Mächtiger tunesischer Menschenschmuggler: „Nicht einmal der Prophet höchstpersönlich könnte die Schlepperei verhindern“
Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein leistet sich ein Magazin, das „Der Schlepper“ heißt. Auf der Website des Vereins wird erklärt, warum man das Magazin so nennt: Ein Schlepper sei „ein kleines flinkes Schiffchen. Es steht jedem an fremder Küste Ankommenden bei seinem Bemühen hilfreich zur Seite, einen schützenden Hafen erfolgreich und ohne Schaden zu nehmen, anzulaufen.“
Nun ist der Vorwurf der Schlepperei keine Kleinigkeit. Insbesondere für die sogenannten „Seenotretter“, die mittlerweile von der Bundesregierung offiziell finanziert werden. So erhält der Lebenspartner von Katrin Göring-Eckardt, der grauen Eminenz der Grünen, zwei Millionen Euro im Jahr vom Bund für seinen von der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) gegründeten Verein „United4Rescue“, die vor der Küste Nordafrikas mit Schiffen Leute aus maroden Schlauchbooten aufnehmen, um sie als Asylbewerber nach Europa zu bringen.
Arbeiten Seenotretter und Schlepper zusammen?
Diese „Seenotretter“ wehren sich seit 2015 dagegen, als „Schlepper“ bezeichnet zu werden, denn diese Tätigkeit wäre strafbar. Immer mal wieder hört man von Prozessen gegen Schlepper. Und hier sind nicht nur jene gemeint, welche ihre Passagiere in den maroden Booten Richtung Flotte der „Seenotretter“ schicken. Auch deutsche „Seenotretter“ müssen sich gegen Anklagen wegen Schlepperei erwehren.
Die vielfach diskutierte Frage, die auch die Staatsanwaltschaft im sizilianischen Trapani beschäftigt: Gibt es ein Zusammenspiel, ein Hand-in-Hand-Arbeiten zwischen den nordafrikanischen Schleppern und den „Seenotrettern“?
Mitte 2017 beschlossen die EU-Außenminister Sanktionen, die Ausfuhrbeschränkungen für Schlauchboote und Außenbordmotoren nach Nordafrika beinhalteten.
Ein Hinweis mindestens auf eine indirekte Zusammenarbeit ist seit Jahren bekannt. So wurden bei den illegalen Zuwanderern, die von den Booten aufgenommen wurden, Telefone gefunden, die bereits die Telefonnummer der Seenotleitzentrale – damals in Rom – gespeichert hatten, die angerufen wurden und dann dem nächsten Schiff Bescheid gaben, welches oft eines der „Seenotretter“ war.
Fakt war bisher: Die nordafrikanischen Schlepper leben davon, dass ihre menschliche Fracht Europa erreicht. Gäbe es keine Übernahme durch „Seenotretter“, wäre das Geschäft sehr schnell zu Ende. Bisher wurde vielfach von der libyschen Küste aus abgelegt. Entsprechendes zeigen auch die Trackingrouten der aktuell unter anderem von der Bundesregierung finanzierten „Seenotretter“.
Tunesien neuer Hotspot illegaler Massenzuwanderung in die EU
Jetzt gelang es der großen italienischen Tageszeitung „La Repubblica“ einen neuen Hotspot der Schlepperei im tunesischen Sfax zu identifizieren: Investigativreporter Leonardo Martinelli traf einen der größeren Schlepper in der Hafenstadt, der ihm gegenüber gesprächig wurde. Später übernahm die „Welt“ den Artikel der italienischen Zeitung.
Bedeutsam ist hier zunächst, dass die Arbeit der Schlepper von den politisch desolaten Zuständen in Libyen begünstigt wurde. Nun scheint Tunesien der neue Hotspot zu sein. Die Küste liegt hier teilweise mit kaum mehr als einhundert Kilometern Entfernung näher an Lampedusa als die viel genutzten libyschen Ablegestellen. Dort ist auch der Einsatz der „Seenotretter“ immer weniger vonnöten, wenn die Schlepper nur Boote mit entsprechenden Reichweiten anbieten.
Martinelli erfuhr im Gespräch, dass die Fischer ihre Boote längst nicht mehr verkaufen, weil sie Angst vor Strafen haben. Ersatz wurde aber längst gefunden, indem man dazu übergegangen ist, aus Fertigteilen in wenigen Tagen Boote bauen zu lassen. So ist demnach eine Art Schlepper-Industrie mit Zulieferunternehmen entstanden.
Auch die Schweizer „La Tribune de Genève“ übernahm den Artikel von Martinelli und konzentrierte sich in der Schlagzeile auf eine Aussage des auskunftswilligen tunesischen Schleppers: „Même le prophète ne peut pas stopper l’émigration clandestine“, auf Deutsch: „Nicht einmal der Prophet höchstpersönlich könnte die Schlepperei verhindern.“
Legalisierung der illegalen Zuwanderung mithilfe der EU?
So geäußert hatte sich der Schlepper-Boss gegenüber Martinelli im Zusammenhang mit Bemühungen der konservativen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und der EU. Diese wollten einen Deal mit Tunesien hinbekommen, um die Schlepperei einzudämmen. Wie das allerdings in dem weiterhin korruptionsanfälligen Land durchgesetzt werden soll, bleibt zweifelhaft.
Auch kann die enge Zusammenarbeit von Meloni mit der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein Hinweis darauf sein, dass es nicht um die Beendigung der illegalen Zuwanderung geht, sondern viel mehr um eine Legalisierung, wenn hier der Türkei-Deal der Bundeskanzlerin als Blaupause fungieren soll.
