufen in Lampedusa ein Boot der Finanzpolizei touchiert. Zudem wird gegen Rackete wegen Beihilfe zur illegalen Migration ermittelt. „Es gab keine Notlage“, sagte der Staatsanwalt Luigi Patronaggio am Montagabend. Sea-Watch habe auch außerhalb des Hafens ärztliche Hilfe bekommen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte wenige Tage vor dem unerlaubten Einlaufen in Lampedusa einen Eilantrag unter anderem von Rackete abgelehnt, mit dem Schiff in Italien anlegen zu dürfen.
Ermittelt wird laut Patronaggio nun auch, ob der Rettungseinsatz unweit der libyschen Such- und Rettungszone notwendig war. „Wir werden die konkreten Methoden zur Durchführung der Rettung prüfen, das heißt, ob es Kontakt zwischen Menschenhändlern und der Sea-Watch gab“, erklärte Patronaggio. Es solle also geprüft werden, ob es eine „Rettungsaktion im Meer oder eine verabredete Aktion“ war.
Komplizen der Schmuggler
Der italienische Innenminister Matteo Salvini bezeichnet Seenotretter immer wieder als Komplizen der Schmuggler, die Migranten auf die gefährliche Fahrt ins Mittelmeer schicken. Er will die Hilfsorganisationen komplett aus dem Mittelmeer verbannen. Die Regierung aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung fährt seit einem Jahr einen harten Anti-Migrations-Kurs.
Der Repräsentant des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) in Deutschland wies angesichts der Todesrate im Mittelmeer auf die Notwendigkeit der Seenotrettung hin. „Ich erwarte, dass sich Italien an seine humanistische und auch nautische Tradition erinnert“, sagte Dominik Bartsch der „Rheinischen Post“ (Dienstag). „Selbstverständlich muss sich auch Sea-Watch an internationale und nationale Gesetze halten.“ Aber in einer Notsituation hätten Leben und Gesundheit Priorität. Seit 2015 kamen nach UNHCR-Angaben fast 14 900 Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer ums Leben.
Der frühere Kapitän des Rettungsschiffs „Cap Anamur“ und jetzige Flüchtlingsbeauftragte von Schleswig-Holstein, Stefan Schmidt, rechnet nicht mit einer schnellen Freilassung von Kapitänin Rackete. „Ich habe schlechte Erfahrungen mit den italienischen Behörden gemacht. Damals hieß der Regierungschef Silvio Berlusconi – und der war schon schlimm“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Dienstag). „Wie damals bei uns läuft da ein politischer Prozess.“
Schmidt hatte 2004 mit der „Cap Anamur“ Sizilien trotz Verbots angelaufen. An Bord waren 37 Migranten. Schmidt musste sich vor Gericht wegen Beihilfe zur illegalen Einreise verantworten. Er wurde Jahre später freigesprochen.
In Deutschland hat die Festnahme von Rackete eine Welle der Solidarität ausgelöst. Mehr als eine Million Euro an Spenden wurden hier und in Italien für Sea-Watch gesammelt. Selbst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte sich in die Sache eingeschaltet und Italien wegen der Festnahme kritisiert. (dpa)
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