Drogenkartelle, linke Politik und zwei Frauen: Mexiko wählt einen neuen Präsidenten
Wer in Mexiko politische Stärke zeigen will, muss den Zócalo-Platz im Zentrum der Hauptstadt mit Zehntausenden Anhängern füllen. Mächtig erheben sich dort der Nationalpalast und die Kathedrale neben den Ruinen des Azteken-Haupttempels.
Die obligatorische Kraftprobe vor der imposanten Kulisse haben die beiden Präsidentschaftskandidatinnen vor der Wahl am kommenden Sonntag gemeistert. Nun stehen die Regierungskandidatin Claudia Sheinbaum und die Oppositionelle Xóchitl Gálvez vor einem historischen Schlagabtausch: Eine von ihnen soll die erste Präsidentin des lateinamerikanischen Landes werden.
Mega-Wahl: 20.000 Ämter werden neu besetzt
„Die einzige Zukunftsoption liegt bei uns“, sagte die Favoritin Sheinbaum, Ex-Regierungschefin von Mexiko-Stadt, bei ihrer Abschlussveranstaltung auf dem Zócalo. „Am 2. Juni werden wir Geschichte schreiben“. Mit ihrem Wahlsieg werde zum ersten Mal in der 200-jährigen Geschichte des unabhängigen Mexiko eine Frau das Präsidentenamt erlangen.
Die 61-jährige Physikerin tritt für das Regierungsbündnis um die Linkspartei Morena an. Sie plant, den Kurs des nationalpopulistischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador fortzusetzen – derweil geht die Gewalt der Drogenkartelle ungebremst weiter.
Die Einwohner der Hauptstadt kennen Sheinbaum, Enkelin europäischer Juden, aus ihrer Zeit als Bürgermeisterin; bis zur Nominierung als Präsidentschaftskandidatin regierte sie die Millionen-Metropole fünf Jahre lang, von 2018 bis 2023.
Sheinbaum profitiert von der Popularität des scheidenden Staatschefs Andrés Manuel López Obrador, der die Linke 2018 in Mexiko an die Macht brachte und nicht mehr für eine zweite Amtszeit antreten darf. „Umarmungen statt Kugeln“ lautete Obradors Strategie, welche die ausufernde Kriminalität in Mexiko an der Wurzel bekämpfen soll.
Opposition: Wahl zwischen „Demokratie und Autoritarismus“
Nach Ansicht der Oppositionskandidatin Gálvez steht bei den Wahlen im südlichen Nachbarland der USA viel auf dem Spiel: „Es ist eine Entscheidung zwischen Demokratie und Autoritarismus“.
Im Wahlkampf attackierte sie ihre Gegnerin vor allem wegen der Sicherheitspolitik der Regierung und sprach von „186.000 Ermordeten und 50.000 Verschwundenen“ in den sechs Jahren unter Obrador. Mit dessen Sicherheitsstrategie habe es „Umarmungen für Kriminelle und Kugeln für die Bürger“ gegeben, warf sie dem scheidenden Präsidenten bei ihrer Abschlusskundgebung vor.
Die Ex-Senatorin und Tech-Unternehmerin mit indigenen Wurzeln ist die Kandidatin eines Zweckbündnisses aus den drei größten Oppositionsparteien. Der dritte Anwärter auf das höchste Staatsamt, der 38 Jahre alte Jorge Álvarez von einer kleineren Partei, hat wohl keine Chancen.
Gálvez kritisiert die verfehlte Sicherheitspolitik, die Dämonisierung Andersdenkender und die Erosion demokratischer Gegengewichte unter López Obrador. Die Regierungspartei will ihre Mehrheit im Kongress weiter ausbauen, um allein Verfassungsreformen wie die Direktwahl von Richtern durchzusetzen.
„Es wurde ein polarisierendes und falsches Narrativ aufgestellt. Danach sind alle, die ihre Ideologie nicht akzeptieren, Vaterlandsverräter“, sagte Gálvez. Ob Sheinbaum oder Gálvez, eines steht vor den Wahlen fest: Die gläserne Decke in der mexikanischen Politik wird durchbrochen.
In der zweitgrößten Volkswirtschaft Lateinamerikas stimmen fast 100 Millionen Wahlberechtigte über das Präsidentenamt, beide Kammern des Kongresses sowie zahlreiche regionale und lokale Posten ab. Bei der Mega-Wahl werden 20.000 Ämter neu besetzt, darunter Gouverneursposten in acht Bundesstaaten und im Hauptstadtdistrikt. So viele wie bei keiner Wahl zuvor.
Drogenkartelle bereinigten die Wahllisten
Die Drogenkartelle, die ihren Einfluss sichern wollen, mischen bei den Wahlen kräftig mit. Über 26 Kandidaten für die Wahlen in Mexiko wurden ermordet, einer sogar beim Abschluss-Event seiner Kampagne. In der Nacht zum 2. Juni erschossen Unbekannte im westlichen Bundesstaat Michoacán den 35-jährigen Kandidaten Israël Delgado. Hunderte zogen ihre Kandidatur zurück.
Grund ist, dass mexikanische Kartelle der Organisierten Kriminalität mit der Wahl am 2. Juni ihnen genehme und befreundete Politiker in lokalen Ämter bringen wollen, um die Gemeinden besser auszubeuten und ihre eigenen Geschäfte betreiben zu können.
Die Verbrechergruppen wollen nicht nur die Bürgermeister der Städte benennen, sondern auch die Polizeichefs und Leiter regionaler Institutionen. Gleiches triff auf Gouverneure, Senatoren und Parlamentsabgeordnete zu. Das berichtet „The Washington Post“.
