Ein Jahr nach Krimi um „Nord Stream 1“: Gasturbine weiterhin in Mülheim

Vor einem Jahr haben ausbleibende Gaslieferungen über die Pipeline „Nord Stream 1“ die Erdgaspreise zusätzlich in die Höhe getrieben. Russland nannte die nötige Wartung einer Gasturbine als Grund. Diese steht heute noch in Mülheim.
Ein Blick auf die in Kanada für die Erdgas-Pipeline Nordstream 1 gewartete Turbine. Sie steht für den Weitertransport nach Russland bereit.
Ein Blick auf die in Kanada für die Erdgas-Pipeline "Nord Stream 1" gewartete Turbine. Sie steht heute noch in einer Lagerhalle in Mülheim.Foto: Bernd Thissen/dpa
Von 31. August 2023

Ein zeithistorisches Artefakt der besonderen Art befindet sich seit nunmehr einem Jahr in einer Lagerhalle in Mülheim. Im Sommer 2022 hatte Russland seine Gaslieferungen über die „Nord Stream 1“-Pipeline über mehrere Tage eingestellt. Der Kreml begründete dies mit erforderlichen Wartungsarbeiten. Diese beträfen insbesondere eine Gasturbine, die in der Gasverdichterstation Portowaja nördlich von St. Petersburg im Einsatz war.

In Mülheim war nur Zwischenlagerung vorgesehen

Die Gasturbine soll dort als Motor einen Kompressor angetrieben haben. Russland begründete die Unterbrechung der Gaslieferungen unter anderem mit der Sanktionspolitik des Westens gegen Russland. Zur Wartung wurde die Turbine nach Kanada geschickt. Dort gab es Diskussionen, ob man überhaupt dazu berechtigt sei, das Teil an die „Nord Stream“-Betreibergesellschaft Gazprom wieder auszuliefern.

Auf Anfrage des Energietechnik-Konzern „Siemens Energy“ erklärte die Regierung in Ottawa, man werde eine Ausnahme von den Russland-Sanktionen machen und die Turbine nach Deutschland zurückschicken. In einer Lagerhalle des Unternehmens in Mülheim sollte es zu einer Zwischenlagerung der Gasturbine kommen. Anschließend sei eine Lieferung an Gazprom jederzeit möglich, sodass einer Wiederaufnahme der Gaslieferungen nichts im Wege stehen sollte.

Gazprom: „Dokumente zur Wartung der Gasturbine nicht übermittelt“

Russland zeigte sich jedoch weiterhin nicht bereit, dem Ansinnen nachzukommen. Bereits seit Juni 2022 kamen geringere Mengen an Erdgas als zuvor über „Nord Stream 1“ in Deutschland an. Dies hatte bereits im Frühsommer Angst vor einer vollständigen Einstellung russischer Gaslieferungen genährt.

Unterdessen waren die Börsenpreise für Erdgas an den europäischen Handelsplätzen seit dieser Zeit massiv in die Höhe geschossen. Am EEX Erdgas-Spotmarkt hatte der Day-Ahead-Preis im August 2022 bereits knapp 210 Euro pro Megawattstunde erreicht. Bis Anfang September war er auf mehr als 300 geklettert. Die deutschen Gasspeicher waren zu diesem Zeitpunkt zu etwa 70 Prozent gefüllt.

Gazprom äußerte, die Turbine sei unverzichtbar für den erforderlichen Druck zum Durchpumpen des Gases. Siemens Energy, der Vertragspartner des Konzerns bei der Wartung, habe jedoch noch nicht die erforderlichen Dokumente und Informationen zur Reparatur der Maschine übermittelt. Siemens wies diese Darstellung zurück.

Kanzler machte sich selbst auf den Weg zur Gasturbine nach Mülheim

Bundeskanzler Olaf Scholz reiste selbst nach Mülheim, um sich persönlich vom Zustand der Gasturbine zu überzeugen. Er kam zu dem Schluss, die Turbine sei „jederzeit einsetzbar“ und könne geliefert werden.

Im Westen warf man Russland vor, nach Vorwänden zu suchen, um die Gaslieferungen nach Deutschland zurückhalten zu können. Auf diese Weise würde, so das unterstellte Kalkül, der steigende Gaspreis für Panik sorgen und den öffentlichen Druck mobilisieren, „Nord Stream 2“ zu öffnen. Die fertige Infrastruktur blieb ungenutzt, weil die deutsche Bundesregierung in Reaktion auf den Ukrainekrieg die Inbetriebnahme ausschloss.

Am 26. September beendete ein Anschlag auf beide Pipelines diese Spekulationen endgültig. Spuren bezüglich möglicher Verantwortlicher führen nach aktuellem Erkenntnisstand in die Ukraine. Wie „Bild“ berichtet, liegt die Gasturbine Nr. 9260 des Modells SGT-A65 seit 18. Juli 2022 weiterhin in der Lagerhalle in Mülheim. Für das Unternehmen selbst sei sie „kein Thema“.



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