Erdoğan hatte immer wieder damit gedroht, die Grenzen zu öffnen und Millionen Flüchtlinge in die EU zu lassen. So kam der Milliardendeal, erarbeitet von einem Soros-finanzierten österreichischen Thinktank um Gerald Knauss herum zustande, der im Kern nichts anderes ist, als eine Legalisierung der illegalen Zuwanderung: Erdoğan schickt für jeden Illegalen, den er an den Grenzen zurücknimmt, einen anderen auf dem legalen Wege in die EU.
Gaddafi wusste, wie man die Angst der Europäer vergoldet
Das Geschäft mit dem Versprechen, illegale Migration zu verhindern, hatte schon der ehemalige libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi (1942-2011) als lukrative Einnahmequelle zu nutzen verstanden. Die Bedrohung einer Massenzuwanderung über die Route Tunesien-Lampedusa holte entsprechend rasch Ministerpräsidentin Meloni und die EU an den tunesischen Verhandlungstisch.
Und es wird Zeit, Verträge zu machen. Denn der vom italienischen Journalisten interviewte hochrangige Schlepper, den er selbst als einen der „mächtigsten Menschenschmuggler“ bezeichnet, spricht von vollen Auftragsbüchern. Die „Welt“ titelte entsprechend: „Für August habe ich schon 30 Überfahrten komplett und abreisefertig“.
Die Investigativ-Reportage zieht ihre schreckliche Faszination auch aus dem Gegensatz zwischen dem grausamen Schleppergeschäft, das Jahr für Jahr tausende Tote fordert und den wiederum bald romantisierend wirkendem Plauderton der Ortsbeschreibungen:
„In der überfüllten Bar, die an einer staubigen Straße voller Leben, aber auch voller Ungewissheit liegt, ist im Hintergrund das Lied des tunesischen Rappers Balti zu hören. Alle kennen „Allo Allo“, das wehmütige Lied eines jungen Mannes, der nach Italien ausgewandert ist und von Heimweh und Reue erzählt.
Es ist der gleiche Widerspruch, der auch zwischen den Bemühungen der EU und Giorgia Meloni besteht, die illegale Zuwanderung aus Tunesien zu stoppen oder in legale Bahnen zu lenken, während Tunesien als Urlaubsland boomt: Jahr für Jahr fahren Millionen Europäer vornehmlich nach Djerba, Hammamet und Sousse. Allein der Golfsport lockt eine Viertelmillion Europäer jedes Jahr in das nordafrikanische Land.
Sie kommen aus ganz Afrika und zahlen jeden Preis
Was er beruflich mache, fragt Leonardo Martinelli an einer Stelle den Schlepper für das Protokoll. Er betreibe ein „illegales Reisebüro“. Auch sonst klänge er wie ein seriöser Unternehmer, wenn er von „Kunden“ und von „Angebot und Nachfrage“ erzählt. Der Schlepper fürchtet den Deal zwischen der EU und Tunesien nicht:
„Es wird nicht aufhören, denn in Tunesien leben die Menschen wie in einem Würgegriff: Sie am Fortgehen zu hindern, würde ihren sofortigen Tod bedeuten. Wir sind hier an einem Punkt angekommen, an dem es kein Zurück mehr gibt.“
Unklar ist hier, wer eigentlich gemeint ist. Laut einem Bericht der „Tagesschau“ sind es nicht die Einheimischen, sondern Menschen aus Zentralafrika, welche oft über viele Monate hierher an die Küste ziehen, um mit den Schlepperbooten nach Europa überzusetzen.
Der tunesische Präsident Kais Saied hatte bereits im Frühjahr – mutmaßlich auch mit Blick auf die lukrativen Deals mit der EU – den Reisenden aus Guinea, Mali oder der Elfenbeinküste eine klare Ansage gemacht, dass er sie nicht mehr im Land haben will.
Saied bekräftigte, härter gegen die illegale Einwanderung in seinem Land vorgehen zu wollen. Unter anderem sprach er laut „Tagesschau“ von einem „kriminellen Komplott“, das im Gang sei. Ziel sei es, die „demografische Zusammensetzung Tunesiens zu verändern“. Außerdem seien „Horden von illegalen Einwanderern“ verantwortlich für „Gewalt, Verbrechen und inakzeptable Handlungen“, so der Staatschef.
Und dann noch die Klimakrise …
Tatsächlich erinnert das an die „Umvolkung“-Äußerungen radikaler deutscher und europäischer Zuwanderungskritiker. Behauptet Tunesien jetzt ein vergleichbares Problem? Wenn man sich die Arbeit der tunesischen Schlepper – exklusiv aufgezeichnet von Leonardo Martinelli – anschaut, dann wohl eher nicht. Diese Menschen wollen alle nach Europa. Und ihr Wunschziel ist vornehmlich Deutschland, ein Land, dass mittlerweile zum zweitgrößten Einwanderungsland der Welt geworden ist.
In Sfax ist es aktuell 35 Grad heiß. Der deutsche Bundesgesundheitsminister hatte einen „Nationalen Hitzeplan“ entworfen und das eingangs erwähnte Magazin „Der Schlepper“ bietet seinen Lesern in der aktuellen Ausgabe über „Klimawandel und Flucht“ einen Artikel an, in dem es heißt:
„Wir tragen Verantwortung für die menschengemachte Klimakrise und ihre direkten und indirekten Folgen. Sich für sichere und legale Flucht- und Migrationswege einzusetzen, gehört zur Verantwortungsübernahme genauso dazu wie für Klimagerechtigkeit.“
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