Ein „Skandal“, eine „Schande“, eine „faschistische Maßnahme“ – Ankara schäumt vor Wut
Ein „Skandal“, eine „Schande“, eine „faschistische Maßnahme“ und ein „Verstoß gegen diplomatische Manieren“ – so lauten einige der Reaktionen nach der Absage von Wahlkampfterminen zweier türkischer Minister in Deutschland. Die Regierung in Ankara schäumte am Freitag vor Wut und warf der Bundesregierung vor, die Meinungsfreiheit zu missachten und „Terroristen“ den Vorzug vor gewählten Politikern zu geben.
Mit dem Streit um die Werbeauftritte türkischer Staatsvertreter für das geplante umstrittene Präsidialsystem erreichen die deutsch-türkischen Beziehungen einen neuen Tiefpunkt. Dabei steht der Sturm der Entrüstung, der sich am Freitag nach der Absage der Auftritte entfaltete, in scharfem Kontrast zu dem Schweigen, das in der Türkei nach der Festnahme des „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel am Dienstag wegen „Volksverhetzung“ und „Terrorpropaganda“ herrschte.
„Wenn sie die Beziehungen bewahren wollen, müssen sie lernen, sich zu benehmen“, polterte Außenminister Mevlüt Cavusoglu. Deutschland sei „nicht der Chef der Türkei“. „Sie sind nicht erste Klasse und die Türkei ist nicht zweite Klasse“, schimpfte er und warf Deutschland vor, gegen den Erfolg des Referendums für die Einführung des Präsidialsystems zu arbeiten und „eine starke Türkei verhindern“ zu wollen.
Die Absage der Ministerauftritte durch die städtischen Behörden in Gaggenau und Köln sei „ein systematischer Akt des tiefen Staats in Deutschland“, sagte Cavusoglu. In der Türkei werden als „tiefer Staat“ die informellen Netzwerke aus Militär, Geheimdienst und kriminellen Gruppen bezeichnet, die in den vergangenen Jahrzehnten durch Mordanschläge und andere Aktivitäten die Politik zu beeinflussen suchten.
Justizminister Bekir Bozdag sprach von einer „faschistischen Maßnahme“ und warf Deutschland vor, „Terroristen“ Meinungsfreiheit zu gewähren, nicht aber dem türkischen Justizminister. Bozdag hätte am Donnerstagabend in Gaggenau sprechen wollen. Nach der Absage der Veranstaltung annullierte er auch ein geplantes Treffen mit Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), bei dem es auch um den Fall Yücel hätte gehen sollen.
Auftritte von Präsident Recep Tayyip Erdogan und anderen türkischen Politikern in Deutschland sorgen seit Jahren immer wieder für Kontroversen. Offiziell treten sie dabei nicht als ausländische Politiker, sondern als Privatperson auf. Rechtlich ist es schwierig, derartige Auftritte zu verbieten. In Deutschland wird dennoch seit Tagen gefordert, türkischen Politiker Werbeauftritte für das Präsidialsystem zu verwehren.
Wann immer in Deutschland ein Verbot gefordert wird, kontern türkische Regierungsvertreter mit dem Vorwurf, die deutschen Behörden würden gewählte Politiker am Reden hindern, erlaubten der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) aber, öffentliche Kundgebungen zu organisieren. Auch jetzt fehlte nicht der Vorwurf, PKK-Aktivisten sowie Anhängern der verbotenen Gülen-Bewegung Zuflucht zu gewähren.
Nachdem die Türkei seit Monaten wegen der Verfolgung von Regierungsgegnern seitens Deutschland in der Kritik steht, nutzte sie die Absage der Auftritte nun, den Spieß einmal umzudrehen. Entwicklungsminister Lutfi Elvan sagte, Deutschland habe es versäumt, „das Prinzip der Meinungsfreiheit zu verinnerlichen“. Und für Bozdag zeigt der Fall, dass „das türkische Justizsystem unabhängiger ist als das deutsche“.
Wie es um die Unabhängigkeit der Justiz und die Meinungsfreiheit in der Türkei steht, war jüngst in einem Bericht des Europarats nachzulesen, in dem die Türkei wegen der monatelangen U-Haft für Journalisten und Abgeordnete verwarnt wurde. Für Bundespräsident Joachim Gauck stellt sich nach der Festnahme von Yücel die Frage, „ob die Türkei überhaupt noch den Anspruch hat, eine Demokratie und ein Rechtsstaat zu sein“. (afp)
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