Empörung über EU-Pläne für grünes Label für Atomkraft – Österreich droht mit Klage

Die EU-Kommission von Ursula von der Leyen hat mit Plänen zur indirekten Förderung moderner Atom- und Gaskraftwerke für Aufsehen gesorgt - aber nicht nur.
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Ein Kernkraftwerk in Bayern. Symbolbild.Foto: iStock
Epoch Times2. Januar 2022

Die EU-Kommission hat mit ihrem Vorstoß zur Einstufung von Kernkraft als grüne Energiequelle für Empörung in Deutschland und Österreich gesorgt. Berliner und Wiener Regierungsvertreter äußerten am Samstag Kritik an einem Verordnungsentwurf zur sogenannten Taxonomie, den die Kommission zuvor an die Regierungen der 27 EU-Staaten geschickt hatte. Österreich drohte gar mit einer Klage. Teil des Streits ist auch die Rolle von Erdgas in der künftigen Energieproduktion. Es gibt aber auch viele Befürworter des Vorhabens.

Die nächste EU-Verordnung zur Taxonomie wird seit Monaten mit Spannung erwartet. Die Taxonomie ist eine Art Klassifizierung nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten und kommt einer Einstufung als förderwürdig und einer Empfehlung an Investoren gleich. Die Bewertung von Gas- und Kernenergie ist dabei eine der heikelsten Fragen, deren Beantwortung Brüssel wiederholt aufgeschoben hatte.

„Es muss anerkannt werden, dass der fossile Gas- und der Kernenergiesektor zur Dekarbonisierung der Wirtschaft der Union beitragen können“, heißt es nun in dem Brüsseler Entwurfspapier. Konkret schlägt die Kommission vor, dass bis 2045 erteilte Genehmigungen für neue Kernkraftwerke unter die Taxonomieverordnung fallen können. Auch bis 2040 genehmigte Arbeiten an existierenden Reaktoren zur Verlängerung der Betriebsdauer sind eingeschlossen.

Kernkraftwerke sollen als nachhaltig und klimafreundlich gelten

Demnach soll der „Bau und sichere Betrieb neuer Kernkraftwerke zur Strom- oder Wärmeerzeugung, auch zur Wasserstofferzeugung, unter Einsatz der besten verfügbaren Technologien“ als nachhaltig und klimafreundlich gelten. Weitere Vorgaben sind etwa für den langfristigen Umgang mit radioaktiven Abfällen vorgesehen.

Für neue Gasinfrastruktur sollen laut Kommission bis 2030 genehmigte Projekte für das grüne Label infrage kommen. Die Regeln sind hier strenger, etwa sollen die fraglichen neuen Anlagen stets eine alte, CO2-intensive Anlage ersetzen. Auch soll nachgewiesen werden müssen, dass die geplante Energieproduktion nicht auch mit einer erneuerbaren Energiequelle geleistet werden könnte.

Die Kommission leitete mit ihrem Entwurf einen Konsultationsprozess mit den Mitgliedstaaten ein und bekam aus Deutschland und Österreich umgehend negative Rückmeldungen. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) bezeichnete die Pläne als „absolut falsch“. Ihre österreichische Amtskollegin Leonore Gewessler (Grüne) kritisierte eine „Nacht- und Nebelaktion“ der Kommission für das „Greenwashing von Atomkraft und fossilem Gas“. Österreich werde „nicht davor zurückschrecken, rechtlich gegen die geplante Taxonomieverordnung vorzugehen“.

Vor allem Frankreich dringt mit Nachdruck auf eine Einstufung der Kernkraft als nachhaltig. Auch Polen und weitere östliche Länder, die mit Atomstrom ihre Klimabilanz verbessern wollen, sind dafür. Entschieden dagegen war bislang nur eine Minderheit der EU-Staaten.

Die zumindest eingeschränkt positive Bewertung von Erdgas im Kommissionspapier wurde als Entgegenkommen gegenüber den Kernkraft-Gegnern aufgefasst. Deutschland und auch Österreich sind stark von russischem Erdgas abhängig und wollen dessen Nutzung als Übergangstechnologie hin zur Klimaneutralität weiter fördern.

Keine geschlossene Linie in Deutschland

Die neue Bundesregierung hat hier allerdings keine geschlossene Linie. Während SPD-Kanzler Olaf Scholz am Kurs der Vorgängerregierung festhalten will, nannte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Pläne der EU-Kommission für den Umgang mit Erdgas „fraglich“. Immerhin mache die Kommission aber „sehr klar, dass Gas aus fossilen Brennstoffen nur ein Übergang ist und es durch grünen Wasserstoff ersetzt werden muss“, erklärte er.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat den Vorschlag zumindest teilweise gelobt. „Deutschland benötigt realistischerweise moderne Gaskraftwerke als Übergangstechnologie, weil wir auf Kohle und Kernkraft verzichten“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. „In der Perspektive der Klimaneutralität sollen die Anlagen später mit Wasserstoff genutzt werden können.“

Deshalb habe die Bundesregierung dafür geworben, dass die entsprechenden Investitionen effektiv möglich seien. „Ich bin dankbar dafür, dass von der Kommission offenbar Argumente aufgegriffen wurden“, so Lindner. „Weitere Verbesserungen wären aus unserer Sicht denkbar.“ Wenn die Transformation gelingen solle, seien investitionsfreundliche Rahmenbedingungen nötig. Mit Blick darauf, dass aus Sicht der Kommission auch Investitionen in die Atomenergie als „grün“ anerkannt werden sollen, sagte Lindner allerdings: „Dass die Bundesregierung zum Thema Kernenergie eine andere Auffassung vertritt als die Kommission, ist bekannt.“

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft begrüßte die Erdgas-Pläne der Kommission: „Investitionen in wasserstofffähige Gaskraftwerke sind zwingend notwendig für den Übergang in eine vollständig klimaneutrale Energieversorgung.“ Ähnlich äußerte sich der Verband der Chemischen Industrie.

Der nun begonnene Konsultationsprozess mit den EU-Mitgliedstaaten soll rund zwei Wochen dauern. Mitte Januar will die Kommission dann den finalen Vorschlag vorstellen, gegen den der Rat der Mitgliedstaaten und das EU-Parlament jeweils ein Veto einlegen können.

Um die Kommissionspläne aufzuhalten, bräuchte es eine qualifizierte Mehrheit von 20 der 27 Mitgliedstaaten, die zudem für 65 Prozent der EU-Einwohner stehen. Diese ist derzeit nicht in Sicht. Auch im EU-Parlament, wo eine einfache Mehrheit für ein Veto reichen würde, zeichnet sich dies bislang nicht ab. (afp/dpa/dts)



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