Präsident Manuel López Obrador warf der Opposition und den Medien vor, die Gewalt zu übertreiben – obwohl sein Schützling Claudia Sheinbaum ebenfalls von Maskierten angehalten und bedroht wurde.
Laut Carlos Palomeque, dem Vorsitzenden der Partei der Nationalen Aktion (PAN) in Chiapas, hätten die Kartelle früher die Wähler bestochen. Jetzt „zwingen sie die Kandidaten aus dem Rennen. Es ist billiger.“ Betroffen sind alle großen Parteien.
Der Kampf gegen die Gewalt der Drogenkartelle in Mexiko wird eine der größten Herausforderungen für das kommende Staatsoberhaupt sein. Seit Beginn eines Militäreinsatzes gegen die Kartelle im Jahr 2006 wurden in Mexiko insgesamt mehr als 450.000 Menschen getötet, weitere 100.000 Menschen gelten als vermisst.
Gewalt bei der Stimmabgabe
Einen Tag vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Mexiko wurde zudem wegen des Anstiegs der Gewalt die Stimmabgabe in zwei Städten des Landes ausgesetzt. Wie die örtliche Wahlbehörde am Samstag mitteilte, konnten in Pantelhó und Chicomuselo im südlichen Bundesstaat Chiapas aufgrund der Bedrohungslage keine Wahllokale eingerichtet werden.
Nach Angaben der Behörde hatten Unbekannte am Freitag Wahlunterlagen in Einrichtungen in Chicomuselo verbrannt. Die Stadt ist auch ein Schauplatz von Kämpfen zwischen zwei rivalisierenden Drogenkartellen. Auch die Wahlhelfer hätten Drohungen erhalten.
In der weiter nördlich gelegenen Stadt Pantelho seien die Beamten zudem wegen der Dauerpräsenz bewaffneter Bandenmitglieder gar nicht erst in der Lage gewesen, Wahlhelfer auszubilden, erklärte die Wahlbehörde.
Chiapas wurde in den vergangenen Jahren immer wieder von Gewalt im Zusammenhang mit Kämpfen zwischen rivalisierenden Drogenbanden erschüttert. Im Mai waren in dem Bundesstaat an der Grenze zu Guatemala bei zwei Angriffen auf Kandidaten für die Kommunalwahlen elf Menschen getötet worden.
Die zwei Kandidatinnen und die Sozialpolitik ihres linken Vorgängers
Die Sozialpolitik des scheidenden Präsidenten López Obrador mit Bargeldtransfers beispielsweise an Rentner ist sehr beliebt.
Sheinbaum soll nun in dem bevölkerungsreichsten spanischsprachigen Land für Kontinuität sorgen. Die Enkelin jüdischer Einwanderer im überwiegend katholischen Mexiko zeigte sich im Wahlkampf ganz auf der Linie ihres politischen Ziehvaters – ein schwieriger Balanceakt zwischen Loyalität und eigener Handschrift.
Ihre Rivalin Gálvez stammt aus einfachen Verhältnissen. Sie studierte Computertechnik mit einem Stipendium und gründete zwei Technologie-Unternehmen. Die Ex-Senatorin und frühere Bürgermeisterin eines Hauptstadtbezirks, die gerne im traditionellen Huipil-Kleid auftritt, ist parteilos, steht aber der bürgerlichen PAN nahe.
Mit einer Million Unterstützungsunterschriften von Bürgern zwang sie den diskreditierten Parteien PAN, PRD und der PRI, die über 70 Jahre lang ununterbrochen regierte, ihre Kandidatur auf. Sie wirft Sheinbaum vor, sich staatlicher Ressourcen im Wahlkampf bedient zu haben.
Herausforderungen nach der Wahl
Der Kampf gegen die grassierende Banden- und Drogenkriminalität in Mexiko dürfte auch für die neue Präsidentin die größte Herausforderung sein, sagte Michael Shifter vom Thinktank Dialogo Interamericano mit Sitz in Washington.
Weiteres großes Thema sind die komplexen Beziehungen zum mächtigen nördlichen Nachbarn USA. Aktuell fordert die US-Regierung von Mexiko eine Eindämmung des Handels mit der synthetisch hergestellten Droge Fentanyl, die in den USA eine Opioid-Welle mit tausenden Toten ausgelöst hat. Die mexikanische Regierung hat ihrerseits vor zwei US-Gerichten Prozesse gegen US-Waffenhersteller angestrengt, deren Waffen sie für zahllose Tote im Land verantwortlich macht.
Dauerbrenner im bilateralen Verhältnis ist das ungelöste Problem der irregulären Zuwanderung von Mexiko in die USA. Allein im vergangenen Jahr gab es auf US-Seite nach Angaben der Behörden 2,4 Millionen Festnahmen.
Viel wird für „la presidenta“ freilich auch vom Ausgang der Präsidentschaftswahl in den USA abhängen. Am 5. November entscheidet sich, ob es Mexiko noch einmal mit Donald Trump im Weißen Haus zu tun bekommt, der in seiner ersten Amtszeit insbesondere gegenüber Mexiko eine einwanderungsfeindliche Politik verfolgte.
Wird Sheinbaum Präsidentin, ist fraglich, ob sie sich noch auf eine Mehrheit im Kongress stützen kann. Bei der Zwischenwahl 2021 hatte ihre Morena-Partei die absolute Mehrheit verloren.
(dpa/afp/red)
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