Drohendes Aus für Millionen Dieselfahrzeuge: EU äußert sich und bleibt kryptisch

Aus der EU-Kommission gibt es eine erste Reaktion auf den jüngsten Brief von Verkehrsminister Wissing. In der Frage der Gültigkeit neuer Vorgaben zu Abgastests für alte Dieselmodelle scheut Brüssel nach wie vor ein eindeutiges Bekenntnis zum Vertrauensschutz für Millionen Autobesitzer.
Müssen bald Millionen Dieselautos von der Straße? Der Verkehrsminister ist beunruhigt.
Müssen bald Millionen Dieselautos von der Straße? Der Verkehrsminister Wissing ist beunruhigt.Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
Von 2. August 2024

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Knapp zwei Monate nach den EU-Wahlen steht die Kommission in Brüssel vor einer ersten Bewährungsprobe. Im Wahlkampf hatte Präsidentin Ursula von der Leyen angekündigt, einen pragmatischeren Kurs im Bereich des sogenannten Green Deals zu fahren, statt Wirtschaft und Verbraucher mit ideologischen Vorhaben zu drangsalieren.

Die geplanten neuen Vorgaben für die Abgasuntersuchung stellen die erste Gelegenheit dar, dies unter Beweis zu stellen – und Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat dies nun in einem Brief an von der Leyen gefordert.

Auch ältere Diesel sollen nun WLTP-Standards genügen

Derzeit läuft ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), das potenzielle Auswirkungen auf Millionen Dieselfahrer hat – acht Millionen davon in Deutschland. Es geht dabei um die sogenannte Thermofenster-Software zur Steuerung der Abgasreinigung abhängig von der Außentemperatur.

Die Software funktioniert bei kühleren Außentemperaturen weniger gut, deshalb ist unter diesen Umständen der Ausstoß von Stickoxiden etwas höher – und zum Teil auch höher als die gesetzlichen Grenzwerte. Nach den aktuellen Standards des „Neuen Europäischen Fahrzyklus“ (NEFZ) reicht es bei der Abgasuntersuchung aus, wenn die Grenzwerte im Wege einer Durchschnittsbetrachtung eingehalten werden. Konkret als Mittelwert einer elf Kilometer langen Fahrt nach Kaltstart durch teils urbanes und teils ländliches Gelände.

Mittlerweile gibt es jedoch die jüngeren Vorschriften des WLTP-Standards (Worldwide harmonized Light vehicles Test Procedure), die unter anderem Abgastests im realen Verkehr beinhalten. Die neuen Vorgaben fordern eine Einhaltung der Abgasgrenzwerte in jedweder Verkehrslage und nicht nur als Durchschnittswert.

Mercedes hat gegen die neuen Vorgaben geklagt

Involviert in die Verfahren ist Mercedes, es wären jedoch auch andere Hersteller und ihre Produkte betroffen. Die WLTP-Vorgaben sind auf Dieselfahrzeuge ab dem 6d-Standard abgestimmt. Die EU-Kommission will jedoch durch die neuen Vorgaben zur Abgasuntersuchung erreichen, dass auch Fahrzeuge der Euro-5- und Euro-6-Normen die Benchmark für neuere Fahrzeuge erfüllen.

Im Bundesverkehrsministerium hält man dies für illusorisch und deshalb könnte es zu Stilllegungen der bis zu acht Millionen Dieselfahrzeuge kommen, die heute noch auf deutschen Straßen unterwegs sind. Wissing befürchtet sogar, dass auch Benzinfahrzeuge betroffen sein könnten.

Wissings Befürchtungen scheinen nicht ohne Substanz zu sein. Die EU-Kommission selbst vertritt nämlich im Verfahren vor dem EuGH den Standpunkt, dass die neuen Vorgaben auch für ältere Fahrzeuge gelten sollen, die zuvor nach anderen Kriterien getestet wurden. In Deutschland sind derzeit noch 4,3 Millionen Euro-5- und 3,9 Millionen Euro-6-Dieselfahrzeuge zugelassen.

Dieselverbot über den EuGH

Möglicherweise verspricht sich die EU-Kommission auf diese Weise die Umsetzung gleich zweier ideologischer Projekte, die zuletzt immer mehr öffentlichen Gegenwind erfahren hatten. Das eine wäre das Verbrennerverbot im Jahr 2035, das andere eine breite Elektrifizierung des Verkehrs. Entsprechende Ziele waren zuletzt immer unrealistischer geworden, weil die Nachfrage nach Elektroautos in der EU immer noch weit hinter den Etappenzielen zurückbleibt.

Ein Gerichtsurteil des EuGH würde es der Politik zudem erlauben, das Narrativ zu kultivieren, dass man ja von sich aus bereit gewesen wäre, zu ambitionierte Klimaziele zu korrigieren – durch Richter dazu gezwungen wäre.

Der EuGH deutete schon jetzt an, dass für den Fall der Unrechtmäßigkeit der sogenannten Thermofenster-Software die bereits erteilte Genehmigung für zahlreiche ältere Dieselfahrzeuge illegal sein könnte. Bezüglich eines Vertrauensschutzes zugunsten der betroffenen Autobesitzer äußerte sich der Gerichtshof bis dato nicht.

„Ideologischer Kampf gegen das Auto“

Wissing forderte in seinem Schreiben eine Klarstellung zugunsten der Autofahrer und der völlig unvorbereiteten Industrie – und bekam dafür auch Rückendeckung aus der Unionsfraktion. Gegenüber der Funke-Mediengruppe machte deren Wirtschaftssprecher Thomas Bareiß deutlich, dass es einen Bestandsschutz für alle Autofahrer geben müsse, die ihre Autos im Vertrauen auf deren rechtmäßige Verwendbarkeit im Straßenverkehr erworben hätten. Mit Blick auf Brüssel äußerte er:

„Man hat den Eindruck, da wurde mancher Beamte in Brüssel und Berlin weniger von Pragmatismus und Sinnhaftigkeit getrieben, sondern vielmehr vom ideologischen Kampf gegen das Auto. Besonders grotesk ist in der Tat die Idee, die neuen Messkriterien auf ältere Fahrzeuge auszudehnen.“

Gleichzeitig kritisierte er Wissing und die Ampel. Es stelle sich die Frage, warum die Verantwortungsträger der Bundesregierung nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt ihren Standpunkt innerhalb der entsprechenden EU-Gremien artikuliert hätten. In diesen sitzen allerdings auch Vertreter von CDU, CSU und anderen Mitgliedsparteien der EVP.

Brüssel will Umsetzbarkeit und Vertrauensschutz im Auge behalten

Die EU-Kommission hat mittlerweile auf den Brief von Wissing geantwortet – und bleibt kryptisch. In der Stellungnahme aus Brüssel heißt es, man „verfolge“ das Verfahren vor dem EuGH. Gleichzeitig werde man sich immer für Lösungen einsetzen, die „zu einer gesunden sauberen Luft beitragen und zugleich umsetzbar sind“. Das Vertrauen der europäischen Bürger und Unternehmen wolle man ebenfalls schützen. Über konkrete gesetzgeberische Schritte oder Anpassungen von Verordnungen oder Richtlinien äußerte sich die Sprecherin gegenüber der Funke-Mediengruppe nicht.



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